Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Alles total authentisch

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Früher sprach man im Urlaub auch mal spontan mit einem Einheimischen. Manchmal wurde man zum Essen eingeladen. Heute übernehmen diese Vermittlung profitorientierte Plattformen wie etwa Airbnb.

Von Hans Gasser

Jetzt sind sie alle weg. Nun ja, viele zumindest. Mallorca platzt wieder aus allen Nähten, am Nationalpark Berchtesgaden sind die Parkplätze schon morgens um acht wegen Überfüllung geschlossen. Die Deutschen machen Urlaub, als ginge Ende August die Welt unter.

Ein großer Teil der Urlauber sucht nach wie vor einfach nur Strand und Entspannung. Schön durchgebräunt zurückzukommen, gilt ihnen als unverzichtbare Urlaubsleistung. Wenn man aber großen Anbietern wie Airbnb oder der Tui glaubt, so wächst das Bedürfnis nach echten, authentischen Erlebnissen im Urlaub stark an. Statt mit anderen Touristen am Strand Mojitos zu trinken, so heißt es, wollten immer mehr Menschen Einheimische treffen und sich von ihnen etwas zeigen lassen. Der viel kritisierte Ferienwohnungsvermittler Airbnb hat dies als erster erkannt und bietet mittlerweile 14 000 sogenannte Experiences an. Dabei kann man gegen Bezahlung mit einem kroatischen Apotheker Kräuter sammeln und sie zu Cremes verarbeiten. Man kann mit Tierheimhunden am Strand spazieren gehen oder in einer italienischen Provinzstadt mit einer 81-jährigen Oma in deren Wohnung Nudeln herstellen und sie anschließend mit ihr verzehren. Selbst die Tui bietet ihren Gästen an, mit Hotelangestellten in deren Zuhause ein "authentisches Dinner" einzunehmen.

Alles schön und gut, grundsätzlich ist es ja zu begrüßen, dass Reisende sich für die Menschen im Urlaubsland interessieren. Aber wenn sich die nach Profit ausgerichtete Tourismusindustrie eines Themas annimmt, sollte man nicht allzu große Erwartungen an die Individualität oder spontane Herzlichkeit bei einer solchen buchbaren Leistung haben. Die Nudeloma in Italien bietet ihren Pastakurs fast jeden Tag für bis zu zehn Personen an und nimmt pro Kopf 85 Euro. Dafür könnte man in einem guten Restaurant in der Provinzstadt zu zweit sehr gut essen. Aber das lässt sich nicht so gut bei Instagram posten.

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Quelle:
SZ vom 02.08.2018
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