Süddeutsche Zeitung

Autobahnen:Parallelwelt zwischen Leitplanken

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Jörg Brüggemann porträtiert deutsche Autobahnen. Dafür fotografiert er nicht nur auf, sondern neben ihnen. Seine Aufnahmen sind schonungslos - aber auch sehr komisch.

Von Stefan Fischer

Die großen Staus auf den Autobahnen sind in diesem Sommer weitgehend ausgeblieben. Zu stark eingeschränkt war das Reisen, zu gering auch die Lust vieler Leute, sich aufzumachen an die Strände im In- und Ausland. Das erste Foto in Jörg Brüggemanns Band "Autobahn" zeigt gleichwohl ein von früher vertrautes Motiv: Stillstand. Von 2015 an bis ins vergangene Jahr hinein hat Brüggemann entlang deutscher Autobahnen fotografiert. Das erste Bild zeigt Typisches: Auf drei Spuren parken Pkw, teils mit Wohnanhängern, dazu Klein- und Reisebusse. Etliche Menschen sind ausgestiegen aus ihren Fahrzeugen, lümmeln an der Leitplanke oder blicken die Rettungsgasse hinauf. Als könnte das Starren dieser vielen etwas bewegen - am besten die Fahrzeuge, und so den Stau auflösen. Als wäre ein- oder zweihundert Meter weiter vorne die Situation eine andere als dort, wo die unfreiwillig zu Fußgängern gewordenen vorübergehend zum Halten gezwungen sind.

Wer eine Autobahn benutzt, der sieht eigentlich - nichts. Beziehungsweise: fast ausschließlich Vorhersehbares. Viele Fahrzeuge, den Asphalt, die Beschilderungen. Mitunter ein wenig von der Landschaft. Oft aber nur Lärmschutzwände oder waldsterbenskrankes Nadelgehölz. In dem Bildband ist davon fast nichts zu sehen. Und wenn, dann aus einer ungewohnten Perspektive. Der Stau ist entweder von einer Brücke herab oder - wahrscheinlicher - mit einer Drohne fotografiert. Oder aber Brüggemann zoomt sich an Details heran von Fahrzeugen oder Verkehrsinseln an Rastplätzen.

In der Regel bewegt der Fotograf sich nicht auf, sondern neben der Autobahn, um zu dokumentieren, wie brachial diese Straßen oftmals durch die Landschaften geführt sind, wie scharf das eine vom anderen abgegrenzt ist - gerade weil die Nähe zueinander mitunter beinahe bedrohlich wirkt. Zu sehen ist eine Häuserzeile, hinter der der Pfeiler einer Autobahnbrücke aufragt. Ein Badesee, nur einen Steinwurf entfernt von der Autobahnabfahrt Sangerhausen. Ein Friedhof, auf dem von ewiger Ruhe keine Rede sein kann. Zu dicht donnern die Sattelschlepper vorbei an den Gräbern.

Eine Momentaufnahme in schwarz-weiß: In Reih und Glied bewegen sich die Fahrzeuge auf einer mehrspurigen Autobahn vorwärts.

Freie Fahrt und Stau-Stillstand.

Was zurückbleibt von Fahrmanövern und Ausweichversuchen sind schwarze Spuren auf grauem Asphalt.

Diese Aufnahme steht typisch für viele Fotografien in diesem Buch: Jörg Brüggemann hat ein gutes Gespür für die Komik einer Szenerie, die sich in "Autobahn" aber zumeist vermischt mit einer Melancholie oder Bitterkeit. Recht harmlos sind die beiden orangefarbenen Zugmaschinen, die sich gegenüberstehen wie zwei Ringer, die gleich aufeinander losgehen. Oder - ein wenig gemein - die Miniatur eines unkenntlichen, sehr beleibten Arbeiters vor der Kulisse eines Bannwaldes aus sehr dürren Fichtenstämmen. Aber die Fahrbahnen, die unmittelbar an den Fenstern von Häusern vorbeiführen, oder Familien, die hinter Lärmschutzwänden spazieren, sowie Kinder, die dort spielen, zeigen sehr deutlich jene Tristesse, die diese gewaltige Infrastruktur mit sich bringt.

Jörg Brüggemann unterläuft das Trutzhafte der Autobahnen mit seinen Bildern auf zweierlei Weise. Zum einen zeigt er immer wieder Schäbiges, Zerstörtes, Stillgelegtes, fotografiert Gebrauchsspuren. Zum anderen bildet er Momente der Leere ab. Eine Autobahn, auf der niemand fährt, verliert ihren Daseinszweck. Wie ertappt wirken dementsprechend manche Motive, jedenfalls kann man diesen Eindruck als Betrachter gewinnen. Eines der Bilder mit der größten Komik kombiniert die Leere eines Streifens Autobahn mit einem vollgestellten Parkhaus dahinter.

Jörg Brüggemann: Autobahn. Hartmann Books, Stuttgart 2020. 96 Seiten, 38 Euro.

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Quelle:
SZ vom 24.09.2020
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