Süddeutsche Zeitung

Tunesien:Der Experte

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Réne Trabelsi ist neuer Tourismusminister in Tunesien - und der einzige jüdische Minister in der islamischen Welt. Die Wallfahrt zur Ghriba-Synagoge auf Djerba ist ihm vertraut.

Von Moritz Baumstieger

Als es am vergangenen Freitag an ihm war, den Amtseid abzulegen, hielt es Réne Trabelsi schnörkellos. Im Präsidentenpalast Tunesiens trat der 55-Jährige an das Pult, schlug die Mappe auf und las den vorbereiteten Text vom Blatt ab. Dass er der Republik dienen wolle, dass er sein Amt nach bestem Gewissen ausführen werde. Zum Abschluss folgte ein kurzer Handschlag, Trabelsi ergriff die Hand von Präsident Béji Caid Essebsi mit Vorsicht, als wollte er ja nicht zu fest zudrücken. Schließlich ist der Landesvater schon 94 Jahre alt.

Bloß keine Aufregung - diesen Satz schien Trabelsi zum Leitmotiv erhoben zu haben. Denn obwohl an jenem Tag nach einer Kabinettsumbildung gleich dreizehn neue Minister in den Palast nahe den Mauern des alten Karthago gekommen waren, interessierte sich zuletzt ganz Tunesien für den Mann mit dem gemütlichen Bauch und dem etwas schiefen Lächeln. Als Tourismusminister dient Trabelsi auch sicher nicht auf dem unwichtigsten Posten in Tunesien - einem Land, das dringend mehr Gäste bräuchte, um die schwächelnde Wirtschaft zu stützen, die bis heute die Errungenschaften der Revolution gefährdet.

Dass über Trabelsi auch die New York Times in den USA und die Haaretz in Israel berichtete, hat einen anderen Grund: René Trabelsi ist Jude - und seit Freitag somit der einzige jüdische Minister in der islamischen Welt. Seine Nominierung löste im In- und Ausland viel Zustimmung aus. Sie sei genau das richtige Signal, meinten viele, um der Welt zu zeigen, dass Tunesien ein weltoffenes Land mit einem mehrheitlich moderaten Islamverständnis sei. Es gab aber auch Kritik: Israelgegner unterstellten Trabelsi, in Wirklichkeit Bürger des jüdischen Staates zu sein, auf den Straßen von Tunis demonstrierte das "Komitee zum Widerstand gegen die Normalisierung der Beziehungen mit dem zionistischen Gebilde" gegen ihn. Vielleicht wollte Trabelsi deshalb im Präsidentenpalast so wenig Aufsehen wie möglich erregen: Den Eid legte er nicht auf die Thora ab, auch nicht wie alle anderen Ministerkandidaten auf den Koran. Er sprach ihn einfach so.

Trabelsi ist zwar nicht der erste jüdische Minister in der Geschichte Tunesiens, aber eben der erste seit mehr als 60 Jahren. Seither hat sich viel verändert. Statt der 100 000 Juden, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Tunesien lebten, sind heute nur noch etwa 1600 bis 2000 im Land. Die anderen sind emigriert, nach Frankreich, nach Israel - und nach der Jasminrevolution von 2011 waren sich auch viele der Verbliebenen nicht sicher, ob sie weiter das Erbe ihrer Ahnen in Tunesien pflegen sollten.

Die neu erlangten Freiheiten nutzten dort nämlich auch bislang von der Polizei des Diktators Ben Ali unterdrückte Islamisten. Vor allem in den ersten chaotischen Jahren nach der Revolution besetzten Radikale den fast rechtsfreien Raum, missionierten eifrig und versuchten, junge Männer für den Dschihad zu gewinnen. Das kleine Tunesien mit seinen elf Millionen Einwohnern stellte bald das größte Kontingent ausländischer Kämpfer beim IS. Dass die Gotteskrieger aber auch im Inland zuschlagen wollten, zeigte sich bei den Attacken auf das Bardo-Nationalmuseum und eine Hotelanlage bei Sousse im Jahr 2015, die fast 60 Todesopfer forderten.

Billiger Badeurlaub im Land ist wieder gefragt - dabei gäbe es hier so viel mehr zu sehen

Diese Taten verunsicherten nicht nur viele jüdische und muslimische Tunesier, sondern auch potenzielle Gäste. Der Tourismusumsatz fiel noch im 2015 um mehr als ein Drittel, im Folgejahr noch einmal um fünf Prozent - und dass er in der Zeit danach nicht vollkommen in den Keller rauschte, lag daran, dass Touristen aus den Nachbarland Algerien und sogar welche aus dem Bürgerkriegsland Libyen die Hotelbetten zu Discountpreisen buchten.

Auch der neue Minister spürte die Flaute: René Trabelsi war einst in den Neunzigern nach Frankreich gegangen, um Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Dass er nie einen Abschluss machte, monieren nun einige seiner Kritiker - seine Fans betonen stattdessen, was Trabelsi auch ohne Diplom erreicht hat: Mit der von ihm gegründeten Firma Royal First Travel vermarktet er in Frankreich vor allem Tunesienreisen und bringt in guten Jahren bis zu 300 000 Touristen in die alte Heimat. Welchen Stellenwert er damit im Gewerbe hat, verdeutlicht eine andere Kennziffer: Für das Jahr 2018 strebte seine Amtsvorgängerin eine Gesamtzahl von 900 000 Gästen aus Europa an.

Trabelsi ist also ein Mann vom Fach - und steht mit seiner Biografie sowohl für die Probleme der tunesischen Tourismusbranche als auch für mögliche Wege aus der Krise. Den Großteil seiner Gäste bringt Trabelsi in die Resorts entlang der Mittelmeerküste, hier bekommen die Urlauber verhältnismäßig viel für verhältnismäßig wenig Geld - ein Ertragsmodell, das aber immer schlechter funktioniert. Selbst einigen großen Häuser im Sterne-Segment merkt man an, dass in den Jahren der Flaute der Leerstand hoch und die Investitionen eher niedrig waren.

Um das Vertrauen der Gäste zurückzugewinnen, setzten die Tunesier zuletzt vor allem zunächst auf Sicherheit: An den Stränden der Badehochburgen patrouillieren Polizisten auf Quads und zu Pferde, manchmal auch Soldaten - offiziell gilt in Tunesien noch immer der Ausnahmezustand. Zu stören scheinen Uniformierte zwischen den Sandburgen die Gäste nicht, im Gegenteil: In der Sommersaison 2018 brachte ein Buchungsplus von 80 Prozent die lang ersehnte Trendwende, auch die großen Anbieter bauen ihre Kapazitäten wieder aus.

Doch auch wenn billiger Badeurlaub Tunesiens Tourismus nun einen Schub gibt - einen nachhaltigen Aufschwung wird die Branche nur erfahren, wenn es Trabelsi gelingt, auch die anderen Schätze Tunesiens besser zu vermarkten. Das gesamte Inland ist touristisch fast unerschlossen, es fehlen die Infrastruktur zum Transport sowie Unterkünfte - und das, obwohl es einiges zu sehen gäbe: punische und römische Stätten, deren Ruinen aufgrund des Klimas außerordentlich gut erhalten sind. Altislamische Stadtensembles, die aber kaum für Gäste erlebbar sind. Selbst in der Hauptstadt Tunis - bei der sich die Medina direkt an die Avenue Habib Bourguiba anschließt, die Flaniermeile aus Kolonialzeiten - ist neben den Hauptgassen des Basars nur wenig für Touristen erschlossen. Lediglich ein paar alte Häuser sind zu jenen Boutiquehotels umgebaut, denen die Gäste etwa in Marrakesch die mit Schnitzereien verzierten Holztore einrennen.

Wie man aber auch in der Nische gutes Geld verdienen kann, das weiß Trabelsi: Mit seiner Firma ist er Co-Organisator der jüdischen Pilgerfahrt nach Djerba. Auf der Halbinsel im Süden lebt ein Großteil der tunesischen Juden, Trabelsis Vater Perez dient der Gemeinde seit 1985 als Vorstand. In der berühmten Ghriba-Synagoge empfängt der Senior jedes Jahr im Mai etwa 3000 Pilger, der Junior organisiert ihre Anreise und Unterkunft. Das mystische, farbenfrohe Fest lockte zuletzt auch immer mehr nichtjüdische Gäste an - wenn es Trabelsi gelingt, diese Erfahrungen auf andere Projekte zu übertragen, könnte er seiner Branche sehr helfen.

Seine Familie, das betont der Vater von drei Kindern oft stolz, sei schon seit 587 vor Christus auf Djerba ansässig. Auch wenn die Überlieferungskette für diese Information ziemlich lang zu sein scheint, ist sich der neue Minister sicher: Seine Vorfahren flohen dorthin, als der Babylonier Nebukadnezar Jerusalem vor mehr als 2600 Jahren in Schutt und Asche legte. Ganz abgesehen von der Diskussion um seinen Glauben: Einen alteingesesseneren Landsmann als René Trabelsi dürften die Tunesier nur selten als Minister gehabt haben.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2018
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