Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor (32):Apostroph für Deppen

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger über die Klangeigenschaften von Schiffszwieback und regionale Unterschiede im Sprachgebrauch.

Hermann Unterstöger

Wenn René Jacobs nach dreiunddreißig Jahren die Innsbrucker Festwochen verlässt, ist das unserem Feuilleton allemal einen Vierspalter wert. Dass Rossini darin Giacomo statt Gioacchino hieß, Telemann hingegen Georg Friedrich statt Georg Philipp, verbuchte Leser Dr. A. noch als ärgerliche Schludereien. Was er von der Sache her scharf zurückweist, ist die Behauptung, Rezitative hätten in traditionellen Aufführungen "wie von Kakerlaken zerfressener Schiffszwieback" geklungen.

Das sei totaler Blödsinn, da Schiffszwieback überhaupt nicht klinge, noch weniger, wenn er von Kakerlaken zerfressen sei. Kleine Ergänzung unsererseits: Dass Kakerlaken sich an Schiffszwieback vergreifen, kann man aus "La Cucaracha" schließen. In dem Lied ist von einer Kakerlake die Rede, die kein Marihuana mehr hat, und wozu Kakerlaken auf Entzug fähig sind, kann man sich ja denken.

Einem geschenkten Gaul... Keinen Vierspalter wohl aber einen Einspalter wendete das Feuilleton für die Meldung auf, dass die Medienkommissarin der EU, Viviane Reding, sich zu den Digitalisierungsplänen von Google geäußerte habe: Das sei eine Herkulesaufgabe, die vom Staat allein nicht "gewuppt" werden könne.

Wieder einmal also das eklatant norddeutsche wuppen, und wieder einmal die Frage etlicher süddeutsch geprägter Leser, was zum Teufel dieses Wort bedeute. Im Internet findet man diese Auswahl: etwas mit Schwung oder flott tun, etwas im Handumdrehen erledigen, etwas "schaukeln" oder hinkriegen, Geschlechtsverkehr haben. Was davon Frau Reding mit einiger Sicherheit nicht gemeint hat, glauben wir zu ahnen.

Der "Deppenapostroph" hat es in der von Laien betriebenen Sprachkritik zu so penetranter Dominanz gebracht, dass man fast nichts mehr über ihn schreiben mag - soll die Uschi ihren Friseurladen doch "Uschi's Haarem" nennen. Nun aber hat Leserin N. in unserer Online-Ausgabe eine Apostrophenkostbarkeit von ganz eigener Art entdeckt, nämlich den Zwischentitel "Des Gauls' Gesichtsausdruck".

Mit Süffisanz zieht sie aus dieser Form den Schluss, dass das Tier im Nominativ der Gauls heißen müsse, und wo sie recht hat, hat sie recht. Die folgende leise Rüge können wir ihr trotzdem nicht ersparen: Einem geschenkten Gauls schaut man nicht ins Mauls!

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Quelle:
SZ vom 19.09.2009
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