Süddeutsche Zeitung

Städtereise-Serie "Bild einer Stadt":Wie tickt eigentlich ... Hamburg?

Lesezeit: 4 min

An manchen Orten tauen selbst spröde Hamburger auf - und mit einer Behauptung können Besucher sie aus der Fassung bringen.

Von Thomas Hahn

Eine Stadt zu bereisen, bedeutet nicht nur Sehenswürdigkeiten abzuklappern. Sondern einen Blick in ihre Seele zu werfen - und dabei schöne Orte kennenzulernen, die auch Einheimische lieben. Wir haben unsere SZ-Korrespondenten in Deutschland gebeten, ihre Stadt anhand eines Fragebogens zu präsentieren. Diesmal erklärt Thomas Hahn, weshalb Hamburg ein Kosmos der Kontraste ist - was die Welt bejubelt, seit es die Elbphilharmonie gibt. Für Hamburger kein Grund, abzuheben.

Was ist das Besondere an Hamburg?

Hamburg ist seit dem Mittelalter ein stolzer Wirtschaftsstandort, der immer auf freien Handel und politische Unabhängigkeit Wert legte. Kein König oder sonst ein Herrscher konnte sich hier je mit verschwenderischer Architektur im Stadtbild verewigen. Hamburg wurde von Bürgern für Bürger erbaut, deshalb wirkt es auf Leute, die die Weitläufigkeit früherer Residenzstädte gewohnt sind, etwas eng und unpraktisch.

Die Wahrheit ist aber, dass im freigeistigen Flair der Hansestadt ein grandioser Kosmos der Kontraste entstanden ist: Zu Hamburg gehören die backsteinerne Heimeligkeit der alten Arbeiterviertel genauso wie die abwechslungsreiche Gründerzeit-Eleganz der Villen-Quartiere, die teure Elbphilharmonie oder das ruppig-bunte Flair des linksliberalen St. Pauli.

Selbst auf dem Wasser wird Hamburgs Vielfalt sichtbar: Der rastlose Hafen ist für viele Einheimische ein Sehnsuchtsort und spiegelt das rege Treiben von Handel und Schifffahrt. Auf der Alster wiederum rudert, segelt und paddelt das Bürgertum.

Und wie ticken die Einwohner?

Die Vielfalt der Stadt zeigt sich auch in den Seelen der Hamburger. Den typischen Hamburger gibt es eigentlich nicht, schon deshalb, weil in Stadtteilen wie Steilshoop oder Wilhelmsburg viele Hamburger sehr unterschiedliche Wurzeln aus vielen verschiedenen Ländern haben. Auf St. Pauli, der Heimat der Amüsiermeile Reeperbahn, sind die Einheimischen bodenständig, herzlich und von einer Weltoffenheit, vor der niemandem irgendetwas peinlich sein muss. Mitglieder der "besseren Gesellschaften" halten dagegen lieber die Eigenschaften der alten hanseatischen Kaufleute hoch: ehrbar, stolz, geschäftstüchtig, bescheiden. Eines aber haben alle gemeinsam: ihre Liebe zu Hamburg. Manche Hamburger kann man nachhaltig vor den Kopf stoßen mit der Andeutung, dass es für jemanden eine andere schönste Stadt der Welt geben könnte.

Wie kommt man am besten mit ihnen in Kontakt?

Es kommt drauf an, welchen Hamburger Menschenschlag man treffen will. Die hanseatischen Hamburger sind umgänglich und freundlich, aber nicht unbedingt die großen Gesellschaftsmenschen. Man trifft sie in den sehenswerten Villenvierteln, auf den Wochenmärkten der Stadtteile, auch beim Spazierengehen rund um die Alster. Wer hingegen das etwas rauere Hamburger Temperament erleben möchte, sollte sich durch die Kneipen auf St. Pauli bewegen. Silbersack, Goldener Handschuh, vor allem die berühmte Absturzgaststätte Elbschlosskeller zeigen noch etwas vom ursprünglichen Tresen-Flair am Kiez. Man sollte diese Atmosphäre auf sich wirken lassen, solange sie noch da ist. Billigkioske und Gentrifizierung bedrohen die Traditionskneipen.

Wohin gehen Einheimische ...?

  • zum Frühstücken: Jeden Sonntag scheint eine wahre Völkerwanderung ins Schanzenviertel unterwegs zu sein, um dort die einschlägigen Speisecafés zum Frühstücken oder Brunchen aufzusuchen. Im "Frank und Frei" oder im "Café unter den Linden" ist es dann schwer, einen Platz zu bekommen, aber es lohnt sich, es zu versuchen. Hamburg ist insgesamt ziemlich gut mit charmanten Cafés ausgestattet, die man auch am frühen Vormittag schon besuchen kann. Manche wie das "Elbgold" oder das "Café May" haben mehrere Filialen in der Stadt, ohne dabei ihre Hamburger Identität zu verleugnen. Andere gute Kaffee-Orte: "Ponybar" an der Uni, "Haus 73" am Schulterblatt, "Tayas Kaffeehaus" in Uhlenhorst (öffnet allerdings erst um elf Uhr).
  • zum Mittagessen: An den wenigen Tagen mit schönem Wetter nehmen die Hamburger ihr Mittagessen gerne mit nach draußen. Kaufen sich einen Salat, um sich damit zum Beispiel auf die Stufen des Jungfernstiegs mit Blick auf die Binnenalster zu setzen. Meistens ist das Wetter aber nicht schön, weshalb viele in den Foodcourts der Einkaufszentren essen. Wer es etwas raffinierter und trotzdem nicht überteuert mag, ist im Restaurant des Scandic-Hotels gut aufgehoben. Zu empfehlen sind außerdem: Currywurst an der Mönckeberg-Straße. Bockwurst in der "Strandperle" am Elbstrand. Fischbrötchen am Hafen. Picknick im Stadtpark.
  • am Abend: In Hamburg ist das kulturelle Angebot so vielfältig wie in wenigen anderen Städten. Kommerzielles Musical, Indie-Rock in kleinen Musikklubs, alternative Bühnenkunst im Gegenwartskultur-Zentrum Kampnagel, stimmungsvolle Programmkinos, anspruchsvolles Sprechtheater, klassische Musik von Weltrang - das und viel mehr gibt es hier jeden Abend. Der junge Stadtteil Hafencity wird immer lebendiger, so dass man dort vor oder nach einem Konzert in der (meistens allerdings ausverkauften) Elbphilharmonie noch etwas fürs leibliche Wohl tun kann. Zum Beispiel im "Störtebeker Beer & Dine" gleich gegenüber des imposanten Konzerthauses. Theaterfreunde haben einen schönen Abend, wenn sie in Ottensen erst in der alternativen Pizzeria "Farina meets Mehl" speisen und dann über den Hof ins Thalia-Theater an der Gaußstraße gehen, der Nebenbühne des berühmten Thalia-Theaters in der City.
  • in der Nacht: Die Reeperbahn ist sicher kein Ort für gediegene Nachtunterhaltung. Aber Rotlicht, Tanzclubs und die Varieté-Theater am Spielbudenplatz ergeben vor allem für Zugereiste eine spannende Mischung, die man mal gesehen haben sollte. Im nahen Hotel East kann man außerdem auch etwas feiner tanzen. Und wer bis zum frühen Sonntagmorgen durchhält, kann nach dem Feiern noch runter zum Fischmarkt am Hafen. Um fünf beginnt dort die Show der Marktschreier.

Was finden die Menschen in Hamburg gar nicht komisch?

Ein echter Hanseat weiß, wie man die Contenance bewahrt. Nicht-Hamburger würden ihm deshalb wahrscheinlich gar nicht anmerken, wenn er etwas nicht komisch findet. Aber ausfallendes Benehmen schätzt er nicht, das steht fest. Heikel sind Anspielungen auf den HSV, den notorisch kriselnden Fußball-Vorzeigeklub der Stadt.

Als Unwissenheit würde der echte Hanseat die Behauptung auslegen, dass die Elbvertiefung unnötig sei, ein seit über zehn Jahren verfolgtes Vorhaben der Stadt, damit größere Containerschiffe leichter in den Hafen kommen. Mit mühsam kontrollierter Wut und stillen Flüchen würde er die Meinung zurückweisen, dass München die schönste Stadt der Welt sei.

Und wofür werden sie den Urlauber lieben?

Kaufmannsseelen unter den Hamburgern mögen grundsätzlich zunächst mal alle Menschen, die sich benehmen können und Geld in der Stadt lassen. Die Kiezbewohner wiederum fragen sich, ob Touristen nicht zu viel Spießigkeit in ihr Quartier bringen. Aber diesen Verdacht können Gäste leicht zerstreuen: Indem sie in den einschlägigen Kiez-Kneipen diverse Biere trinken.

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