Süddeutsche Zeitung

Flugreisen:"Das Fliegen verlernt man nicht"

Lesezeit: 4 min

Die Airlines holen ihre Piloten zurück ins Cockpit. Wieder fliegen, nach langer Zwangspause: Geht das so einfach? Die Pilotin Leila Belaasri erzählt, wie sich die Crews vorbereiten und was noch fehlt.

Interview von Eva Dignös

Monatelang hob wegen der Corona-Pandemie kaum ein Flugzeug ab. Jetzt starten sie wieder, im Ferienmonat Juli verdoppelte sich die Zahl der Passagiere an den deutschen Flughäfen im Vergleich zum Vormonat - vom Reiseboom vor der Pandemie ist man allerdings nach wie vor weit entfernt. Verlieren die Flugzeugführer dadurch ihre Routine? Und wie läuft die Rückkehr ins Cockpit ab? Leila Belaasri, 36, Pilotin bei einer deutschen Airline und Sprecherin der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC), erklärt, wie man Fliegen übt, wenn man nicht fliegen darf.

SZ: Frau Belaasri, fliegen Sie schon wieder?

Leila Belaasri: Ja, ich bin zurück im Alltag. Seit dem Frühjahr bin ich wieder unterwegs.

Was war das für ein Gefühl, nach so langer Pause abzuheben? Hat es gekribbelt im Bauch?

Tatsächlich, das hat es, es war ein Kribbeln vor Freude. Ich war unfassbar dankbar. Für mich ist es die Erfüllung eines Kindheitstraums, als Pilotin zu arbeiten. Ich glaube, es geht vielen so: Ich habe in den vergangenen Monaten viele strahlende Pilotengesichter gesehen.

Und die Zeit davor? Als Sie zu Hause bleiben mussten, anstatt in die Luft gehen zu dürfen?

Das war natürlich ein großer Einschnitt, eine Situation, die kaum Kollegen kannten. Man wusste nicht, wann es weitergeht. Das hat uns viel Resilienz abverlangt, aber auf der anderen Seite auch deutlich gemacht, dass man für diesen Beruf lebt, dass die Berufswahl die richtige war, weil man Sehnsucht nach dem Cockpit hatte.

Kann man in einer so langen Pause das Fliegen verlernen? Oder trainiert man laufend im Simulator?

Das Fliegen verlernt man nicht, aber die Schnelligkeit, mit der man Instrumente scannt, mit der man bestimmte Abläufe und Verfahren anwendet, geht ein wenig verloren. Viele Pilotinnen und Piloten haben deshalb als mentale Vorbereitung das sogenannte Chair Flying praktiziert.

Chair Flying? Chair ist das englische Wort für Stuhl. Was muss man sich darunter vorstellen?

Ich visualisiere zu Hause das Cockpit und die Abläufe. Ich mache das meistens mit geschlossenen Augen, stelle mir zum Beispiel vor, welche Vorbereitungen vor dem Start zu erledigen sind. Oder ich visualisiere eine bestimmte Situation, etwa einen Defekt im Hydraulik-System während eines Reiseflugs. Dann geht es darum, mir vorzustellen, wie ich vorgehen muss, welche Schritte zuerst notwendig sind und wie man im Team zusammenarbeitet. Das hilft ungemein, denn Simulator-Kapazitäten sind begrenzt. Im Simulator werden dann sogenannte Refresher-Ereignisse trainiert. Fliegen in einem Verkehrsflugzeug ist Teamarbeit, man muss sich auf den anderen einstellen. Auch das wird in den Simulatorstunden trainiert. Wichtig bei der Requalifizierung ist aber, dass das Geübte auch in der Realität angewendet wird. Piloten permanent in teuren Simulatorstunden zu requalifizieren, wenn es dann doch keinen Flugbetrieb gibt, macht keinen Sinn.

Woran bemisst sich, ob man wieder fit ist fürs Cockpit?

Ganz unabhängig von der Pandemie gehört die regelmäßige Überprüfung ihrer Fähigkeiten für Piloten zum Berufsleben. Unsere Verkehrsfliegerlizenz ist auf zwölf Monate befristet. Innerhalb dieses Zeitraums muss man mindestens einen Checkflug im Simulator ablegen und einen Liniencheckflug im Flugzeug mit Fluggästen, um seine Fertigkeiten unter Beweis zu stellen. Außerdem müssen wir innerhalb von 90 Tagen mindestens drei Landungen absolviert haben. Das war in der Pandemie meist gar nicht möglich, deshalb müssen diese Prüfungen nun oft nachgeholt werden. Durch die Ausbildung und durch die dauernden Prüfungen haben wir aber gelernt, unsere Selbstwahrnehmung zu schärfen und den Grenzbereich unserer Leistungsfähigkeit einzuschätzen. Im Rahmen der Requalifizierung wird sehr darauf geachtet, dass man nicht nur kompetent seine Aufgaben erfüllt, sondern dass man Selbstvertrauen hat, dass man sich an seinem Platz im Cockpit wirklich wieder wohlfühlt.

Wie wirkt sich die Pandemie auf die Ausbildung aus? An der European Flight Academy, der Flugschule der Lufthansa Group, ist der Betrieb derzeit unterbrochen, es starten keine neuen Kurse. Fehlen dann irgendwann die jungen Piloten?

Es macht wenig Sinn, neue Schulungen anzubieten, wenn laufende Kurse noch nicht abgeschlossen werden können. Und Fakt ist, dass jede Fluggesellschaft momentan erst mal das Interesse hat, ihrem Bestandspersonal den Arbeitsplatz zu erhalten. Die Luftfahrtbranche ist volatil, sie ist es schon immer gewesen. Es gab schon verschiedene Krisen, in denen zwischenzeitlich Schulungsmaßnahmen unterbrochen wurden oder Einstellungsstopps ausgesprochen wurden. Aber es ging dann auch immer nach einer gewissen Zeit wieder weiter.

Wie erleben Sie die Fluggäste?

Tendenziell sehen wir eine ganz hohe Bereitschaft, sich an alle Regeln und Restriktionen zu halten. Es gibt beispielsweise nur einen ganz niedrigen Prozentteil an Menschen, die die Maske nicht korrekt tragen. Aber man muss auch fairerweise sagen, dass nicht überall in der Welt die gleichen Regularien gelten, in manchen Ländern beispielsweise Stoffmasken erlaubt sind. Aber wenn man mit einer gewissen Portion Geduld und Erklärungsbereitschaft agiert, funktioniert das einwandfrei.

Auch an den Flughäfen waren und sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kurzarbeit. Wie wirkt sich das aus? Ist das spürbar, wenn Sie unterwegs sind?

Vor drei Monaten konnte niemand vorhersagen, dass wir in den Sommermonaten doch so ein positives Wachstum bei den Passagierzahlen haben würden. Viele Menschen sind beteiligt an den Prozessen, damit wir sicher in die Luft kommen, und an der einen oder anderen Stelle gibt es noch einen gewissen Mangel bedingt durch die Kurzarbeit, aber den bekommen die Flughäfen jetzt immer besser in den Griff. Alle, die an diesen Prozessen beteiligt sind, inklusive uns als Piloten, arbeiten mit einer hohen situativen Aufmerksamkeit: Es ist wichtig, dass man mit guter Vorbereitung, einer gewissen Nachsicht, mit Besonnenheit und Risikobewusstsein an seine Arbeit geht. Bei der Routine, die wir 2019 hatten, sind wir noch nicht wieder. Aber das war zu erwarten nach einer so langen Pause. Die Zahnräder greifen schon wieder ineinander, aber es fehlt noch ein bisschen die Schmiere, damit sie perfekt laufen.

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