Süddeutsche Zeitung

Smartphone-App für Wanderrouten:Mit dem Handy über alle Berge

Lesezeit: 3 min

Ein Navi für Bergsteiger: Die Alpenvereine aus Deutschland, Österreich und Südtirol haben eine eigene Smartphone-App für Wanderrouten in den Alpen entwickelt. Das ist praktisch, birgt aber auch Gefahren.

Von Sarah Kanning, Benediktbeuren

Im strömenden Regen zeigt das Smartphone stur geradeaus, mitten über den Parkplatz, der knöcheltief unter Wasser steht. "Wir gehen außen herum, das geht auch", entscheidet Georg Rothwangl. Er muss es wissen, schließlich hat er die Smartphone-App mitentwickelt und kennt die Strecke gut.

Die rote Spur auf dem Telefon blinkt wütend, dann justiert sie nach und führt den Wanderer schließlich um Pfützen, Parkplatz und Bauernhof herum: "Nach sieben Metern links abbiegen", steht auf dem Display wie bei einem Navigationsgerät für Autos. Weiter geht's. Nach ein paar hundert Metern geht es auf den Wanderweg der Bayerischen Voralpen.

Mit dem Handy in die Berge zu gehen, die Idee ist nicht ganz neu. Mit alpenvereinaktiv.com, einer Smartphone-Anwendung mit Internetauftritt, wagen sich jetzt aber zum ersten Mal auch die Alpenvereine Deutschland, Österreich und Südtirol gemeinsam ans Netz - und setzen dabei sowohl auf begeisterte Wanderer, die ihre Routen ins System einpflegen, als auch auf die Sektionen der Alpenvereine, die als Experten die Wanderungen ihrer Regionen hochladen.

alpenvereinaktiv.com soll als offene Online-Plattform zum Informationsaustausch dienen und eine kostenfreie Alternative zu Wanderkarten sein, mit denen man sich zwar gut vorbereiten kann, im Gelände aber doch Gefahr läuft, einmal eine falsche Abbiegung zu nehmen. "Wir wollen das beliebteste Portal der Ostalpen werden", sagt Georg Rothwangl.

Tour in Echtzeit aufzeichnen

An diesem verregneten Sommertag schlängelt sich die Tour, die zur Überquerung der Benediktenwand führen soll, erst einmal gemächlich durch den Ort Benediktbeuren.

"Entlang der Bahnhofstraße geht es über die Hauptkreuzung und schließlich links in die Maria-Brunn-Straße zum Beginn des Lainbachtals", erscheint jetzt auf dem Smartphone. Wer sich die Tour schon vorher aufs iPhone oder Android geladen hat, ist unabhängig vom Internet-Empfang. Nur das Satellitennavigationssystem GPS muss man einschalten, damit das Telefon die Spur des Wanderers schrittgenau mitverfolgen kann.

Damit kann der Bergwanderer seine Tour auch in Echtzeit aufzeichnen lassen und zu Hause noch einmal nachschauen, wie denn die gemütliche Hütte am Berggipfel hieß oder wie viele Höhenmeter er geschafft hat. Er kann die Wanderung aber auch für Nachahmer ins System stellen.

Bald soll man Touren vorab am PC planen können

40 000 Touren sind auf dem Portal bereits abzurufen - obwohl es noch nicht einmal möglich ist, die Strecke aufzunehmen, also zu tracken, und sich gleichzeitig vom Navi lenken zu lassen. "Aber da sind wir dran", verspricht App-Entwickler Rothwangl.

Möglichst bald soll auch die Möglichkeit dazukommen, dass man Touren am Computer planen und dann aufs Handy laden kann. Jetzt schon bietet die App Fotos, ein Höhenprofil, eine Beschreibung der Tour mit Kilometerangabe, Anforderungen und erwartete Wanderzeit sowie spezielle Autorentipps.

Langsam geht es am Lainbach entlang Höhenmeter für Höhenmeter aufwärts. Noch gibt es nicht viel falsch zu machen, erst auf 1040 Meter teilt sich zum ersten Mal der Weg. Der Handyakku aber saust Prozent um Prozent der vollständigen Entleerung entgegen.

Stefan Winter, Ressortleiter Alpensport beim Deutschen Alpenverein, kennt die Probleme, wenn sich Wanderer zu sehr auf die Technik verlassen, und dann orientierungslos ohne Karte und Telefon am Berg verirren. "Ist die Batterie leer und gibt es keinen Strom, können sie nicht mal einen Notruf absetzen", sagt Winter. Das kann gefährlich werden. Daher gehört für ihn zum sogenannten Kleinzeug im Wanderrucksack neben einer Karte immer ein Ersatzakku oder ein Solarladegerät, dazu Batterien und Taschenlampe.

Winter zitiert fürs Wandern gerne die drei-mal-drei-Regel, die jeder befolgen sollte: zu Hause, am Startpunkt und an einem Schlüsselort der Tour werden dabei die drei Faktoren Gelände, Wetter, Mensch geprüft. Das heißt beispielsweise, dass die Gruppe nur so schnell geht wie der Langsamste und die Gruppe die Tour anpasst, wenn einer einen schlechten Tag hat oder das Wetter mies ist.

Die App enthält zwar alle wichtigen Informationen zum Gelände, zu Hütten, Höhenmetern und zum Wetter. Aber ein Risiko kann sie nicht ausschalten: "Den Menschen", sagt Winter. Da hilft nur eine gute Selbsteinschätzung.

Heute soll das Handy tracken statt navigieren

Die Tutzinger Hütte ist das Ziel für diesen Tag. Gemütlich steckt man die Füße in Hausschuhe und das Handy in die Ladestation. Als es am nächsten Morgen weitergeht, brennt die Sonne vom Himmel. Das Handy darf aus seiner Plastikhülle. Und wenn man es eh in der Hand hat, kann man auch sofort ein paar Fotos machen und in die Tour hochladen, wenn man sich einmal im Portal registriert hat. Oder man genießt die Landschaft und stellt fest, dass die Benediktenwand tatsächlich so beeindruckend schön ist, wie auf den Bildern, die der Autor der Tour zuvor hochgeladen hat.

Heute soll das Handy tracken statt navigieren. Über den Latschenkopf geht es weiter zum Vorderen Kirchstein und zum Stangeneck. Dann wieder bergab, um den Schrödelstein zu umgehen. Anschließend Schlussanstieg zum Gipfelhaus Brauneck, wo Schweinsbraten und Buttermilch auf müde Wanderer warten. Erbarmungslos zeigt das Handy den schlechten Schnitt an: vier Stunden 20 für 9,6 Kilometer, eigentlich hätte es eine Stunde weniger sein sollen.

Als man später in der Bahn nach München feststellt, dass man vergessen hat, die Aufnahme der Tour zu beenden, steht sie auf sechs Stunden 25. Als Erinnerung ist es trotzdem gut.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2014
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