Süddeutsche Zeitung

Programm an Bord:Auf der Yoga-Welle

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Reedereien übertreffen sich mit kulinarischen und sportlichen Angeboten. Jetzt haben sie auch noch Spirituelles im Tagesprogramm.

Von Jutta Pilgram

Das größte Problem auf einer Kreuzfahrt ist der Verzicht. Schwerer als der Sonnengruß beim Yoga, der Pasta-Workshop im Bordrestaurant oder die Fahrradtour während des Landgangs. Denn Verzicht ist eigentlich das Gegenteil einer Kreuzfahrt. Diese Form des Reisens steht für Überfluss, für Hafen-Hopping, für ein Überangebot an Speisen, Sport und Spaß, kurz für Verschwendung und Völlerei.

Doch hat man einmal verstanden, dass es unmöglich ist, alles zu essen, alles zu trinken und alles zu erleben, was auf dem Programm steht, wird die Kreuzfahrt zum Genuss. Das jedenfalls kann man bei Sylvia Dittmar lernen, Yogalehrerin auf der Mein Schiff 1. Sie steht in der abgedunkelten Turnhalle auf dem Sportdeck. "Stille löst bei uns ein Gefühl des Mangels aus", sagt sie. "Wir denken dann, wir müssten sofort nach irgendetwas schnappen und konsumieren. Doch das ist gar nicht nötig."

Zwanzig Passagiere liegen auf dem Boden, die Yogamatten haben sie in einem Kreis angeordnet, die Füße stoßen aneinander. "Habt keine Angst, den Mangel auszuhalten", ruft Dittmar. Heute spricht sie über den Atem und das Om-Singen. "Wer hat noch nie ge-omt?", fragt sie. Alle Hände gehen in die Luft. "Keine Sorge, es ist dunkel, niemand sieht euch." Und dann singen tatsächlich alle: "Aaaa-uuuu-mmm." Der Klang, der seit Jahrhunderten verwendet wird, um Körper, Geist und Seele in ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen.

Gleichgewicht ist elementar beim Yoga. Auf einem Schiff ist es nicht leicht, in der richtigen Haltung zu verharren. Bei hohem Wellengang auf den Kanaren nicht ungewöhnlich, geraten selbst geübte Yogis aus der Balance. Während sie sich bewegen, wankt das Schiff, knirschen die Wände der Turnhalle, schlägt eine Tür, peitscht das Meer gegen den Rumpf. "Es kommt auf die innere Haltung an", sagt Dittmar.

Zum dritten Mal gibt es einen Yoga-Schwerpunkt auf einem Schiff der Tui-Cruises-Flotte. Ungefähr 50 Personen haben das Extrapaket für 179 Euro gebucht, vor allem Frauen. Fünf Yogalehrerinnen unterrichten täglich sechs verschiedene Kurse und präsentieren aktuelle Trends - von Tiefenentspannung über Faszientraining bis zu Aerial-Yoga, bei dem man in einem Tuch unter der Decke schwebt.

In den Bars auf Deck herrscht Hochbetrieb, die Yogatruppe verpasst schon wieder den Sonnenuntergang. "Jede Zelle eures Körpers atmet", ruft Dittmar. "Spürt ihr es?" Der Atem strömt ein und aus, er fließt durch den Körper, bewegt sich auf und ab wie die Wellen auf dem Meer. Drinnen in der Turnhalle atmen die Yogaschüler, draußen in der "Hoheluft Bar" füllen sich die Gläser mit Rosé und Champagner.

Die Getränke muss niemand extra zahlen. "Premium All Inclusive" heißt das Konzept, es ist das Markenzeichen von Mein Schiff und bedeutet, dass so gut wie alle Speisen und Getränke gratis sind, sogar die Cocktails in der Lounge und der Sekt beim Frühstück. Das vorgelagerte Wörtchen "Premium" soll den negativen Anklang von Flatrate oder All-inclusive-Bändchen vertreiben. "Premium" heißt auch, dass kein billiger Fusel ausgeschenkt wird, sondern meistens Markengetränke.

Damit will sich Tui Cruises von anderen Anbietern absetzen. Etwa vom deutschen Marktführer Aida. Dort sind Bier, Wein, Wasser und Softdrinks während der Mahlzeiten in den Büffetrestaurants inkludiert. Dafür ist der Grundpreis einer Aida-Kreuzfahrt im Schnitt niedriger. Auf den Schiffen der absoluten Luxusklasse gibt es hingegen gar kein All-inclusive.

"Ich habe kein Problem damit, noch etwas extra zu bezahlen", sagt der Berliner EDV-Unternehmer Klaus Müller, "aber im Urlaub will ich nicht darüber nachdenken müssen, ob das jetzt zu teuer ist." Lieber zahlt er gleich ein bisschen mehr und kann dann entspannen. "Ich bin der Typ Power-Faul-Urlauber. Das ganze Jahr Stress im Job - da will ich im Urlaub nur noch Sonne, Bücher und Caipirinha."

Eine Kreuzfahrt kam für Müller eigentlich nie in Frage. "Ich konnte mir nicht vorstellen, den ganzen Tag auf einem Schiff eingepfercht zu sein", sagt er. Und auf Smokingzwang hatte er auch keine Lust. Seine Frau Nordika Becker hat ihn überredet - jetzt sind beide begeistert. Sie fühlen sich weder eingepfercht noch gegängelt. Becker gefällt vor allem das hanseatische Design: "Die Farben und Muster sind toll aufeinander abgestimmt, so richtig edel und gediegen." Müller ist fasziniert von der Logistik: "Alles läuft wie am Schnürchen, wie von Geisterhand." Und gestern hat ihn ein Theaterstück beeindruckt: "Die Welt ist Klang - das fand ich geil", sagt er.

Das kleine Bordtheater ist bis auf den letzten Platz besetzt. "Nada Brahma - die Welt ist Klang" heißt das Stück. Es ist die Geschichte eines Rucksackreisenden, der in einem tibetischen Kloster die Erleuchtung sucht. Geschrieben hat es der deutsche Musikproduzent Joachim-Ernst Behrendt, einst Anhänger des indischen Gurus Bhagwan Shree Rajneesh. Eine Cellistin spielt zu Orchester-Playback, Bilder von Landschaften ziehen über die Leinwand. Es geht um die Stille, um die Musik der Meere und den Klang, der alles umgibt.

"Unser Universum schwingt", sagt der buddhistische Abt in der Geschichte, die ein Schauspieler vorliest. Mit seinem orangenfarbenen Gewand sieht auch er aus wie ein Baghwan-Jünger aus den Achtzigerjahren. Damals galten die Sannyasins als Spinner, als missratene Söhne und Töchter der Wohlstandsgesellschaft. Heute taugen ihre Erkenntnisse für das Nachmittagsprogramm auf einer Kreuzfahrt.

Überhaupt zeigt sich auf dem 3000-Passagiere-Schiff, wie sehr die alternativen Ideen, die nach 1968 entstanden sind, inzwischen den Massengeschmack treffen, ganz gleich ob fernöstlich oder ökologisch inspiriert. Sogar auf einem Schiff, das die Passagiere möglichst wenig mit Fremdheit überfordern will. Alle Einrichtungen sind konsequent deutsch beschriftet: Der Mini-Klub heißt Nest, die Bars heißen Hoheluft, Ausguck oder Überschau Bar, die Restaurants Esszimmer, Tag und Nacht oder Große Freiheit, die Disco Abtanz Bar. Selbst die Geschäfte in der Ladenzeile, die den Charme einer Karstadt-Filiale verströmt, tragen Namen wie Männersache oder Meine Lebenslust.

Das Bistro "Ganz schön gesund" bietet Trendfood wie Avocado-Bowls mit gerösteten Süßkartoffeln, glutenfreien Apfel-Crumble mit Kürbiskernen und vegane Smoothies mit Sellerie und Fenchel. Die Möhren in den Weckgläschen sind aus Plastik, sonst wäre die urbane Hipster-Kulisse perfekt. Wer den Vorspeisenteller mit Hummus, Auberginenpüree, Guacamole und Muhammara, der einem ungefragt aufgetischt wird, bewältigt hat, verspürt anschließend keinen Hunger mehr. Auch hier gilt: Verzicht ist besser.

"Ohne Disziplin geht es nicht auf so einem Schiff", sagt Nordika Becker. Sie lobt das üppige Sportangebot. Die Mein Schiff 1, das jüngste Schiff der Tui-Cruises-Flotte, hat mit 2400 Quadratmetern die größte Spa- und Gym-Fläche. Der 25 Meter lange Pool lädt zum Bahnenschwimmen ein. Ein "Trimm-dich-Pfad" begleitet die 438 Meter lange Joggingstrecke, die über einen freischwingenden Bogen streckenweise sogar bergauf führt.

Unterhalb des Joggingbogens, in der Außenalster Bar, schwärmt ein Rentner vom Ingwer-Minze-Saft. Und vom gestrigen Workshop, in dem er gelernt hat, wie man handmassiertes japanisches Rind filetiert. Er will unbedingt auch den Kurs im Brotbacken belegen, der in der Manufaktur stattfindet. Heute hat er auf seiner Kabine zehn Extrakapseln für die Espressomaschine vorgefunden. Als Belohnung dafür, dass er zum fünften Mal an Bord sei, erzählt er und freut sich wie ein Kind.

Aber verträgt sich eine Kreuzfahrt überhaupt mit Umweltbewusstsein und gesunder Lebensweise? Dass auf allen Decks Hinweise zur Müllvermeidung und Ressourcenschonung hängen, reicht sicherlich nicht aus. Tui Cruises, mit sechs Schiffen der zweitgrößte deutsche Anbieter, bemüht sich um Transparenz. Für das Nachhaltigkeitsmanagement ist Lucienne Damm zuständig, vormals Aktivistin beim Umweltschutzverband Nabu, der regelmäßig ein Ranking der umweltschädlichsten Kreuzfahrtschiffe herausgibt. Die Mein Schiff 1 rangiert ziemlich weit oben. "Durch den Fakt, dass fünf von sechs Schiffen bei uns Neubauten sind, haben wir die wohl modernste und umweltfreundlichste Flotte der Welt", sagt Tui-Cruises-Chefin Wybcke Meier.

Eine Reise mit Yogaschwerpunkt ist etwas anderes als eine Themenkreuzfahrt. Bei letzterer steht das ganze Schiff unter einem Motto. Wie bei der Full Metal Cruise, die regelmäßig die deutsche Heavy-Metal-Gemeinde versammelt. Andere Mottofahrten richten sich an Techno-Fans, die LGBT-Szene (die Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) oder Klassikliebhaber, mit den Wiener Philharmonikern zu Gast. Im April sticht erstmals der Jeckliner in See, eine schwimmende Karnevalshochburg.

In Deutschland ist Tui Cruises der Vorreiter bei Themenkreuzfahrten. In den USA gibt es das schon lange. Dort gehen Harley-Davidson-Biker, Nudisten, Star-Trek-Anhänger oder Fans der Untoten-Serie "Walking Dead" gemeinsam auf Fahrt. Auch für Menschen mit bestimmten religiösen Vorstellungen oder solche, die leidenschaftlich stricken, gärtnern, Golf oder Poker spielen, gibt es eigene Angebote.

In der Yoga-Klasse geht es an diesem Abend um Energie. "Alles ist im Fluss, alles ist in Bewegung", sagt die Yogalehrerin. Auch sie erzählt eine Geschichte von einem Mönch, der beim Blick in einen Brunnen nach Selbsterkenntnis sucht. Anja Rachel ist immer dabei. Drei bis vier Mal am Tag steht sie auf der Matte. "Ich fühle mich total befreit", sagt die 50-jährige Saarländerin. "Ich habe so viel Energie wie noch nie, mir fehlt nichts." Je mehr Yoga sie mache, umso weniger Schlaf brauche sie. Auch eine Form des Verzichts.

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Quelle:
SZ vom 21.02.2019
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