Süddeutsche Zeitung

Mein Deutschland:Die Retter Deutschlands

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Auf ihren Wahlplakaten machen die Politiker aller Parteien große Versprechungen. Etwas mehr Zurückhaltung wäre angebracht.

Pascale Hugues

Meine Wohnung in diesen Tagen zu verlassen ist ein wahres Vergnügen. Ein kleiner Spaziergang in meinem Berliner Viertel reicht, damit sich alle Zukunftsängste und täglichen Sorgen wie der Morgennebel auflösen. Kaum habe ich die Haustür geöffnet, umgeben Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier und Co. mich mit ihrem beruhigenden Lächeln.

Sie haben weiße Zähne, ein glattes und samtiges Gesicht, jegliche Fältchen sind wegretouchiert worden. Die apfelgrüne Jacke der Kanzlerin macht mir Hoffnung, die spitzbübisch hervorstehenden Backen von Frank-Walter Steinmeier lassen mich das Leben in rosa sehen. Ich fühle mich geborgen. Sie haben gar nichts Staatstragendes an sich, sie sind wie Du und ich. Und sie werden mich retten und mit mir ganz Deutschland.

"Aus der Krise hilft nur grün!" beruhigt mich Renate Künast, die gegen eine Platane lehnt, mit einem Mona Lisa Lächeln auf ihren himbeerroten Lippen. Etwas weiter verspricht Gregor Gysi: "Reichtum für alle!" Ich finde es etwas dreist, den Deutschen glauben zu machen, dass sie alle glückliche Lotto-Spieler sind, die gerade den Jack-Pot geknackt haben. Ist es ein ironischer Zufall, dass das Werbeplakat von Gregor Gysi ausgerechnet an einer Straßenlampe gegenüber der Döner Bude "Aladins Wunderlampe" hängt? Ich sehe bereits die Höhle der PDS sich öffnen und Berge von Gold und Edelscheinen blitzen.

Heilsbringer Westerwelle Am Ende des Bürgersteigs scheint Guido Westerwelle aus einer unscharfen Menschenmenge hervorzutreten, ein weißer Heilsbringer, der sich nicht vier Jahre lang in einer großen Koalition kompromittiert hat. Mit ihm ist noch alles möglich. Und im übrigen hat er ja DIE Antwort auf die Krise: Steuern senken. Auch er verspricht Reichtum, obwohl die öffentlichen Kassen leer sind.

Ein Witzbold hat einen Zahn schwarz angemalt, was das Elmex Lächeln des FDP-Chefs stört. Schwarze Zähne und Hitler-Bärtchen sind die letzten Waffen der wütenden Wähler, die genug haben von wilden Versprechen.

"Wir haben das Patentrezept!" sagt ein paar Schritte weiter Helga Zepp-LaRouche, Chefin der Bürgerechtsbewegung Solidarität und Weltspezialistin für Schiller, wie Wikipedia verrät. Frau Zepp-LaRouche hängt gleich neben dem Plakat von Circus Krone. Ist das eine neue Zirkusnummer, diese Ein-Frau-Partei?

Schwarze Zähne und kleine Schnurrbärte Wie können diese Politiker aller Richtungen es noch wagen, dieses Füllhorn irrealer Versprechen auszuschütten? Versprechen, die während eines Wahlkampfes gemacht werden und im Fall des Siegs nicht gehalten werden, gehören seit jeher zum politischen Spiel.

Nichts neues also. Doch dass in diesen Krisenzeiten, in denen man gar nicht weiß, ob wir nicht nur die Spitze des Eisberges sehen, nicht etwas mehr Zurückhaltung übt... Es nimmt mir den Atem. Und ja, ich habe dann große Lust schwarze Zähne und kleine Schnurrbärte auf alle beruhigenden Lächeln zu malen, die in meinem Viertel aufgehängt sind.

Vier Berliner Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point.

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Quelle:
SZ vom 26.09.2009
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