Süddeutsche Zeitung

Reeperbahn:Der Kiez verändert sich

Lesezeit: 3 Min.

Der Theatermacher und Unternehmer Corny Littmann erklärt, wie wichtig Kultur trotz allem ist. Und wie er es schafft, trotz Corona-Vorschriften seine Häuser in Hamburg einigermaßen profitabel zu betreiben.

Interview von Angelika Slavik

Corny Littmann sitzt auf einem kleinen roten Sofa im Foyer des Schmidt Theaters, es ist das Zentrum seines Reiches. Littmann, 67, betreibt mehrere Häuser auf dem Kiez, früher war er auch mal Präsident des Fußballklubs FC St. Pauli. Mittlerweile beschäftigt er 250 Leute in den Theatern und Gastronomiebetrieben, nicht nur deshalb ist er eine Größe auf der Reeperbahn. Littmann zieht an einem Tabakerhitzer. "Viel gesünder als Zigaretten", sagt er. Auf ihm turnt Gustav, sein Chihuahua.

Herr Littmann, man sagt ja, Ihnen gehöre die halbe Reeperbahn. Wie hat Corona das Kiezleben verändert?

Corny Littmann: Erheblich. Die Besucherzahlen auf dem Kiez sind drastisch zurückgegangen. Hier auf dem Spielbudenplatz mit dem kulturellen und dem gastronomischen Angebot haben wir die zurückliegende Zeit ganz gut überstanden, weil sich viel in der Außengastronomie abgespielt hat. Bei vielen kleineren Läden ist das gar nicht möglich gewesen. Und dann gibt es die Musikclubs auf der Reeperbahn, die im Moment überhaupt keine Möglichkeiten haben, Veranstaltungen durchzuführen. Die werden derzeit natürlich von der Stadt unterstützt, aber ob das dauerhaft möglich ist? Da habe ich meine Zweifel.

Sind jetzt schon Jobs weg?

Die Pleitewelle ist auf der Reeperbahn noch nicht angekommen. Es gibt natürlich viele Gerüchte, wer denn alles schließen werde, aber bis jetzt gibt es kein prominentes Beispiel. Wenn die Situation bis ins Frühjahr hinein so bleibt, womit man wohl rechnen muss, ist überhaupt nicht auszuschließen, dass es viele nicht schaffen werden.

Aber in Ihren Theatern wird gespielt.

In unserem größten Haus, dem Tivoli, haben wir schon seit dem 2. Juli wieder geöffnet. Das erste deutsche Theater, das seinen dauerhaften Spielbetrieb wieder aufgenommen hat, glaube ich. Wir spielen "Paradiso". Dafür haben wir im Zuschauerraum eine Pflanzenwelt installiert. Die Besucher sitzen in einem paradiesischen Garten, fantastisch. Wir halten die Abstände ein, und trotzdem haben weder Gäste noch die Künstler auf der Bühne das Gefühl, sie seien in einem nur halb vollen Theater. Dabei sind nur 250 von 630 Plätzen belegt, 40 Prozent. Hier im Schmidt Theater, unserem mittelgroßen Haus, spielen wir wieder ab Mitte Oktober - eine Produktion, die wir extra entwickelt haben.

Lohnt sich der Spielbetrieb überhaupt, mit nur 40 Prozent Auslastung?

Wenn Sie mich fragen, ob es sich rechnet, dann stellen Sie die zweite Frage vor der ersten. Dass Kultur in diesen Zeiten stattfindet, ist das Wichtigste. Darauf kommt es an: dass es Theater auch in dieser Krise geben kann. Erst dann kommt die Frage, ob es sich rechnet. Wir schreiben keine roten Zahlen, weil wir von der Kulturbehörde sehr gezielt unterstützt werden. "Paradiso" hat in der Herstellung 160 000 Euro gekostet. Das ist für eine so große Produktion nicht viel, aber trotzdem ein Batzen Geld. Da hat uns die Stadt geholfen und uns die Zusicherung gegeben: Sollte der laufende Betrieb unter diesen Bedingungen defizitär sein, werde uns auch hier geholfen. Aber voraussichtlich schreiben wir schwarze Zahlen. Die ersten beiden Monate waren gut besucht.

Eigentlich gehört Körperkontakt zum Kiez. Wie kann man sich Freitagabend auf der Reeperbahn nun vorstellen?

Es ist ja ein Mythos, dass sich hier ständig alle in den Armen gelegen wären, das war auch vor Corona nicht so. Klar, auf der Großen Freiheit, wo es viele Nachtclubs gibt, spielt sich herzlich wenig ab. Aber in der Gastronomie ist jeder Platz draußen besetzt. Das ist beglückend für mich, dass Menschen in großer Anzahl überhaupt wieder auf die Reeperbahn kommen. Ich wohne ja hier um die Ecke, und zum Höhepunkt der Krise war ich abends unterwegs und habe buchstäblich keinen einzigen Menschen gesehen. Niemanden! Das ist mir in 30 Jahren auf dem Kiez noch nie zuvor passiert.

Was muss man tun, um das Kiezleben zu retten?

Die Musikszene wird sicher noch eine ganze Zeit lang Unterstützung bekommen, alles andere ist unvorstellbar. Läden, die kleine Bands live spielen lassen, werden sicher stärker gefördert als Diskotheken, in denen nur die Charts rauf und runter gespielt werden. Ich bin mir sicher, dass die Lage bald besser wird. Es soll doch bald Schnelltests geben. Wenn man binnen 15 Minuten ein Ergebnis bekommen könnte, würde das ja völlig neue Chancen eröffnen. Dann wird wieder einiges möglich sein! Und selbst wenn nicht: Man soll die Veränderung nie fürchten.

Nicht?

Der Kiez verändert sich ständig. Schon vor der Pandemie gab es keine einzige Peepshow mehr. Keine einzige! Es gibt auch nur mehr wenige Bars mit Animiermädels, die zu Recht einen fragwürdigen Ruf hatten. Auch Live-Sex-Shows gibt es nicht mehr. Dafür gibt es 57 Kioske auf der Reeperbahn, die unangenehmes Publikum anziehen, das sich für wenig Geld nur volllaufen lassen will. Jetzt gibt es wegen Corona seit ein paar Wochen ein Alkoholverbot für den Außer-Haus-Verkauf, und diese Leute tauchen im Moment nicht auf. Das ist sehr förderlich für eine angenehme Atmosphäre. Natürlich ist Corona ein Einschnitt. Aber vielleicht ist das, was dann daraus entsteht, sogar attraktiver als vorher.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5024658
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.09.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.