Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor (164):Ab wann wird gezählt?

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger erklärt zeitliche Fesseln, einen Relativsatz und Holzarten.

NOCHMAL: DIE ZEITRECHNUNG. Unser Leser Sch. war im "Sprachlabor" kürzlich mit der Ansicht zu Wort gekommen, dass die Angabe vor unserer Zeitrechnung insofern unlogisch sei, als jeder Zeitpunkt Teil der Zeitrechnung sei, also nicht davor liegen könne. Das nun findet Leser B. völlig unlogisch, und er führt zur Absicherung seiner Meinung diese Lexikon-Definition für Zeitrechnung ins Feld: "Für Datumsangaben maßgebende Zählung der Jahre und Jahrhunderte von einem bestimmten (geschichtlichen) Zeitpunkt an", woraus erhelle, "dass ein Zeitpunkt sehr wohl vor unserer Zeitrechnung liegen kann". Das entspricht der schon im Brockhaus von 1882 enthaltenen Definition, wonach man unter Zeitrechnungen immer "die Reihenfolge der von einem festen Ausgangspunkte an gezählten Jahre" verstehe.

DIE DEMOGRAFIE ist ein sprödes Gewerbe, treibt aber hin und wieder grelle Blüten. Leser Dr. K. stolperte über den Satz: "Künftige Mütter, die heute nicht zur Welt kommen, können auch später nur noch schwer die Lücke schließen . . ." Die darin obwaltende Freiheit von allen zeitlichen Fesseln erinnert an die Schnurre, in welcher der Rabbi gefragt wird, ob ein Mann die Schwester seiner Witwe heiraten dürfe. Der Rabbi, versonnen: "Dürfen darf er schon. Nur, ob er wird können?"

EINE ANDERE ERINNERUNG stellte sich bei Leser K. ein, und zwar bei Lektüre eines Satzes, mit dem der biografische Hintergrund des SAP-Chefs Jim Hagemann Snabe aufgehellt werden sollte. Der Text lautete folgendermaßen: "Seit zweieinhalb Jahren führt der Däne, der auch bei seiner Familie gern kocht, zusammen mit Bill McDermott die Firma." Herr K. sieht den Relativsatz in keiner vernünftigen Beziehung zum Hauptsatz stehen, und die Reminiszenz, die ihm in den Sinn kommt, hört sich so an: "Gerhard Schröder, der Zigarren raucht, war Bundeskanzler von 1998 bis 2005." Das ist eine derart beschämende Parallele, dass man zugunsten unseres Relativsatzes doch einen Umstand ins Feld führen sollte: Da die Notiz über Snabe insgesamt kulinarisch intoniert war, hatte die fragliche Stelle vielleicht doch ihre Berechtigung, eine größere jedenfalls als das Aperçu über Schröder.

DAS HOLZ für die Radrennbahn in London war, wie unser Mann vor Ort in Erfahrung brachte, "sibirischer Kiefer". Unsere Leser H. und Dr. L. fragen sich, ob er damit den Unter- oder den Oberkiefer meinte, und weisen darauf hin, dass Bäume stets weiblich sind: die Buche, die Esche, die Tanne, die Kiefer . Das entspricht der Genus-Regel im Lateinischen, einer Regel, die auf die Annahme zurückgeht, dass in den Bäumen Nymphen wohnen, also weibliche Wesen. Nur der Ahorn ist männlichen Geschlechts, möglicherweise saß in ihm ein Satyr.

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SZ vom 01./02.09.2012
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