Süddeutsche Zeitung

Landwirtschaft:Am Boden bleiben

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Das Land Salzburg hat europaweit die meisten Biobauernhöfe. Und das, obwohl die Äcker schwierig zu bewirtschaften sind.

Von Ingrid Brunner

Peter Löcker bückt sich und greift tief in die Ackererde. Er inhaliert ihren Geruch, ballt sie zu einem Knödel zusammen und zerbröselt ihn. "So sieht guter, gesunder Boden aus", sagt er zufrieden und zeigt auf die feinen Krümel. Lungauer Tauernroggen baut er hier an, eine alte Sorte, die kurz vor dem Verschwinden stand. Die Ähren wachsen bis zu 2,10 Meter hoch. Zu hoch für den Mähdrescher. So verdrängten maschinentaugliche Sorten das alte Getreide. Dabei ist es mit seiner Schneefestigkeit und Frosttoleranz wie gemacht für die langen kalten Winter auf über tausend Meter Höhe im Lungau.

"Nur noch eine Handvoll Bauern hat den Roggen in den Siebzigerjahren angebaut", sagt Löcker. Mit einigen Kollegen hat er die Sorte wiederbelebt. Auch Leindotter baut er an. Ursprünglich, weil er seinen Traktor mit Biodiesel betanken wollte. "Dann haben wir gemerkt, was für ein hochwertiges Öl der Leindotter hergibt."

"Bio geht meist von den Frauen aus", sagt der Bauer, "die schauen, was gesund ist für die Familie."

Peter Löcker und seine Frau Liesi sind Biobauern aus Leidenschaft. Für den Lungauer Tauernroggen haben die Löckers von der Slow-Food-Stiftung die Presidio-Auszeichnung erhalten. Sie würdigt den Schutz bedrohter Nutzpflanzen und der biologischen Vielfalt. Von ihrem Sauschneiderhof in St. Margarethen können sie den Katschberg sehen. Vom dortigen Skizirkus ist im Lungau wenig zu spüren, und wenn es nach den Löckers geht, kann das gern so bleiben. Der Lungau, südöstlichster Bezirk des Landes Salzburg, ist seit 2012 Biosphärenpark. Ein Titel, der nicht zuletzt dem Engagement einer lokalen Frauengruppe unter Führung von Liesi Löcker zu verdanken ist. "Bio geht meistens von Frauen aus", sagt Peter Löcker, "die schauen darauf, was gesund ist für die Familie."

Rückstände von Herbiziden und Pestiziden gehören nicht ins Essen, da ist sich das Ehepaar einig. Viele Lungauer Landwirte sehen das ähnlich: 51 Prozent sind Biobauern. "Die meisten anderen verzichten auf ertragsteigernde Mittel, eigentlich sind wir schon zu 97 Prozent giftfrei im Lungau", sagt Löcker. Sein Credo: "Ist der Boden gesund, dann ist die Pflanze gesund und auch der Mensch."

Glückliches Österreich: Landesweit liegt der Anteil an Biohöfen bei 20 Prozent. Das Land Salzburg weist mit 47 Prozent gar die europaweit höchste Dichte an Biobauernhöfen auf. Die Zahlen stammen von Bio Austria, einem Verband, der sich für die Belange von österreichischen Biolandwirten einsetzt. In Deutschland wirtschafteten im Jahr 2016 laut Umweltbundesamt nur zehn Prozent aller Agrarbetriebe nach ökologischen Grundsätzen. Trotz guter Absatzchancen ist der Zuwachs hierzulande gering. Die Zielmarke von 20 Prozent Biohöfen in Deutschland peilt das Umweltbundesamt in Berlin erst für das Jahr 2030 an.

Bio ist in Österreich dabei, Mainstream zu werden. Warum ausgerechnet dort? Sebastian Herzog überlegt. "Gesundheit ist ein wichtiges Argument", sagt er. Seit vier Jahren ist der 29-Jährige Obmann von Bio Austria Salzburg und stellvertretender Obmann von Bio Austria Österreich. Der Verband berät Betriebe bei der Umstellung, hilft ihnen, an Fördergelder zu kommen, ist gut vernetzt mit Wissenschaftlern. Und er betreibt Lobbyarbeit für die ökologische Sache. Mit Erfolg: Spitzenreiter mit 80 Prozent Biobauern ist die Gemeinde Seeham.

In Leogang sind es nur geringfügig weniger. Dort hat Herzog seinen Biohof Kleintödlingbauer, der seit 700 Jahren vom Vater an den Sohn weitergegeben wird - "als nächstes vielleicht an die Tochter", fügt Herzog mit Blick auf seine zwei kleinen Töchter an. Wie auch immer: "Man sollte das Anwesen mindestens gleich gut weitergeben, wie man es vom Vater bekommen hat", sagt er. Für Herzog ist der Ökolandbau angesichts vergifteter Böden, Luft und Gewässer alternativlos. Freilich erklärt das immer noch nicht, warum ausgerechnet Salzburg das Epizentrum der nachhaltigen Landwirtschaft ist.

Eine Antwort darauf hat vielleicht der Biolandwirt des Jahres 2018, Josef Eisl. Eisl war 16 Jahre lang ÖVP-Politiker im Landwirtschaftsministerium, dort hat er gelernt, wie Salzburgs zumeist kleine Bauern ticken. "In Salzburg gibt es eine besondere Grundverwurzelung der Menschen mit dem Boden." Je steiler und unwegsamer ihr Land, desto verwurzelter seien sie. Viele dieser kleinen Betriebe spezialisierten sich, um ihre Existenz zu sichern, Bio sei dafür eine gute Nische. Auch Eisl ging diesen Weg: 1982 begann er auf seinem Anwesen, das idyllisch am Wolfgangsee liegt, mit zwei Milchschafen Käse zu erzeugen. Aktuell hat er 124 Milch-, 50 Jungschafe und drei Widder. Er setzt auf das Ostfriesische Milchschaf. Angenehme, feinfühlige Tiere seien das, schwärmt er. "Vor allem geben sie eine sehr feine Milch." Freilich nur einen bis eineinhalb Liter pro Tag. "Die Schafmilch ist ein sehr teurer Saft", sagt er. 70 000 Liter jährlich verarbeitet er zu Käse, Topfen und Joghurt. Abnehmer sind ausgewählte Geschäfte und die Spitzengastronomie. Ceres, eine Zertifizierungsorganisation für ökologischen Landbau, hat ihn zum Biobauern 2018 gekürt. Auch seine Erzeugnisse sind vielfach prämiert.

Eisl bleibt geerdet. "Uns geht es um den langfristigen Sinn", sagt er. Der Hof ist seit 1490 im Besitz der Familie, das solle so bleiben. "Enkeltauglich" zu denken, ist Teil der Familiengeschichte. Man müsse jetzt die Bäume für die Nachkommen pflanzen. Damit immer genug Holz da ist, etwa fürs Hackschnitzelheizkraftwerk, das seinen Hof und einige Nachbarn mit Energie versorgt. Enkeltauglich zu sein bedeutet aber auch, innovativ zu bleiben. Vergangenes Jahr eröffneten die Eisls in der Getreidegasse in Salzburg den ersten Bioschafmilch-Eissalon Österreichs.

Ob Bio immer von Frauen ausgeht, wie Löcker glaubt, wer weiß. Aber im Hotel Rupertus, dem ersten biozertifizierten Hotel in Leogang, ist es so. Hotelchefin Nadja Blumenkamp erzählt von einem wachsenden Unbehagen, über Sägespäne im Erdbeerjoghurt, über BSE und Schweinepest. Bio sei mehr als die Summe von regionaler Küche, zertifizierter Naturkosmetik und Ökostrom. Die 50 Zimmer, der Spa, die Pflegeprodukte, die Küche - alles zu hundert Prozent bio. Die Lammfelle sind vom Villgrater Schaf, das Leinen kommt von der Weberei Leitner aus dem Mühlviertel, der Wodka von der Biodestillerie Farthofer in Niederösterreich, die Kartoffeln liefert Bio-Austria-Obmann Herzog. Als nächstes will sich Nadja Blumenkamp um die nachhaltige Gästemobilität kümmern. Mit Elektroautos werden die Gäste von den Bahnhöfen und Flughäfen abgeholt, auf Wunsch und gegen Aufpreis mit dem Tesla.

Bio kostet natürlich ein wenig mehr, sagt Nadja Blumenkamp - und das sagt auch Franz Widauer, aber: "Wenn es mal so weit ist, dass der Tourismus aufspringt, dann lohnt es sich." Genau das ist passiert. Das Thema ist längst beim Gastgewerbe angekommen. Franz Widauer, Seniorchef im Holzhotel Forsthofalm, darf sich getrost als Ökopionier bezeichnen. Bio ist für ihn das Normale, von Kindheit an. Er wuchs auf einem Bergbauernhof auf. "Es gab ja gar nichts anderes", sagt er.

Bio oder regional, diese Frage trennt die grüne Welt in zwei Lager

Das Hotel liegt auf 1050 Meter, ist vollständig aus Holz gebaut und wurde 2013 eröffnet. "Kein Nagel, kein Leim, keine Lösemittel, nur 210 000 Holzdübel halten den Bau zusammen", sagt Franz Widauer. Zu 80 Prozent bio sei das Hotel. Sein Ziel ist es, auf hundert Prozent zu kommen - eigentlich. Doch da tut sich ein Zwiespalt auf: Franz Widauer findet, die Forellen von der lokalen Fischzucht seien spitze, tragen aber kein Ökolabel. "Ist es besser, Ökoforellen von weither zu beziehen?" Bio oder regional, diese Frage trennt die grüne Welt in zwei Lager.

Für Andreas Döllerer zählt nur Qualität. Der für seine "Cuisine Alpine" gefeierte Koch setzt im Restaurant wie auch im Wirtshaus in Golling voll auf die regionale Karte. Die Lieferanten kennt er alle seit Langem. Seine Köche schwärmen je nach Jahreszeit aus, um am Berg Lärchenspitzen, Kräuter oder Pilze zu sammeln. Ziel seiner Arbeit ist es, dem Gast ein Geschmackserlebnis zu bieten, das er noch nicht hatte. Das gelingt ihm. Er serviert Innereien vom Kalb, experimentiert mit der Enzianwurzel, bereitet Blunzenbrot mit Essigzwiebeln und Basilikummayonnaise. Besonders wichtig sind ihm die Milchprodukte aus dem Salzburger Land.

Ob bio oder regional: Dahinter stehen Menschen, die sich um ihre Tiere kümmern, um ihr Stück Land. Man müsse geerdet bleiben, sagt Roggen-Bauer Löcker. "Je höher du auf dem Traktor sitzt, desto mehr verlierst du den Bodenkontakt."

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Quelle:
SZ vom 30.11.2018
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