Süddeutsche Zeitung

Top End - im Norden Australiens:Runterkommen

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In Australiens tropischem Norden leben wenige Menschen und viele Tierarten. Nicht nur Krokodile, auch farbenprächtige Sittiche und Kookaburras kann man beobachten. Wer die Flusslandschaften und Savannen erkunden will, braucht einen guten Guide - und Mut.

Von Johanna Pfund

Es ist sieben Uhr morgens, und Mick Jerram weiß jetzt schon, dass es ein guter Tag ist. Gerade hat er auf einem Baum, nur wenige Meter neben dem sandigen Lagerplatz am Katherine River einen Hooded Parrot entdeckt, einen Collettsittich. Schwarzer Kopf, türkisfarbenes Gefieder, goldgelbe Flügel. Diese Papageienart kommt nur hier im Norden Australiens vor und ist kaum an Flüssen zu sehen, wie Mick doziert. Und auf dem nächsten Baum sitzt der zweite Glücksfall dieses Morgens: Gouldian Finches oder Prachtfinken, wieder eine gefiederte Farbexplosion in Grün, Lila, Hellblau, Rot und Goldgelb. "Die sieht man nicht oft", erklärt der Vogelexperte geduldig. Während Mick die Sichtungen des Morgens in die Vogelbeobachtungs-App einträgt, ist es Zeit für die Frage, was ihm, der aus dem Südosten des Kontinents stammt, denn am menschenleeren, heißen Norden Australiens gefällt. Mick, vorher ganz ruhiger Experte, strahlt plötzlich über das ganze Gesicht: "Es gibt nichts Besseres als das Top End."

Das Top End, das ist der Norden des Northern Territory. Kein eigenständiges Bundesland, sondern ein Territorium, das dem Commonwealth of Australia unterstellt ist. Knapp 250 000 Menschen, davon fast ein Drittel Aborigines, leben auf einer Fläche von 1,4 Millionen Quadratkilometern. Das entspricht gerade mal einem Prozent der australischen Bevölkerung, aber einem Sechstel der Landesfläche. Von der Hauptstadt Darwin bis zum berühmtesten Naturdenkmal des Landes, dem Uluru oder Ayers Rock, sind es 2000 Kilometer. Den Aborigines hat man erst vor 30 Jahren einen Teil ihres Landes zurückgegeben. Das "Arnhem Land" an der Nordspitze wird von ihnen verwaltet, auch der Kakadu Nationalpark.

Die Hitze regiert in der Region Katherine, in der Mick Jerram seine Touren unter dem Label "Gecko Canoeing and Trekking" anbietet. In dieser tropischen Savanne gibt es nur zwei Jahreszeiten, erklärt Janelle Hillyar, Mitarbeiterin von Mick: "Wir haben trocken oder feucht. Warm ist es immer." In der Regenzeit aber, die meist im November beginnt, steigen die Flüsse um Meter an, überfluten die Straßen, manchmal auch die Stadt Katherine.

Das kann man bei dieser September- Tour auf dem Katherine River nur erahnen anhand der getrockneten Astreste, die hoch über dem aktuellen Flusspegel in den Bäumen am Ufer hängen. Das Thermometer zeigt 35 Grad Celsius, als Janelle die kleine Gruppe über eine abenteuerliche Jeepspur durch den roten Savannenstaub hinunter an die Anlegestelle fährt.

Die Kajaks sind randvoll mit geheimnisvollen Bündeln. "Bleib im Schatten, am Uferrand", empfiehlt Mike. Er reicht eine leere Trinkflasche herüber. "Einfach Wasser aus dem Fluss schöpfen, das ist sauber. Das gesamte Trinkwasser der Stadt Katherine kommt aus diesem Fluss." Die Sonne scheint sogar durch Hut und lange Ärmel zu dringen. Es ist ruhig. Kein Krokodil, kaum Vögel. Sie halten wohl alle Nachmittagsruhe. Salzwasserkrokodile gebe es hier nicht, sagt Mick, nur die kleineren Süßwasserkrokodile, die bei Weitem nicht so aggressiv sind. "Aber ich campe gerne an flachen sandigen Ufern, mit seichten Pools, da sehe ich, was drin schwimmt." Sehr beruhigend. Der 54-Jährige führt seit einem Vierteljahrhundert Touren, er wird es schon wissen. Und er kennt auch einen schönen Lagerplatz für die Nacht. Ein flacher Sandstrand. Zwischen umgestürzten Bäumen werden die Kajaks an Land gezogen. Mick und sein junger Kollege Travis Enright zaubern Grill, Tisch, Klappstühle, Kühlbehälter und Planen aus den Booten. Erstaunlich, was da alles Platz hatte. Zum Abendessen gibt es den lokalen Kultfisch: Barramundi, ein Riesenbarsch, der bis zu zwei Meter lang werden kann.

Dann ist "sleeping on the swag" - Schlafen auf der Plane, einzig mit Sternenhimmel darüber -, angesagt. "So haben früher die Wanderarbeiter in Australien geschlafen", erzählt Mick. Mit einer Plane und einer Decke sind sie von Farm zu Farm gezogen. Man nannte das Waltzing - das Lied "Waltzing Mathilda" erzählt von diesem armseligen Leben. Diese Zeit scheint weit weg an diesem Abend. In den Bäumen bellen die "Barking Owls", die Kläfferkauze, durch die Blätter schimmert das Kreuz des Südens. Flughunde zischen durch die Luft.

Die Tour geht durch kleine Nebenarme des Katherine, mal wird gepaddelt, mal das Kajak gezogen oder über querliegende Bäume gehoben. Ein kleiner Waran zeigt sich am Ufer und züngelt aufgeregt. Kein beruhigender Anblick. Wie sieht es überhaupt mit gefährlichen Tieren aus, mit giftigen Tieren? So eine Frage bringt Mick aus der Ruhe: "Es gab Krokodilunfälle, aber da waren die Leute selbst schuld. Es ist nicht gefährlich hier."

Gefährlich werden könnte es eher am Mary River, etwa fünf Autostunden nordöstlich von Katherine, das mit seinen 6500 Einwohnern eine wahre Metropole des Top End ist. Ein Savannenparadies. Wer zum "Wetland Cruise" will, muss erst einmal eine halbstündige Fahrt von der kaum frequentierten Hauptstraße über eine holprige, rotsandige Piste durch locker bestandenes Waldland hinter sich bringen, bevor die Anlegestelle in Sicht kommt. Die Bootsrampe sieht handgemacht aus, das Gefährt selbst ist ein breites Touristenblechboot. Zu beiden Seiten des behäbig wirkenden Flusses wuchern Bäume und Büsche. Hier zeigt sich einmal mehr, weshalb Mick das Top End so liebt: wegen seines enormen Artenreichtums. Enten schnattern, ein Kormoran hält Ausschau nach Beute, ebenso wie ein Weißbauchseeadler, Jabirus - eine Storchenart - staksen durch das Wasser und führen einen Paartanz auf, winzige Reihervögel tanzen über die Lotosblätter. Luftwurzler bilden schwimmende Inseln, Lotosblüten setzen rosa Glanzpunkte.

Tim Dawe lenkt das Boot. Der 42-Jährige stammt aus Neuseeland, arbeitete dort als Ranger, und ist diesen Herbst als Guide bei der Stuart Wilderness Lodge beschäftigt, die auch die Flusstouren anbietet. Tim drosselt den Motor. Im Schlamm am Ufer liegt ein Salzwasserkrokodil. Bewegungslos, Maul leicht geöffnet zum Kühlen. Es ignoriert das Boot. "Sie sind Opportunisten", meint Tim. "Die nehmen nur, was leicht zu kriegen ist." Der Tisch ist offensichtlich reich gedeckt, denn an Krokodilen mangelt es nicht. Innerhalb von nur zwei Stunden sind zehn Krokodile zu sehen, die scheinbar erstarrt am Ufer liegen. Mal zuckt eines mit den Augen, mal flüchtet eines. Der Klimawandel wird den Krokodilen zusetzen, erklärt Tim. "Bei Temperaturen unter 32 Grad schlüpfen aus den Eiern weibliche Krokodile, bei Temperaturen zwischen 32 und 36 Grad sind es männliche, und wird es heißer, schlüpfen wieder Weibchen." Die Krokodile leben übrigens nicht nur im Fluss, sondern auch in den Billabongs, den Wasserlöchern, die nach der Regenzeit zurückbleiben. Das Baden in den Billabongs ist nicht empfehlenswert.

Bei aller Wildnis - die Zivilisation hat auch in dieser entlegenen Gegend ihre Spuren hinterlassen. Um 1830 wurden Wasserbüffel eingeführt, die jetzt als verwilderte Herden die Savannen durchstreifen. Die Stuart Wilderness Lodge in der Nähe des Mary River war bis vor 30 Jahren eine "Station", wie man Farmen in Australien nennt. In den Wellblechscheunen wurden früher Büffel geschlachtet. Mitte der Neunzigerjahre wurde die Station in eine Lodge umgewandelt, seit 2002 führen Nadine Thomas und Dean McFarlane die Unterkunft, die ihre eigene Süßwasserquelle besitzt. Die Gäste kommen, um runterzukommen, zum Fischen oder Vogelbeobachten, für Touren durch die Wildnis. "Wir haben eine größere Artenvielfalt als der Kakadu National Park in der Nachbarschaft", sagt Dean.

Für das Leben in der Wildnis hat das Paar einiges auf sich genommen. Die Kinder werden via Radio unterrichtet, Katherine ist mit fünf Stunden Fahrzeit doch zu weit weg für den Schulbesuch, die nächste Tankstelle ist 70 Kilometer entfernt, Wlan gibt es nicht. Das findet Dean gut. Die Gäste sollen runterkommen, Barramundi angeln, einfach den Wallabies zuschauen, die in der Dämmerung über den Rasen der Lodge hopsen. An die Zeiten, in denen hier Aborigines noch Wasserbüffel und Krokodile jagten, erinnern Fotos an den Wänden des rustikalen Salons.

Eine Abendtour ins Hinterland der Lodge zeigt, wie das Land heute genutzt wird. Noch gibt es Wildnis, aber auch gigantische Weideflächen. Brahman-Rinder werden auf der benachbarten Station "Opium Creek" gehalten, die einem asiatischen Investor gehört. Tausende Rinder streifen über die trockenen Weiden. "Damit ist noch viel Geld verdient", sagt Tim. Wenn es Zeit zum Schlachten ist, werden die Tiere mit dem Helikopter zusammengetrieben. Das Fleisch geht vor allem nach Asien.

Dagegen sind der Mary und der Katherine River ein ursprüngliches Paradies. Man kann zwei Tage auf dem Katherine River verbringen, ohne einem Menschen zu begegnen. Dafür Papageien, Kakadus oder Blauflügelkookaburras mit ihrem unverwechselbaren Keckern. Mick hört das gern. "Das ist der Klang des Nordens."

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Quelle:
SZ vom 27.12.2019
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