Süddeutsche Zeitung

Italien:Der Wein der Winde

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Pantelleria, eine Insel zwischen Sizilien und Tunesien, ist kein leichtes Anbaugebiet. Es ist sehr trocken, das Wetter ist wechselhaft und im Winter oft stürmisch. Nur wer die alten Techniken beherrscht, kann sich hier behaupten.

Von Andrea Bachstein

Grau und rissig kriecht das Rebholz nah über dem Boden dahin. Bizarr gewundene Äste lagern auf Steinbrocken, damit sie nicht unter der Last von Trauben und Blättern brechen. Tief fallen würden die Beeren aber ohnehin nicht, die Weinstöcke sind nur kniehoch, man hat ihnen mit der Hacke noch eine Kuhle gegraben, damit sie geschützter sind.

So wächst die Zibibbo-Traube auf Pantelleria, der Mittelmeerinsel, auf der sich alles vor dem Wind zu ducken scheint. "Tochter der Winde" haben die Araber sie genannt, weil die Luft hier stets bewegt ist. Mal ist es nur ein wüstenwarmes Säuseln, im Winter aber kommen Sturmböen, und man braucht alle Kraft, die Haustür aufzustemmen. Oft zieht Nebeldampf dramatisch die Hänge der Vulkaninsel hoch, ein paar Minuten später, ein paar Kurven weiter leuchtet wieder Sonne aus azurblauem Himmel.

Die Trauben trocknen nach der Lese drei Wochen in der Sonne. So entwickeln sie besondere Aromen

Das extreme Klima Pantellerias, das Tunesien näher liegt als Sizilien, ist so einzigartig wie der Wein. Er wird angebaut in der Ebene von Ghirlanda und auf vielen terrassierten Hängen, die von Tausenden Kilometern Trockenmauern aus dunklem Lavastein umfangen sind. 70 und bis 100 Jahre alt sind einige Reben, die zum Beispiel an der Punta Karace wachsen, 60 Meter über dem Meer, eine der 14 Anbauflächen mit insgesamt 68 Hektar, die das sizilianische Weingut Donnafugata auf der Insel hat. In Pantellerias Vulkanerde kultiviert man nur die Muskateller-Sorte Zibibbo, die die heißtrockenen Sommer aushält, wenn man ihr hilft. Der Passito di Pantelleria ist der bekannteste der DOC-Weine der Insel. Den "Zabìb" brachten einst die Araber, von deren langer Anwesenheit auch Ortsnamen wie Khamma oder Gadir zeugen. Mit kleinen, aromatischen Beeren, die gelb sind und hellgrün, ist der Zibibbo eine feine Tafeltraube. Ihre Rosinen werden zum Kochen verwendet und für Marmelade, die die Einheimischen Zibibbo-Honig nennen. Trockene Weißweine keltert man aus der Traube sowie Süß- oder Dessertweine, Moscato und Passito, denen man gewelkte Trauben zusetzt.

An denen zupfen vor der Cantina von Donnafugata inmitten von Weinfeldern bei Khamma Mitte September Arbeiter in der Sonne. Jedes Stengelchen und Stilchen muss vor dem Pressen weg, 40 Kilo schafft jeder Arbeiter am Tag. Angewelkt, rosiniert sind die Trauben dunkelrot, bläulich, bräunlich. Etwa drei Wochen sind sie nach der Lese in Wind und Sonne getrocknet, damit ihr Saft sich konzentriert. Bei Donnafugata legt man die Trauben in Gewächshaus-ähnliche Konstruktionen, durch die seitlich der Wind streicht und die sie vor dem seltenen Regen schützen. Sie liegen auf Gittern, um sie wenden zu können, sie sollen nicht einseitig gedrückt werden.

Von der Lese bis zum Sortieren der Trauben ist hier auf der Insel alles Handarbeit.

70 bis 100 Jahre alt sind einige Reben, die auf der Mittelmeer-Insel wachsen.

Angewelkt, rosiniert sind die Trauben dunkelrot, bläulich, bräunlich. Etwa drei Wochen sind sie nach der Lese in Wind und Sonne getrocknet, damit ihr Saft sich konzentriert.

Der Sprecher des Weingutes, Baldo Palermo, erklärt, die Trauben entwickelten beim langsamen Trocknen ganz andere Aromen als im Ofen. Sind sie so weit, presst man die gezupften Passito-Trauben behutsam, dann gibt Kellermeister Francesco Marceca sie nach und nach zum Most aus frischen Trauben in die großen Stahltanks.

Marceca ist in diesen Wochen vollauf beschäftigt. Alle vier Stunden, sagt er, muss die Maische bewegt werden, damit nichts antrocknet. Die Temperatur, anfangs sechs, sieben Grad, muss genau kontrolliert werden. Die Kunst beim Mischen des Passito ist die Säure-Süße-Balance, "wir gehen hier an die Grenzen des Möglichen", sagt Marceca. Vier Kilo Passito-Trauben braucht es für einen Liter Wein, der nach der ersten Gärungsphase und nach dem Filtern in Holzfässern heranreift. Einen Grappa und drei Weine stellt Donnafugata her aus Zibibbo, und man staunt, wie unterschiedlich sie sind. Da ist der frische, trockene Weißwein Lighea, der etwas über zwölf Prozent Alkohol hat, einen Duft von Orangenblüten und Macchia, fein zu rohem Fisch. Mit 160 000 Flaschen füllen sie ihn am Hauptsitz in Marsala auf Sizilien ab, wohin der Most transportiert wird. Der "Kabir" ist als Moscato di Pantelleria von milder Süße und einer ganz anderen Aromawucht. Er wird ganz auf Pantelleria produziert, 43 000 Flaschen, ebenso der wie heller Bernstein schillernde Passito Ben Ryè, das Spitzenprodukt. Aprikosen, Rosmarin, Orangenaromen, Minerale sind seine Noten, und Donnafugata gibt an, der Ben Ryè halte sich bis zu 30 Jahre.

Fast alles passiert in Handarbeit. Die terrassierten Felder sind zu eng und oft zu steil, die Rebstöcke zu niedrig für Maschinen. Schwerstarbeit sei das, sagt Vorarbeiter Salvatore Barraco beim Mittagessen in der Kantine von Donnafugata. Von der Terrasse aus haben die Männer Meerblick. Tief gebückt oder auf Knien ernten sie und beschneiden die niedrigen Pflanzen. Bei der Lese müssen sie die Trauben oft weit tragen, manchmal bei 50 Grad unter afrikanisch heißer Sonne. Und im Winter, sagt Barraco, müssen sie neben dem Rebschnitt die Trockenmauern ausbessern, immer habe man gut zu tun.

Die Unesco hat den auf Pantelleria angebauten Wein jedenfalls als "seltenes heroisches Beispiel des Weinbaus" ins Weltkulturerbe aufgenommen. Kein leichtes Terrain, das sich die sizilianische Familie Rallo gesucht hat, als sie Donnafugata 1989 nach Pantelleria ausdehnte. "Eine Herausforderung war das", sagt Sprecher Palermo, bei der es auch um das Retten von Tradition gegangen sei, um Schätze wie 100-jährige Reben, uralte Techniken. Zur Gewinnmaximierung tauge Pantelleria nicht: Ein Hektar erfordere dreimal so viel Arbeitsaufwand wie anderswo.

In die Landschaft eingebettet liegen die Dammusi, traditionelle Wohnhäuser aus Vulkangestein

Passito und Moscato machen auch andere Winzer hier, und viele "Panteschi" haben ihren eigenen für den Hausgebrauch. So ein Bauern-Passito lässt sich schon trinken zu Käse, Obst, Desserts. Er ist meist dunkelrot und etwas trüb, weil ungefiltert und mit ungebremster Oxidation. Karamellgeschmack dominiert. Den vermeidet man bei Donnafugata schon durch den rechten Erntemoment - zu lange an dieser Sonne, karamellisiert der Fruchtzucker in den Trauben schon.

Intensiv sind die Pantelleria-Weine, wie alles hier kraftvoll wirkt. Wild und schön, eine in Jahrhunderten gebändigte, aber nicht unterworfene Natur, zu der "versteckter Regen" gehört, starker Nachttau, ohne den kaum etwas gedeihen würde. Alles muss Hitze, Trockenheit und Wind trotzen auf der 85 Quadratkilometer großen Insel, die ihren vulkanischen Ursprung auf Schritt und Tritt zeigt. Die traditionellen Häuser aus Vulkanstein, die Dammusi, von denen viele zu teils luxuriösen Ferienhäusern ausgebaut wurden, schmiegen sich in die Landschaft. Ihre dicken Mauern schirmen Hitze ab wie Kälte, die weiß getünchten flachen Kuppeldächer leiten das knappe Regenwasser in Zisternen. Die Vulkanberge Monte Gibelè und Montagna Grande, 700 und 836 Meter hoch, beherrschen die Mitte des Eilands. Und als wäre die Lava gerade erst erstarrt, ergießen sich überall Felsen ins Meer, das durchsichtig in allen Blau- und Türkistönen leuchten kann. Zwischen Klippen brodeln heiße Quellen, das lauwarme Wasser des Lago di Venere ist ein Mineraliencocktail.

Und auch die Vegetation ist besonders. Die Olivenbäume scheinen für Zwerge zu wachsen. Wegen des Windes hält man sie niedrig wie Rebstöcke und zieht Äste mit Steinen zu Boden. Und es fehlt, was auf Sizilien in weiten Teilen zur Landschaft gehört: Orangen- und Zitronenbäume. Sie gedeihen nur hinter den hohen Mauern der Giardini Pantelleschi, der Pantelleria-Gärten. Im Schutz rundgemauerter Vulkansteine wachsen Zitrusbäume als große Solitäre. Für die Gärten nutzt man abschüssiges Gelände. Dort sammelt sich das Wasser, und so entwickelt sich ein eigenes Mikroklima.

Berühmt wie der Wein sind Pantellerias Kapern, die kultiviert werden auf Feldern, Terrassen, Gärten. Im Frühjahr erntet man die pikant-würzigen Blütenknospen, um sie einzusalzen oder einzulegen, später ihre Früchte, die Kapernäpfel. Die passen gut zu einem kühlen Moscato oder Passito als Aperitiv bei Sonnenuntergang. Der ist nur auf der Süd- und Westseite Pantellerias zu sehen und lässt bei klarer Sicht die Umrisse von Cap Bon in Tunesien auftauchen, der ganze Horizont ist rotorangefarbenes Leuchten. Im Glas schiller t der Zibibbowein und ist all die Mühe wert, die Salvatore Barraco und die anderen hineingesteckt haben.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2017
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