Süddeutsche Zeitung

Firmenporträt:Drahtseilakt

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Die Doppelmayr-Gruppe aus Wolfurt baut weltweit Seilbahnen. Darunter sind auch einige kuriose Projekte wie der Hogwarts Express in Florida.

Von Johanna Pfund

Harry Potter wäre sicher froh um Doppelmayr. Die Seilbahnspezialisten aus Wolfurt können nämlich nicht nur Skilifte oder komplette Seilbahnnetze für südamerikanische Metropolen bauen, sie haben auch den Hogwarts Express zum Laufen gebracht. Zumindest in den Vergnügungsparks der Universal Orlando Resorts in Florida. Der nostalgische, Dampfwolken speiende Zug war allerdings ein Ausnahmeprojekt für den Weltmarktführer aus Vorarlberg. Immer noch verdient die Unternehmensgruppe, die sich 2002 mit der Schweizer Firma Garaventa zusammengetan hat, viel Geld im Alpenraum. "Wir sind zwar weltweit unterwegs, aber sehr viel Geschäft machen wir nach wie vor in der Heimat", erzählt Gerhard Gassner, einer der beiden Geschäftsführer von Doppelmayr Seilbahnen. Ein Drittel des Umsatzes wird hier generiert.

Denn in den Alpen wird trotz stagnierender Skifahrerzahlen ständig modernisiert. Immer komfortabler, immer leistungsstärker und schneller sollen die Bahnen sein, sicherer sowieso. Und so sind die meisten Bahnen, die Doppelmayr baut, Ersatz für bestehende Aufstiegshilfen. "Gerade in Österreich haben wir zurzeit sehr hohe Umsätze", erzählt Gassner. Ein Vorteil sei dabei die Nähe zum Kunden - denn eine Seilbahn sei nie ein Produkt von der Stange. "Wir haben die Bahnen über Jahre hinweg gemeinsam mit den Kunden entwickelt", sagt Gassner. Jede Bahn muss geografische und geologische Gegebenheiten berücksichtigen, Wind und Wetter in alpinen Regionen aushalten sowie je nach Einsatzgebiet verschiedene Funktionen oder auch exotische Wünsche erfüllen.

Der 2014 gebaute Hogwarts Express zum Beispiel ist nichts anderes als eine Standseilbahn. Aber er musste schwer sein, alt aussehen, Mengen an Rauch ausstoßen, kurzum, all das sein, was ein Skilift in den Alpen nicht sein soll. Und an den Waggonscheiben ziehen nicht die Berge, sondern Harry Potters Welten vorüber. In Vietnam brach die Bahn bei Ha Long zum Zeitpunkt ihres Baus zwei Weltrekorde: mit einer Kabine, die 230 Personen fasst, sowie mit einer Stütze, die 188,88 Meter hoch ist und damit die asiatische Glückszahl Acht gleich viermal enthält. Mittlerweile liegt der Rekord für die höchste Stütze bei 214 Meter. Für die Anlagen, die Doppelmayr zu den Olympischen Spielen in Sotschi gebaut hat, waren wiederum andere Voraussetzungen zu erfüllen: Weil ein zweiter Rettungsweg vorgeschrieben war, wurde die Bahn so gebaut, dass mit ihr auch Autos transportiert werden können. Erst vergangenes Jahr schloss die Doppelmayr-Gruppe die Arbeiten am weltweit größten urbanen Seilbahnnetz in La Paz in Bolivien ab. Und mit Smart Ropeways geht es weiter in Richtung Digitalisierung.

All dies lasse sich nur mit einsatzfreudigen Mitarbeitern machen, sagt Geschäftsführer Gassner. "Unsere Branche ist ein Projektgeschäft, deshalb brauchen wir flexible Mitdenker." Allein am Standort Wolfurt beschäftigt Doppelmayr 1200 der weltweit 3000 Mitarbeiter. Die Technik für Umlaufbahnen wird großteils in der Rheinebene gefertigt; in der Halle neben dem Hauptgebäude entstehen alle sicherheitsrelevanten Teile. In der Schweiz fertigt Garaventa die Technik für Pendel-, Standseil- und Spezialbahnen. Die Anforderungen an die Mitarbeiter sind in der Branche groß - sie brauchen immer eine Zusatzausbildung, bis sie tatsächlich hoch über Gletschern, Felsen oder Städten auch montieren können. Ein großer Aufwand. "Unser Ziel wäre es deshalb, die Leute ein Arbeitsleben lang zu halten." In Vorarlberg keine leichte Sache, wie Gassner einräumt. "Wir haben sehr viele, sehr gute Firmen hier in der Region."

Hier, in Vorarlbergs Rheinebene, hat das Unternehmen auch seine Wurzeln. 1893 eröffnete Konrad Doppelmayr seine Schmiede. Sein Sohn Emil war es, der 1937 den ersten Skilift baute, und zwar an dem Ort, den Marketing-Menschen gern als Wiege des Skifahrens bezeichnen: Zürs am Arlberg. Nach dem Zweiten Weltkrieg unternahm Doppelmayr die ersten Schritte zur Internationalisierung; er reiste 1953 nach Kanada, um dort erstmals einen Lift zu verkaufen. Es muss eine abenteuerliche Geschäftsverhandlung gewesen sein. Mit Händen und Füßen, ohne ein Wort Englisch, verkaufte Doppelmayr sein Produkt.

Nordamerika ist bis heute ein wichtiger Markt - obwohl Amerikaner und Kanadier bei weitem nicht so viel Wert auf komfortable Lifte legen wie die Skifahrer in den Alpen: 18 Prozent des Umsatzes werden dort gemacht, 19 Prozent in Südamerika. Dementsprechend betreibt Doppelmayr auch Produktionsstandorte auf der ganzen Welt, in den USA, in Kanada, in Frankreich, China, Italien.

Und wie geht es weiter? Potenzial sieht Gassner etwa in Russland. In Südamerika, das sich vor allem als Markt für urbane Seilbahnen entwickelt hat, hänge die Auftragslage stark von der politischen Situation ab. Entwicklungsmöglichkeiten sieht der Geschäftsführer aber auch im Bereich urbane Seilbahnen in Europa, das bislang anders als Südamerika noch nicht auf öffentlichen Nahverkehr in der Luft setzt: "Es wäre schön, wenn die Städteplaner die Möglichkeiten der Seilbahn positiv berücksichtigen würden", meint Gassner.

Bis es so weit ist, werden weiter Seilbahnen gebaut, in Skigebieten oder an Ausflugszielen. Und in jedem Fall profitiert das Unternehmen von einem Umstand, den man weder produzieren noch einkaufen kann. "Wir sind stolz, dass Österreich unser Heimatmarkt ist", sagt Gassner. "Weltweit hat Austria einen guten Klang."

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Quelle:
SZ vom 17.09.2020
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