Süddeutsche Zeitung

Reisende in der Corona-Krise:Die letzten Gestrandeten

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Die große Rückholaktion des Auswärtigen Amts geht zu Ende, doch noch immer sitzen manche Urlauber fest - mal mehr, mal weniger verzweifelt.

Protokolle von Monika Maier-Albang

Klaus und Irene Goergen, zurzeit San José, Quebradillas, Puerto Rico

"Meine Frau und ich sind seit 7. März auf Puerto Rico. Wir wollten meinen Bruder und seine Frau besuchen, die hier leben. Jetzt sitzen wir in einer kleinen Ferienwohnung fest und müssen diesen Irrsinn miterleben. Täglich landen hier rund 20 Flüge aus New York, Florida, Chicago und anderen stark betroffenen Gebieten der USA. Viele Fluggäste sind infiziert, aber die Leute werden nur mit der Auflage, zu Hause zu bleiben, entlassen. Oft sind es Exil-Puertoricaner oder US-Amerikaner mit Feriendomizil in Puerto Rico. Die Krankheit hier ist eine importierte, wie fast überall, aber hier wird der Import konsequent fortgesetzt.

Der Inselstaat, der als sogenanntes Außengebiet zu den USA gehört, hat kaum Möglichkeiten, seine Bewohner zu testen. Verzweifelt hat die Regierung versucht, Tests zu kaufen, auch in Deutschland. Dann hat die Trump-Regierung das verboten, die Tests mussten in den USA gekauft werden, für deutlich mehr Geld. Die Hälfte der Tests muss zudem an die US-Regierung zurückgegeben werden. So agieren Kolonialherren in ihren Kolonien.

Natürlich haben wir uns für das Rückholprogramm beim Auswärtigen Amt registriert. Von dort kam aber nur die Bestätigung dieser Registrierung, sonst nichts. Also leben wir jetzt hier seit dem 15. März mit einer Ausgangssperre, nur zum Einkaufen von Lebensmitteln und Medikamenten - ich brauche Blutdrucksenker - dürfen wir die Wohnung verlassen. Keine Spaziergänge, kein Strandbesuch. Ab 19 Uhr ist dann totales Ausgangsverbot.

Unser Rückflug war für den 4. April gebucht. Dieser Flug wurde von Condor abgesagt, ebenso drei Folgeflüge. Der nächste Flug sollte am 16. Mai sein, allerdings erfahre ich gerade, dass wohl auch er abgesagt wird. Jetzt würde ein Direktflug in die Heimat erst am 27. Juni gehen. Wir werden also wohl einen Flug über die USA finden müssen - was sehr schwer sein wird, da fast alle Flüge nur angekündigt sind, aber dann nicht wirklich gehen. Und über New York zu fliegen, mit Übernachtung in der Stadt, das hielte ich doch für aberwitzig: Sieben Wochen Ausgangssperre, um dann dort zu sein, wo das Virus an jeder Ecke lauert. Das ist uns alten Leuten zu riskant."

Redouane Amali sitzt bei seinen Eltern fest, bei strenger Ausgangssperre

"Ich bin eigentlich nur für zehn Tage nach Marokko geflogen, um meinen kranken Vater zu besuchen. Nun sind daraus sechs Wochen geworden. So wie Hunderte andere Deutsche oder Deutsch-Marokkaner sitze ich noch immer fest. Viele haben zu Hause Frau und Kinder, die jetzt auf sich gestellt sind. Andere erzählen, dass ihr Medikamentenvorrat zu Ende geht oder dass sie Angst haben, ihren Job zu verlieren. Die Leute verzweifeln!

Meine Eltern wohnen in Mohammedia, 25 Kilometer von Casablanca entfernt, zum Glück bin ich bei ihnen zu Gast. Dieses Privileg hat nicht jeder. Die Ausgangssperre ist sehr streng, man braucht eine schriftliche Genehmigung der Gemeinde für Einkäufe, medizinische Versorgung. Die Polizei kontrolliert an jeder Ecke stichprobenartig, ob man die Genehmigung dabei hat und eine Maske trägt. Falls nicht, kann man verhaftet werden. Auch Reisen zwischen Städten sind verboten. Merkwürdig ist, dass viele Länder wie Schweden, Belgien und Frankreich es im Lauf der letzten Wochen geschafft haben, mit den marokkanischen Behörden auszuhandeln, dass sie ihre Landsleute ausfliegen dürfen. Wir aber werden von der deutschen Botschaft mit oft wiederholten Texten vertröstet. In der letzten Mitteilung vom 21. April hieß es, dass die marokkanischen Behörden irgendwelche Einschränkung für die Doppelstaater vorschreiben. Am 23. April hat der marokkanische Außenminister vor dem Parlament gesagt, dass das so nicht stimme. Er erklärte, dass es keine Einschränkung dieser Art gebe. Für uns ist es unmöglich rauszufinden, woran es nun tatsächlich liegt, dass wir noch in Marokko festsitzen.

Ich hatte mich überall, wie gefordert, registriert: bei Elefand, beim Auswärtigen Amt und Condor - und habe dies mehrmals wiederholt und aktualisiert. Ich wurde bis jetzt kein einziges Mal persönlich kontaktiert. Mein Arbeitgeber zeigt sich tolerant, aber wie lange noch? Und, was mich wirklich schmerzt: Am 24. April hatte mein einziger Sohn seinen 18. Geburtstag. Und ich konnte nicht dabei sein."

Matthias und Zulma Jehnichen, gestrandet auf Kuba

"Meine Frau und ich leben in Kottmar in Sachsen, meine Frau stammt aus Kuba. Wir sind am 4. März dorthin geflogen, um ihre Familie zu besuchen. Am 5. April wäre unser Rückflug nach Dresden gewesen, aber der wurde storniert. Jetzt sitzen wir immer noch fest! Dabei haben wir uns gleich registrieren lassen für die Rückholaktion von Condor. Dort wurde mir gesagt, ich solle mich auf die Liste des Auswärtigen Amts setzen lassen, habe ich auch getan. Ich hatte mehrere Mails und Telefonate mit dem Amt, weil noch Dokumente fehlten. Die haben wir auch alle nachgereicht. Aber es kam keine Benachrichtigung für einen Flug.

Am 2. April habe ich dann zufällig im Internet gelesen, dass der letzte Flug der Rückholaktion tags drauf stattfinden soll. Keine Notiz vom Amt, nichts. Ich habe sofort bei der Botschaft angerufen. Dort wurde mir gesagt, wir sollten bis morgen 13.30 Uhr am Flughafen sein. Dafür hätten wir uns ein staatliches Taxi suchen und für 450 Euro bis Havanna fahren müssen. Eine Garantie, dass wir einen Platz in der Maschine bekommen, gab es nicht. Deshalb haben wir das nicht gemacht. Einmal haben wir ein Angebot bekommen für einen Flug nach Mailand. Aber wie wären wir denn von Italien aus nach Hause gekommen, wo doch die Grenzen dicht sind?

Wir stehen jetzt auf der Liste der Übriggebliebenen. Wir sind hier in Quarantäne, aber es fehlt uns an nichts. Wir hoffen halt, dass sich die Reisebestimmungen wieder normalisieren. Wahnsinn. So langsam sind wir mit unserem Glauben an den deutschen Staat am Ende. Die fliegen lieber Erntehelfer durch Europa."

Michael Moritz ist eigentlich auf Weltreise, nun sitzt er fest, zum Glück mit seiner Freundin Anna Baranowski

"Es ist schon verrückt, wie das gesellschaftliche Leben auf der ganzen Welt innerhalb einiger Wochen komplett auf den Kopf gestellt wurde. Seit über einem Jahr bin ich nun auf einer Weltreise. Ohne auch nur einmal den Flieger zu nehmen, bin ich so bis nach Nepal gekommen. Für mich und meine Freundin Anna Baranowski, die eigentlich nur für ein paar Wochen zu Besuch kommen wollte, kamen die Ausgangssperren und Reisestopps ganz überraschend. Wir waren gerade noch auf einer Trekkingtour im Himalaja, als uns auf einmal Wanderer entgegenkamen, die sich so schnell wie möglich auf den Weg zum Flughafen machten.

Nur wenige Tage später waren bereits Lebensmittelläden zu, Restaurants geschlossen und die Straßen menschenleer. Die geplante Route sah eigentlich eine Weiterreise nach Indien und Pakistan vor. Doch die bereits bewilligten Visadokumente sind nun für ungültig erklärt und die Grenzen dichtgemacht worden. Nun sitzen wir die größte globale Krise der Nachkriegszeit im höchsten Gebirge der Welt aus. Auch gegen die Rückholaktionen der Bundesregierung haben wir uns bewusst entschieden. Mein Glück im Unglück ist, dass Annas Rückflug storniert wurde, die anstehenden Jobs in Deutschland verschoben sind und sie daher die Ausgangssperre im Bergparadies der Quarantäne in den städtischen vier Wänden vorzieht.

So haben wir jetzt endlich Zeit, an unserem gemeinsamen Filmprojekt zu arbeiten, einem Reisedokumentarfilm für Kinder. Momentan leben wir mit einer nepalesischen Familie auf ihrem kleinen Bio-Bauernhof. Den Menschen auf dem Land, die sich mit ihrer eigenen Ernte versorgen können, geht es hier viel besser als denen in der Stadt. Wir packen auf dem Acker mit an, schauen zu, wie die Honigbienen gepflegt werden und helfen beim Bau eines Stalls für den neuen Ochsen, der ab jetzt den Pflug ziehen wird. Auch nach Corona wird dieses einfache und glückliche Leben in Nepal sicherlich seine Spuren bei uns hinterlassen."

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Quelle:
SZ vom 30. April 2020
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