Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor (277):Der alte Nacht

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"Ich bin der Nacht, der längst entschlief; was lebt, ist nur mein Genitiv." Keiner hat wohl den Ausdruck "des Nachts" anschaulicher geschildert als F. Torberg.

Von Hermann Unterstöger

DAS PRÄFIX be- macht sich unter anderem dadurch verdient, dass man mit seiner Hilfe Ornativa herbeizaubern kann: bedachen statt mit einem Dach versehen. Wie nah auch hier der Fluch beim Segen liegt, sieht man an einem Verb, das nun im Zusammenhang mit der Maut dem Sumpf der Behördensprache entstiegen ist und dem unser Leser Dr. F. eine "grässliche Fratze" attestiert: bemauten . Dass es nach dem Muster von besteuern gebildet wird, ist keine Entschuldigung, denn man sagt ja auch nicht bezollen. Das Kurioseste an der Sache: Die funktionierende österreichische Maut hat Dobrindt nicht übernommen, dafür das Wort bemauten des dortigen Amtsschimmels.

DIE VÖLKERFREUNDSCHAFT ist für uns kein leeres Wort, und so sei denn die von Leserin K. überbrachte Frage eines englischen Muttersprachlers bedacht: Warum es des Nachts heiße, wo doch die Nacht feminin sei? Grimms Wörterbuch zufolge handelte es sich dabei zunächst um den adverbialen Genitiv nachts, der irgendwann als Genitiv eines Maskulinums aufgefasst und, nachdem er aus seiner adverbialen Stellung herausgetreten war, auch in den anderen Kasus mit dem maskulinen Artikel verbunden wurde. Friedrich Torberg hat dazu eine höchst wundersame Parodie verfasst, worin der Dichter Christian Morgenstern "dem Nacht" begegnet. Hier ein Auszug:

"Grüß Gott", so sprach er, und sodann:

"Wer bist du, guter Mann? Sag an!"

Der solchermaßen Angefragte,

der trüb an seiner Lippe nagte,

besann sich lang in seinem Sinn.

"O Fremdling", seufzte er. "Ich bin -

ich bin, nun höre mit Bedacht:

ich bin der Nacht. Jawohl, der Nacht.

Ich bin der Nacht, der längst entschlief;

was lebt, ist nur mein Genitiv,

und niemand will von diesem Leben

dem Nachte, was des Nachts ist, geben.

Ich muss vom Tag mir und vom Morgen

die analoge Form erborgen:

,des Nachts', so höre ich mich nennen,

den alten Nacht will niemand kennen."

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Quelle:
SZ vom 22.11.2014
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