Süddeutsche Zeitung

Streit um englischen Garten:Der Baron liebt Dreck

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"Schrecklich steril": Um die britische Touristenattraktion Sissinghurst ist ein Klassenkampf entbrannt - die alten Besitzer träumen von der Rückkehr zur Landwirtschaft.

Wolfgang Koydl

Man kann nicht sagen, dass die Sache mit der Bacchus-Figur der letzte Tropfen gewesen wäre. Das Fass des Unmuts war eigentlich schon vorher übergelaufen, und auch seit der Geschichte mit der Statue ist der stete Strom an Missstimmungen nie versiegt. Aber Adam Nicolson empfand es wohl besonders kränkend, als er bei einem Spaziergang durch die Gartenanlagen seines Herrenhauses bemerkte, dass ein altes, moosbewachsenes und an mehreren Stellen gesprungenes Standbild des römischen Gottes des Weines über Nacht durch eine glänzende, brandneue Kopie ersetzt worden war.

"Das Ding sah aus, als ob es von einem Garten-Center hier abgeladen worden wäre", empört sich Nicolson noch Monate später, ohne dass sein Zorn auch nur geringfügig abgeklungen wäre. "Was ich meine, ist nur, dass jedes alte Ding das Recht haben sollte, mit Anmut zu verrotten und dahinzuscheiden."

Der Streit um den klassischen Gartengnom ist Teil einer Auseinandersetzung, die sich nun schon seit Jahren hinzieht, ohne dass ein Ende abzusehen wäre. Die Presse spricht von einem Klassenkampf, der freilich mit ausgesucht englischer Höflichkeit ausgetragen wird, da sich nicht Proletarier und Bonzen gegenüberstehen, sondern eine der bekannteren Oberklassefamilien Englands und der wohl mächtigste Interessenverband Britanniens.

Achtteilige Dokumentation auf BBC

Hinter dem vermeintlich gutbürgerlichen Namen Nicolson verbirgt sich der fünfte Baron Carnock. Mütterlicherseits ist er gar mit den vornehmen Grafen de La Warr verwandt, nach denen unter anderem Delaware, der Heimatstaat von US-Vizepräsident Joe Biden, benannt ist. Der National Trust wiederum, der unter anderem Nicolsons Bacchus ausgetauscht hat, gilt als Bastion der bürgerlichen Mittelklasse. So viele dramatische Elemente und telegene Persönlichkeiten hat der Zwist, dass ihn die BBC zu einer achtteiligen Dokumentation verarbeitet hat.

Im Mittelpunkt stehen Schloss und Gärten von Sissinghurst in der ostenglischen Grafschaft Kent. Das Anwesen, ein elisabethanisches Herrenhaus aus dem späten 15. Jahrhundert mit ausgedehnten Feldern, Hainen und Gartenanlagen, wurde berühmt durch die Schriftstellerin Vita Sackville-West. Sie und ihr Mann, der Diplomat und Literat Harold Nicolson, gehörten in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts zu Londons legendärer Bloomsbury-Intellektuellengruppe.

Die Nicolsons sorgten nicht nur mit gleichgeschlechtlichen außerehelichen Affären für Skandale; nebenbei legte das Paar in Sissinghurst auch jenen Garten an, der heute bis zu 150 .00 Besucher im Jahr anlockt. Darunter befinden sich nicht wenige lesbische Frauen, die ihrem Idol Vita und deren wohl bekanntesten Liebhaberin, der Schriftstellerin Virginia Woolf, Reverenz erweisen wollen.

Ende der sechziger Jahre vermachte Vitas Sohn Sissinghurst dem National Trust, wobei er sich das Wohnrecht für die Familie verbriefen ließ. Es ist diese Konstruktion, die nun Probleme bereitet. "Wir haben das wunderbare Privileg, hier leben zu dürfen", seufzt Adam Nicolson, Vitas Enkel, "aber wir haben keine Kontrolle."

Die hat der Trust, für den Sissinghurst eine wichtige Einnahmequelle geworden ist. Die 1895 gegründete Organisation besitzt Tausende Häuser, Schlösser, Burgen und Grundstücke in England, Wales und Nordirland (in Schottland gibt es einen eigenständigen Ableger) sowie 2520 Quadratkilometer geschützter Wälder, Berge, Küsten und Moore. Mit einem Umsatz von 400 Millionen Pfund im Jahr, 5000 festen Mitarbeitern und einer Armee von mehr als 50.000 freiwilligen Helfern ist der Trust eine ebenso geliebte wie hoch respektierte Einrichtung im Land. Mehr als 3,5 Millionen Briten sind Mitglieder.

Lesen Sie auf der zweiten Seite über das gespaltene Verhältnis von Britanniens Oberklasse zum National Trust.

Britanniens Oberklasse freilich hat ein eher gespaltenes Verhältnis zum National Trust, seitdem die Organisation vor 50 Jahren damit begann, zahlreiche Adelsanwesen zu übernehmen, die von ihren Besitzern wegen horrend hoher Erbschaftssteuern nicht an die Nachkommen vermacht werden konnten. Denn mit dem neuen Besitzer erhielt erstmals der Pöbel Zutritt zu palisandergetäfelten Salons, marmornen Freitreppen oder nach Juchten duftenden Stallungen.

"Der National Trust hasst Dreck"

Nicht dass Adam Nicolson etwas gegen die bürgerlichen Besucher hätte, und seien sie auch noch so spießig. Aber er würde ihnen gerne ein anderes Sissinghurst-Erlebnis vermitteln als der Trust. "Ich will wieder an unsere landwirtschaftliche Vergangenheit anschließen", formuliert es der Adelige in unverkennbar quengelndem Oberklassenakzent.

Das heißt, dass nach seinen Vorstellungen auf den 150 Hektar Land wieder Vieh gehalten, Obst gezogen und Gemüse angebaut werden sollte. "Als ich als Junge hier gespielt habe, war alles herrlich dreckig", erinnert sich der 41-Jährige. "Heute ist alles schrecklich eintönig und steril." Sein furchtbarer Verdacht: "Der National Trust hasst Dreck."

Unterstützt wird Nicolson von seiner Frau, der bekannten Koch- und Gartenbuchautorin Sarah Raven. Sie hat sich vorgenommen, das "Granary Restaurant" von Sissinghurst umzukrempeln - mit Tischdecken und Blumenvasen, Lebensmitteln aus eigener Produktion und italienischen Gerichten - zur Erinnerung an Vita Sackvilles Liebe zu Italien.

"Merkwürdige Zutaten sind schön und gut für London"

Fremdländische Kost aber kommt beim Trust nicht auf den Tisch. Man verwalte englisches Kulturerbe, verlautet dazu, nicht italienisches oder französisches. "Merkwürdige und wunderbare Zutaten sind schön und gut für London", urteilt der Chefkoch des "Granary Restaurant", in dem alljährlich 100.000 Gäste verköstigt werden. "Bei uns hier gibt es so etwas nicht."

Grundsätzlich ist der National Trust nicht abgeneigt, den ehemaligen Besitzern von Sissinghurst entgegenzukommen. "Es dauert nur etwas länger", wie Sue Saville von der gemeinnützigen Organisation einräumt. "Unsere Aufgabe ist es, uns für alle Zeiten um das uns anvertraute Erbe zu kümmern. Wir brauchen daher mehr Zeit für Entscheidungen."

Vielleicht könnte Adam Nicolson Trost aus einem Roman der Geliebten seiner Großmutter schöpfen. In "Mrs. Dalloway" schreibt Virginia Woolf über eine Heldin: "Wenn sie an menschlichen Beziehungen verzweifelte (Leute sind so schwierig), ging sie oft in ihren Garten und bekam von ihren Blumen einen Frieden, den ihr Männer und Frauen nie gaben." Vorausgesetzt natürlich, dass man Nicolson nicht wieder eine Statue ersetzt.

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Quelle:
SZ vom 09.03.2009/af
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