Süddeutsche Zeitung

Mein Deutschland:Verliebt in Berlin

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Seit langem streiten sich Berlin und Hamburg, in welcher Stadt die Currywurst erfunden wurde. Die größten Huldigungen erfährt die Wurst in der Hauptstadt - inklusive Museum.

Sascha Buchbinder

Es war kein lautes Geräusch. Mehr so ein unauffälliges, trockenes Pftt! Wir saßen bei einem dieser Berliner Parteisommerfeste, als neben uns die Currywurst einschlug. Die Landung begleitet von diesem Pftt! Die Currywurst ist eine Art Bratwurst, die unter Ketchup und Curry versteckt wird. Meist wird die Wurst in Scheiben geschnitten verkauft. Die fliegende Wurst hier war am Stück. Nur angebissen, das war sie.

Innige Beziehung Ein Blick nach hinten, nach oben, ergab: da war eine Brücke. Und oben auf der Brücke, da beugte sich ein Mann übers Geländer, der mit großen Augen seiner Wurst nachtrauerte. Wenig später war er ihr auf dem Fußweg gefolgt. Wortlos hob er das gute Stück auf, klaubte und blies den Dreck weg. Dann aß er weiter. Merke: Niemals verzichtet der Berliner auf seine Currywurst.

Die Beziehung zwischen der deutschen Hauptstadt und ihrer Hauptwurst ist innig. Die Kanzlerin gedachte dieser Tage der Wahl Adenauers vor 60 Jahren. Der Bundestag feierte Jahre 60 Jahre Grundgesetz. Berlin feiert derweil 60 Jahre Currywurst. Und rechtzeitig zum Jubiläumsjahr hat auch das erste deutsche Currywurstmuseum seine Türen geöffnet.

An der Schützenstrasse in Berlin, in Nachbarschaft zum Touristenmagneten Checkpoint Charlie, ist eine 1100-Quadratmeter-Ausstellung ganz der Currywurst gewidmet. 11 Euro kostet der Eintritt. Dafür könnte man sich an der Wurstbude richtig satt essen. Aber dann weiß man auch in Zukunft nicht, was dran ist, an der Wurst der Würste.

Gedenktafel für die Erfinderin Erfunden wurde die Currywurst nach dem Krieg. Die Hamburger behaupten, 1947 hätte bei ihnen auf dem Großneumarkt erstmals eine der namenlosen Trümmerfrauen den Geschmack einer Wurst mit Ketchup und Curry abgerundet. Die Berliner dagegen verweisen auf Herta Heuwer, deren scharfe "Chillup"-Wurstsause beim Münchner Patentamt 1959 unter der Nummer 721319 registriert wurde. Und dann gibt's da noch ein paar Ruhrgebieter, die die Wurst für ihre Region reklamieren. Einfach so, ohne amtliche Dokumente.

2003 hat deshalb Berlin mal ordentlich festgehalten, dass die Currywust eine Berlinerin ist. Das Ehepaar Böhme aus der Schweiz hat dafür gesorgt, dass an Kantstrasse in Charlottenburg eine Gedenktafel angebracht wurde, die an die Erfindung der Currywurst an diesem Ort, im Imbisstand von Frau Heuwer erinnert. Warum sich jemand aus der Schweiz für ein Currywurst-Monument ins Zeug legte? Ganz einfach: Brigitte Böhme ist die Nichte von Herta Heuwer.

Allerdings haben die Hamburger mit einer eigenen Tafel gleichgezogen. Höchste Zeit, dass die Hauptstadt mit einem Currywurstmuseum der Wurst gedenkt. Der "Sausenstrom" lenkt die Besucher durch die Ausstellung. Er beginnt an der Imbissbude, leitet vorbei am Wurstsofa zur Sausenlandschaft und soll dank didaktischem Feingefühl und aufwändiger "haptischer Aufbereitung" das "Currywurstlebensgefühl" vermitteln.

"Idee aus einer unverdorbenen Zeit" Allgemein bekannt waren ja bisher eher das Schweregefühl, mit dem die Scheiben ihre Lagerung im Bauch anzeigten und der gewöhnungsbedürftige Nachgeschmack, den man am besten mit Bier beseitigt. Mir persönlich war die Currywust immer etwas suspekt. Warum versteckt sich diese blässliche Wurst hinter einer Sause, die alles andere übertüncht? Die scharfe, klebrige Zugabe scheint mir ideal, um zweifelhafte Wurstzutaten zu verbergen. Andererseits stammt die Idee aus einer unverdorbenen Zeit. Damals war selbst das heute in Bayern vertriebene Gammelfleisch noch frisch.

Wie auch immer: Ich werde mich hüten, in Berlin solche Bedenken herauszuposaunen. Denn Liebe ist bekanntlich blind. Die Berliner haben ihre Wurst zum Fressen gern und dass sie uns alle mit einem Museum daran teilhaben lassen, find ich dufte.

Vier Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Sascha Buchbinder arbeitet für den Schweizer Tagesanzeiger.

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Quelle:
SZ vom 19.09.2009
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