Süddeutsche Zeitung

Pauschalurlaub für Anspruchsvolle:Keine Animation! Keine Kinder!

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Betuchte Vielgereiste lehnen Reisebüros ab, übervolle Urlauberbusse lassen sie schaudern, unkultivierte Horden an Büffets lösen Allergien aus - Tourismusanbieter wollen diese Gäste dennoch ködern.

Michael Kuntz

"Hier bin ich nicht nur zufrieden: Hier fühle ich mich richtig wohl. Das kommt mir vor, als wäre das alles nur für mich." Das ist das Ziel, so soll sich der Gast fühlen, wie im sehr detaillierten, internen Handbuch für Hoteliers und ihre Mitarbeiter nachzulesen ist. Die Passage ist das Credo des größten europäischen Reiseveranstalters für den Umgang mit einer neuen Gruppe von Gästen. Es geht um die Menschen, die schon lange viel unterwegs sind - aber zuerst mit dem Rucksack und dann aus Gewohnheit nie mit Veranstaltern gereist sind. Das ist für Reisekonzerne wie Tui oder Thomas Cook eine schwierige Kundschaft, denn sie hat die interessantesten Ziele schon gesehen, kann aus eigener Erfahrung vergleichen und weiß genau, was sie will. Das soll es dann geben - kompromisslos.

Mit 50 bis 55 Jahren sind die Kinder aus dem Haus, so es denn welche gibt. Die Partner sind beide berufstätig, vielfach haben sie verantwortungsvolle Jobs mit entsprechenden Einkommen. Sie hatten oder haben kaum Zeit zu zweit. Den Gang ins Reisebüro lehnen sie seit Jahrzehnten ab, Flugtickets kaufen sie im Internet, voll besetzte Urlauberbusse lassen sie schaudern, unkultivierte Horden an Büffets lösen Allergien aus, Animateure finden sie überflüssig - Unterhaltung ja, aber bitte dezent.

Die Antwort der Reiseindustrie auf so viel überzeugte Gegnerschaft ist östlich von Antalya an der türkischen Riviera zu besichtigen. Hier betreiben sowohl Tui als auch Thomas Cook beim antiken Küstenstädtchen Side zwei Hotelanlagen, die prototypisch für diesen modernen Pauschaltourismus stehen. Das Sensimar Side Resort & Spa von Tui ist erst ein Jahr alt und wurde bereits speziell für das Paar-Konzept gebaut. Es unterscheidet sich äußerlich durch eine gegliederte Struktur mit viel Holz und gewölbten Dächern von den Betonkästen anderer Mittelmeerküsten, die dreißig Jahre früher touristisch erschlossen worden sind.

Im Neubau gibt es nicht nur einen Lichtcomputer, der zentral in allen öffentlichen Räumen für eine Beleuchtung sorgt, die als angenehm empfunden wird. Es riecht auch gut, und das ist kein Zufall, sondern Ergebnis eines Duftmanagements mit entsprechenden Maschinen in Hotellobby und Fluren sowie den frei zugänglichen sanitären Anlagen.

Damit kein Barkeeper auf den Gedanken kommt, ständig seine Lieblingsmusik abzududeln, gibt es ein international zentralgesteuertes Programm. Es wird von einer Spezialfirma in Stuttgart per Internet nach Zeitzonen gestaffelt in alle fünf Hotels dieser Tui-Marke übertragen. Am Pool gibt es musikfreie Zonen. Wiederholt wird nur der Sensimar-Song. Er erinnert täglich um 10 Uhr, 12 Uhr und 16 Uhr daran, wo man sich aufhält.

So viel sensible Zuwendung setzt sich in den mindestens 28 Quadratmeter großen Zimmern fort. In einigen steht die Wanne in einem zum Schlafraum hin offenen Bad quer vor dem Fenster - der Meeresblick ist garantiert. Unter den Betten findet der Gast, so er dort hinschaut, eine kleine Papp-Pyramide mit folgendem Aufdruck in türkischer, englischer und deutscher Sprache: "Zu Ihrem Komfort haben wir auch hier gereinigt."

Das Besondere an diesem Hotelkonzept ist, dass nichts stattfindet, was der Gast nicht möchte.

"Unser Kapital ist die genaue Kenntnis der Gästebedürfnisse", sagt ein Manager aus der Tui-Zentrale in Hannover. Sein Unternehmen ist der Marktführer unter den Tourismus-Anbietern. Jeder Gast bekommt Fragebögen - und das seit Jahrzehnten. "Wir sitzen auf einem riesigen Datenberg." Die Sensimar-Hotels müssen bei der Zufriedenheit Werte von mindestens 90 Prozent erreichen. Also neun von zehn Gästen müssen ankreuzen, sie seien "sehr zufrieden" oder "zufrieden" gewesen. Wer das nicht schafft, wird aus dem Sensimar-Programm verabschiedet. So erging es im Frühjahr einem Hotel auf Kreta, das durch ein anderes ersetzt worden ist. Unter anderem hatten Gäste in Internet-Foren von Fliegen auf dem Büfett berichtet.

Konsequenterweise bleibt an der türkischen Riviera auch beim Essen nichts dem Zufall überlassen. Alles geht, nichts muss. Wer Abwechslung braucht vom üppigen Büffet, kann auf Entzug gehen im Restaurant Kulinarium bei leichter Mittelmeerküche oder im Vital bei politisch korrekter Naturkost oder glutenfreien Mahlzeiten. Die Kalorienangaben werden mitserviert. Hunger droht zwischen Early Morning Tea um sechs Uhr und dem Mitternachtssnack von Mitternacht bis ein Uhr nur am späten Vormittag. Nach 11 Uhr und vor 12 Uhr ist das Spätaufsteherfrühstück vorbei, aber es sind noch keine Snacks an der Strandbar erhältlich, mit denen sich die Wartezeit bis zum Mittagsbüffet überbrücken lässt.

Die ausgeklügelten Essenszeiten sollen ein Gefühl des ständigen Umsorgtseins bei gleichzeitig größtmöglicher persönlicher Freiheit vermitteln. Ob das tatsächlich gelingt - da verlassen sich die Reiseveranstalter nicht allein auf ihre Fragebögen. Die werden zwar alle zwei Wochen ausgewertet. Die Hoteliers erfahren nach nur zwei Tagen, wie gut sie waren. Doch zum demoskopischen Desaster soll es gar nicht erst kommen.

Der Reiseleiter ist von gestern, im Hotel von morgen erkundigen sich Gästebetreuerinnen vormittags und am frühen Abend nach dem Wohlbefinden der Reisenden. Missstände stellen sie möglichst sofort ab. Offizielle Beschwerden sollen gar nicht erst nötig werden. Anders ist eine Zufriedenheit von mehr als neunzig Prozent nicht zu schaffen. Die Tui-Damen sind zu den Gästen stets sehr freundlich, zu den Hoteliers nicht immer.

Denn in einer Doppelfunktion sind sie auch dafür verantwortlich, dass die im Vertrag mit Tui festgelegten Leistungen tatsächlich erbracht werden.

Diese ständige Qualitätskontrolle kann für die Beteiligten strapaziös sein, sie bietet aber auch Vorteile. So jedenfalls sieht es Ahmet Demirci, 48, der Sensimar-Partner in Side. Seine Familie betrieb ein Gardinengeschäft am Schwarzen Meer. Sein Vater, heute 75, sattelte vor zweieinhalb Jahrzehnten um und pachtete ein Hotel mit 72 Zimmern. Demirci studierte Tourismus in Koblenz, und mittlerweile betreibt die Familie fünf Häuser. Sein neuestes baute und betreibt er exakt nach den Vorgaben aus Tuis Sensimar-Handbuch.

"Die Gäste bringen uns viel bei", sagt er. Man könne alles perfekt machen und dennoch eine Kleinigkeit vergessen. Die permanenten mündlichen und schriftlichen Befragungen seiner Gäste durch den deutschen Reiseveranstalter sieht er positiv und keinesfalls als Drangsaliererei. "Die Erwartungen der Gäste müssen übererfüllt werden", sagt Demirci - und dazu muss man sie erst einmal kennen.

Zu den Erwartungen der reiseerfahrenen verwöhnten Mittfünfziger, der Hauptzielgruppe im Sensimar-Konzept, gehört: "Es muss nicht jeden Abend Remmidemmi sein." Da leistet bereits der Reiseveranstalter eine gewisse Vorarbeit, indem er für Kinder keine attraktiven Rabatte oder gar eine spezielle Betreuung anbietet. Auf diese Weise bleiben die Älteren unter ihresgleichen. "Die Gästestruktur muss homogen sein, dann ist die Zufriedenheit am größten", weiß Stefanie Schulze zur Wiesch, 39, die Tui-Direktorin für ausgefeilte Reisekonzepte - also Urlaube in Clubanlagen oder eben in den Sensimar-Hotels.

Nicht nur Qualität versprechen, sondern auch garantieren, das ist gefragt gerade in Zeiten, wo die Tourismusindustrie mit einer Krise nach der anderen klarkommen muss. Tui-Konkurrent Thomas Cook hat mit der Marke Sentido ebenfalls ein zielgruppenorientiertes Angebot für verwöhnte Reisende mittleren Alters, die Urlaub ohne Experimente schätzen. Noch macht diese Art des Reisens nur einen sehr kleinen Teil des organisierten Tourismus aus. Doch die Fachleute sind überzeugt, dass hier die Wachstumschancen liegen für eine Industrie, die ihre Kundschaft jahrelang eher massenhaft abgefertigt hat. Schulze zur Wiesch formuliert es so: "Wenn der Gast das Gefühl hat, ein Mehr an Leistung zu bekommen, dann ist er auch bereit, einen scheinbaren Mehrpreis zu bezahlen."

Ahmet Demirci lässt seine Hotels alle acht Jahre generalüberholen, ein 21 Jahre altes Haus ließ er sogar abreissen. Früh haben er und viele andere Hoteliers in der Türkei den Trend zur für den Kunden gut kalkulierbaren Reise mit All-Inklusive-Verpflegung erkannt. Das ist zur Zeit ein großer Vorteil im Wettbewerb der Mittelmeer-Anrainer um die Gäste, die am Urlaub vielleicht nicht einmal sparen wollen, jedoch keine hohen Nebenkosten akzeptieren. Teuer kann es dann trotz All-Inklusive für Paare werden, die sich im Wellness-Bereich seines Sensimar-Hotels in die Hamam-Suite zurückziehen und für vier Stunden Behandlung 450 Euro hinblättern.

Im Spa lässt sich auch beobachten, was es konkret bedeutet, wenn man Wünsche erfragt, ernst nimmt und zügig umsetzt. So wurde die Textilfreiheit beendet. An der Rezeption gibt es nun Wickeltücher für den Besuch von Saunen und Liegeräumen. Den anspruchsvollen Gästen herrschte zu viel Nacktheit. Da bestand Handlungsbedarf. Wie heißt es doch im Hotel-Manual: "Hier bin ich nicht nur zufrieden: Hier fühle ich mich richtig wohl."

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Quelle:
SZ vom 05.06.2010
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