Süddeutsche Zeitung

Kalifornien-Kolumne:Wer hat Angst vorm Weißen Hai?

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An der kalifornischen Küste werden derzeit so viele Haie gesichtet, dass vom "Sharktober" die Rede ist. Nun wurde ein hungriger Hai zum Medienstar.

Von Beate Wild, San Francisco

Als der Hai satt war, zog er noch ein paar Runden. Seine dreieckige Flosse zeigte, wie er das Blut im Wasser umkreiste. Eine Haiattacke! Mitten in der Bucht von San Francisco! Direkt vor Alcatraz! Zahlreiche Touristen sahen das Drama mit an. Einige schrien vor Schreck, andere waren fasziniert. Manche sparten sich das Geschrei und filmten das Ereignis mit dem Handy.

Glücklicherweise war das Opfer kein Mensch. Der große Weiße Hai hatte in der Bucht am Golden Gate artgerecht einen Seelöwen zerfetzt. Das aber äußerst medienwirksam, die Aufregung war enorm: Fernsehsender, lokale und überregionale Zeitungen und Online-Portale berichteten. Weiße Haie kommen an der Pazifikküste zwar öfter vor. Doch das Außergewöhnliche an dieser Attacke war, dass sie vor aller Augen in der Bucht nur wenige Meter vom Inselufer und nicht unbeobachtet auf offenem Meer stattfand. Es war überhaupt das erste Mal, dass ein Haiangriff innerhalb des Golden Gates gefilmt wurde. Die Sensation war perfekt - und passte gut zu diesem Oktober.

Da gab es derart viele Sichtungen von Haien an der Küste Kaliforniens, dass schon vom "Sharktober" die Rede ist. Der Raubfisch, der vier bis sechs Meter lang wird und etwa drei Tonnen wiegt, hat sich in diesem Jahr schon einige Auftritte geleistet. In Malibu etwa hat er einen Standup-Paddler von seinem Brett geschubst, der konnte sich gerade noch an Land retten. In Los Osos holte er einen Kalifornier ebenfalls von seinem Surfboard und schnappte zu, zum Glück wurde der Mann aber nicht lebensgefährlich verletzt. In Morro Bay verbiss er sich in das Board einer Surferin. Die Frau konnte unverletzt entkommen, doch in ihrem Surfbrett klafft ein Loch, der Abdruck der Haizähne ist deutlich zu sehen.

Glücklicherweise war keine der Attacken tödlich, jedenfalls nicht für Menschen. Doch öfters müssen nun Strände wegen Haien vorübergehend gesperrt werden, die eine Spur zu nah kommen. Schuld sind laut der Pelagic Shark Research Foundation in Santa Cruz die warmen Meerestemperaturen, die das Wetterphänomen El Niño mit sich bringt.

Nun möchte man meinen, dass Surfern und Schwimmern nach diesen Geschichten die Lust an einem Bad im Meer vergangen ist.

Doch es gibt genug Unerschrockene und Ignoranten, die eine Konfrontation mit dem Weißen Hai offenbar nicht scheuen. Bei meinem letzten Besuch am Ocean Beach vor wenigen Tagen war alles wie immer: Zahlreiche Surfer kämpften um jede Welle und Schwimmer kraulten verwegen aufs offene Meer hinaus. Da tauchten ein paar Schatten im Wasser auf. Vor Schreck setzte mein Herz ein paar Takte aus. Da riefen die Surfer entzückt: "Dolphins! Dolphins!"

Vielleicht wiegen sich die Sportler deshalb derart in Sicherheit, weil sie wissen, dass vor San Francisco zuletzt im Mai 1959 der 18-jährige Albert Kogler Jr. von einem Hai getötet wurde. Das ist lange her. Doch auch wenn die Wahrscheinlichkeit, durch einen fehlgeleiteten Fisch zu Tode zu kommen, äußerst gering ist. Und mehr Haie von Menschen gegessen werden, als anders rum: Ich bleibe derzeit lieber auf dem Trockenen.

Zugegeben, nicht nur der Gedanke an den Weißen Hai lässt mich erschaudern. Eine Wassertemperatur von 18 Grad Celsius ist mir - im Gegensatz zu den Haien - einfach zu kalt.

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