Süddeutsche Zeitung

Souvenir aus dem Himalaya:Amulett als Grizzly-Schutz

Lesezeit: 2 min

Mit seinem Talisman im Gepäck hat der Autor Erdbeben, Bruchlandungen und einen Tsunami überstanden - doch wehe, das Amulett bleibt daheim.

Stefan Nink

Er war ziemlich verhutzelt, aber das sind sie in dieser Höhe ja alle. Sein Gesicht hatte jene Farbe, die man bekommt, wenn sich die Himalaya-Sonne fast bis auf die Schädelknochen durchgebrannt hat; an seiner Halskette baumelten Geierschnäbel und etwas, das aussah wie eine verschrumpelte Maus.

Er war der Hofastrologe des Königs von Lo Manthang, und er hatte beschlossen, seinem Besucher ein Amulett zu schenken.

Einen Talisman, der ihn auf künftigen Reisen beschützen sollte.

Tensing dirigierte mich auf einen Schemel in seinem stockfinsteren Lehmhaus und begann, leiernde Mantras zu brummeln. Seine etwa 117-jährige Haushälterin brachte ranzigen Buttertee, der augenblicklich nachgefüllt wurde, sobald man ein Anstandsnipperchen genommen hatte.

Unterdessen beschrieb und bestempelte und bemantrate Tensing mehrere Lagen Pergament, drüben am Fenster, wo durch blindes Glas ein fahles Licht in den Raum fiel, immerhin. Das dauerte mehr als eine Stunde.

Beziehungsweise fünf Tee-Nachfüllungen.

Dann faltete er das Pergament, verschnürte es mit bunten Fäden zu einem kleinen Viereck und steckte es in eine schützende Plastikfolie. Zum Abschied musste ich ihm versprechen, sein Geschenk von nun an auf allen Reisen mitzunehmen.

Das ist jetzt mehr als zehn Jahre her, und das Amulett des königlichen Astrologen war immer sorgsam verstaut im Handgepäck. Es hat mehrere Erdbeben überstanden, drei Verkehrsunfälle, einen Tsunami sowie eine Bruchlandung in einem laotischen Reisfeld.

Plus zwei Zyklone, ein Wettschießen mit einem cholerisch veranlagten Söldnerführer in Kambodscha und einige ungeplante Grizzly-Begegnungen - und natürlich unzählige Fahrten mit der Deutschen Bahn.

Und ich alles mit ihm. Ohne einen einzigen Kratzer.

Neulich beim Packen hab' ich einen Riss in der Schutzfolie entdeckt.

Dann klingelte das Telefon, und dann musste ich noch den Kaktus gießen, und irgendwann war ich am Flughafen. Das Amulett lag zu Hause im Büro. Nicht schlimm?

Weil in Frankfurt getrödelt wurde, war der Anschlussflug in London weg. Was wiederum dazu führte, dass ich in New York übernachten musste - trotz Hotelzimmers leider in der Subway, wegen Wassereinbruchs. Sieben Stunden unter Brooklyn sind eine lange Zeit.

Vor allem, wenn einem gleich zu Anfang auffällt, dass man die Kreditkarte an der Rezeption vergessen hat. Nach sieben Stunden hatte auch die fleißigste Hotelschicht gewechselt, und die Nachfolger wussten natürlich von nichts, und die Karte war weg und musste gesperrt werden. Natürlich ist sie kurz darauf beim Check-out wieder aufgetaucht.

Es ging dann ähnlich beschwingt weiter: Bei Ankunft in der Karibik begann es zu regnen und stürmen, und weil es sich sehr schön einregnete und einstürmte, fiel ein paar Tage später der Rückflug aus, und die Maschine am nächsten Tag war eh schon überbucht.

Im Airport-Motel ging es zu wie damals in der US-Botschaft in Saigon, als sie auf den letzten Hubschrauber gewartet haben. Irgendwann fiel der Strom aus. Das Bier an der Bar war lauwarm.

Zu Hause habe ich das Amulett lange zärtlich in den Händen gehalten. Ziemlich lange.

So lange, bis ich den Geschmack von Buttertee auf der Zunge hatte.

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