Süddeutsche Zeitung

Reisemagazin Merian:Die Lust am Bleiben

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Modernisieren, ohne Stammleser zu vergraulen: Vor dieser Aufgabe steht das seit 60 Jahren erscheinende Reisemagazin Merian.

Viola Schenz

Grob unterteilt, gibt es vier Typen von Reisenden: Die Traditionalisten, die jeden Mai eine Woche nach Südtirol fahren und jeden August drei Wochen an die Nordsee. Die Ausprobierer, die sich die Welt Jahr für Jahr Land für Land erschließen. Die Spontanen, die sich ihr Ticket am Last-Minute-Flughafenschalter kaufen. Und die Träumer, die seit Kindheitstagen die Mongolei besuchen wollen.

Letztere sind die ideale Merian-Zielgruppe, denn: "Merian dient der Reise-Inspiration", sagt Chefredakteur Andreas Hallaschka, "Merian muss dem Leser das Gefühl vermitteln, dass er schon mal dort gewesen ist."

Das Magazin, das sich ein "Synonym für Reisen und Kultur" nennt, feiert gerade 60 Jahre. Die Juli-Ausgabe 1948 war der Auftakt. 1948 - das war die Zeit, als die Deutschen noch Kriegsschutt wegkarrten, als die Berliner über die Luftbrücke der Amerikaner und Briten vor dem Hungertod bewahrt wurden, als die Kriegsgefangenen noch nicht aus Russland zurückgekehrt waren.

1948 dachte niemand in Deutschland ans Verreisen. Kurt Ganske dachte auch nicht ans Verreisen, er dachte ans Bewahren. Der Buchhändler Ganske wollte deutsche Städte festhalten, in einer "Monographienreihe", Monat für Monat, in Wort und Bild.

"Die Leser sollten kennen, was sie nie mehr verspielen dürfen", schreibt Manfred Bissinger, jetzt Herausgeber, einst Chefredakteur, im Vorwort zu "Das große Merian Buch", das gerade erschienen ist. "Die Grundidee von Merian war im besten Sinne konservativ, die Zeitschrift wollte dokumentieren, um zu bewahren."

Namenspatron war der Kupferstecher Matthaeus Merian (1593 - 1650), der während der Zerstörungen des Dreißigjährigen Kriegs Deutschland in Kupferplatten verewigte. Das erste Merian-Heft war dem zerbombten Würzburg gewidmet, das Titelbild ein Kupferstich der einst prunkvollen Barockstadt.

Merian ist zum Sammeln gedacht, bei einem Einzelpreis von heute 7,50 Euro bietet sich das auch an. "Ein Heft soll ein paar Jahre halten, wenn nicht sogar länger", sagt Oliver Voß, Verlagsleiter beim Mutterverlag Jahreszeiten.

Merian steht für Zeitlosigkeit

Dort, in Hamburg, ist man stolz darauf, dass sechs der mittlerweile 750 Hefte zum Inventar des Deutschen Historischen Museums in Berlin gehören. Merian steht für Zeitlosigkeit. Nur die drei, vier Sonderausgaben pro Jahr haben ein Erscheinungsdatum auf dem Cover, die zwölf Hefte des Jahres-Abos lediglich Jahrgangnummern auf dem Rücken. Nur erfahrene Leser können die dechiffrieren.

Diese Leser "gehören der oberen sozialen Gesellschaftsschicht an", hat der Verlag herausfinden lassen, sie sind "eine einkommensstarke und konsumfreudige Zielgruppe". Das ist gut, das lockt Anzeigenkunden. Die Mehrheit der Leser ist aber bereits jenseits der 50, und das ist nicht so gut.

Der Jahreszeiten Verlag teilt die Sorgen einer ganzen Branche: Lesernachwuchs bleibt aus, Auflagen gehen zurück. Merian brachte 1980 noch gut 265.000 Exemplare auf den Markt, inzwischen nur mehr 90.000. Die Hälfte der Auflage geht an Abonnenten. Das garantiert eine gewisse Absatzsicherheit, führt aber auch zu Ansprüchen.

"Den Abonnenten müssen wir natürlich was Ausgefallenes bieten, da kann man nicht alle zwei Jahre Paris und Berlin machen, selbst wenn das vom Anzeigenaufkommen lukrativ wäre", sagt Voß. "Exotenhefte" wie die Mongolei oder Burma kämen zwar gut bei den Lesern an, seien aber "im Anzeigenmarkt nicht so relevant".

Eigentlich ist es erstaunlich, dass es Merian überhaupt noch gibt in Zeiten, in denen sich kaum noch jemand die Muße nimmt, sich vorab in sein Urlaubsziel einzulesen, in denen dutzende Reisebuchverlage längst zu Konkurrenten für Magazinmacher geworden sind, in denen selbst Fernreisen schwuppdiwupp im Internet geplant und gebucht werden.

Essays, verfasst von Literaten

Wie macht man in solch widrigen Zeiten Umsatz? Geo zum Beispiel, die Konkurrenz aus dem Hause Gruner + Jahr, versucht es mit allen möglichen Spezial-Heften ( Geo Wissen, Geo Epoche, Geo kompakt) und setzt auf den internationalen Markt: Geo erscheint mittlerweile in 20 Ländern.

Und Merian? Dort schlug sich der verordnete Konservativismus des Kurt Ganske lange, zu lange in Biederkeit, Behäbigkeit, Bravheit nieder. Das Merian-Erfolgsrezept lautete über viele Jahre: Kultur-Essays, verfasst von angesehenen Literaten.

Walter Kempowski schrieb hier, Hermann Kersten, Luise Rinser, Hermann Hesse, Siegfried Lenz. Ab Mitte der fünfziger Jahre, als Merian begann, über die deutschen Grenzen zu blicken - 1958 tauchte zum ersten Mal Italien auf dem Titelbild auf - kamen Umberto Eco, Carlos Fuentes, Ephraim Kishon oder Salman Rushdie dazu. Es sollten Schreiber sein mit Bezug zur jeweiligen Region, nicht zu herrschenden Trends.

"Redakteure und Autoren haben es bewusst vermieden, sich dem Zeitgeist und den Moden hinzugeben", schreibt Bissinger. Aber jetzt stehen die Redakteure vor dem Problem, ihr Produkt zu modernisieren, ohne die älteren Stammleser zu vergraulen.

Kürzere Texte, mehr Service

Inzwischen hat sich viel getan. Das literarische Magazin mutierte zur "Lust am Reisen", die jedes Cover oben rechts ausruft. Das Gros der Autoren sind Journalisten, die Texte sind kürzer, der Service-Teil größer, "Nutzwertigkeit", wie Oliver Voß es nennt, ist dazugekommen - Hotelempfehlungen, Restaurant- und Shopping-Tipps.

Allerdings: Damit unterscheidet sich Merian inhaltlich kaum noch von einem Reiseführer in Buchform. Chefredakteur Hallaschka sieht das anders: "Mit Reiseführern können wir gar nicht konkurrieren, das wollen wir uns auch nicht anmaßen, wir geben eine erste Orientierung und Hintergrund."

Neue Produktpalette

Seit 15 Jahren baut der Jahreszeiten Verlag zusätzlich auf eine "neue Produktpalette" (Voß): Sprachführer, Kalender, Bildbände, Karten oder ein eigens entwickeltes Navigationssystem sollen den Umsatz steigern. Auch die Auswahlkriterien der Themen haben sich den Marktbedingungen angepasst: Eine Stadt wird nicht mehr deswegen portraitiert, weil sie wieder an der Reihe ist, sondern weil ein Ereignis ansteht. Das jüngste Heft dreht sich EM-gemäß um Zürich, zu den Olympischen Spielen wird eine Peking-Ausgabe erscheinen.

Bei Städteportraits im deutschsprachigen Raum reist auch mal die Redaktion eigens an, erzählt Oliver Voß, gibt Lesungen, plaudert mit dem Publikum. Leser-Blatt-Bindung heißt das. Vielleicht wird auf solchen Veranstaltungen klar, dass das Magazin gar nicht so verstaubt ist, wie es oft gilt.

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Quelle:
SZ vom 1.7.2008
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