Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor (82):Sieben Formen von "umsetzen"

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger äußert sich zu einem Sachverhalt und erweitert den Blick.

DIE SPRACHE DER POLITIK hat die Tendenz, bestimmte Wörter zu okkupieren und derart penetrant zu verwenden, dass man den Eindruck gewinnt, von deren vielfältiger Bedeutung bliebe letztlich nur eine, nämlich die von der Politik gemeinte beziehungsweise gewollte. Auch das Verbum umsetzen ist in diese Verallgemeinerungsmühle geraten, mit dem Effekt, dass kaum noch ein Komposthaufen umgesetzt wird, dafür jeden zweiten Tag eine neue Agenda, die es an Düngekraft mit diesem in keiner Weise aufnehmen kann. Leser E. hat einen Artikel von gut 80 Zeilen durchgesehen und ist dabei auf sieben Formen von umsetzen gekommen, während es doch ein Leichtes gewesen wäre zu schreiben, dass Frankreich die EU-Freizügigkeitsrichtlinie beachten, verwirklichen, einhalten, erfüllen oder, in drei Teufels Namen, in die Praxis umsetzen müsse, wolle es sich anders kein Vertragsverletzungsverfahren an den Hals ziehen. So weit Herrn E.s Anregung, die hiermit umgesetzt sei, wenn auch vorderhand nur in diese Kolumne.

EINEN VERZWICKTEN KASUS präsentiert uns Leser K. Auf einem Foto waren kürzlich Gregor Gysi und die LinkenChefin Gesine Lötzsch zu sehen, dem Anschein nach friedlich vereint. Der Bildtext darunter brachte die harte Wahrheit an den Tag: dass sie "kein Herz und eine Seele" mehr seien. Was aber sind sie dann? Ein Herz und keine Seele, kein Herz und keine Seele, nur noch eine Seele? Wahrscheinlich sind sie, was sie immer waren, nämlich zwei Herzen und zwei Seelen, zwei Körper sowieso. Das trifft den Sachverhalt, mag gleich die Metapher daran zerschellen.

DA ES ALS ZITAT bei uns zu lesen war, sind wir sozusagen mitgefangen, mitgehangen, und zwar mit der baden-württembergischen Umweltministerin Tanja Gönner, die zu Leser St.s nicht geringer Erheiterung sagte, dass der eingeengte Blick auf die erneuerbaren Energien zu kurz springe. Da kann man nur hoffen, dass der weite Blick auf die Kernenergie nicht übers Ziel hinausschießt.

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Quelle:
SZ vom 25.10.2010
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