Süddeutsche Zeitung

Fastnachtsbräuche:Die Rückkehr des Schellenröhrers

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Während in der Bütt in diesen Tagen Hochbetrieb herrscht, werden in den Alpen archaische Fastnachtsbräuche wiederbelebt.

Michael Frank

Während in der Bütt Hochbetrieb herrscht, und eine Prunksitzung die andere jagt, ist jenseits der karnevalistischen Massenspektakel am Rhein und in den alemannischen Gauen ein stiller Trend zu beobachten. Oder besser: Er war zu beobachten, denn im Alpenraum ist die Fastnacht mit dem unsinnigen Pfinster (Donnerstag), dem rußigen Freitag und dem schmalzigen Samstag schon vorbei.

Larven und Schemen, Plattler und Jacklschutzer, Schellenröhrer und Hexendreher, Waldschrat und Tanzbär haben ihr Werk verrichtet, den Winter ausgetrieben, den Frost gebannt und die Natur zu neuem Leben erweckt.

So scharf sonst die Kulturgrenzen sein mögen - bei den grotesken, schaurigen Fastnachtsbräuchen herrscht in den deutschsprachig besiedelten Alpen eine eigentümliche Ökumene. Diese Fastnacht, Fasenacht oder Fasnet mit ihren lärmenden und furchteinflößenden Gestalten gründet tiefer als das übliche Faschingsgaudium. Das düstere Treiben wurzelt in vorchristlich atavistischen Mythen: Der Mensch will den gott- und naturgegebenen Lauf von Jahreszeiten und Lebenszyklen wenn schon nicht ändern, so doch beschwören und befördern.

Lange waren solche Ursprünge vergessen. Oder man interessierte sich nicht dafür. Jetzt hat sich das geändert. Vielleicht ist es die Sehnsucht nach Spiritualität oder der Protest gegen eine laisierte und kommerzialisierte Welt - jedenfalls kommen die alten Riten und Mythen wieder zu Ehren. Oft sind sie verschwiegen und privat und vor allem touristisch völlig ungenutzt.

Vor kurzem noch hat man alte Bauern belächelt, die den Einschlag von Bauholz streng nach Jahreszeit und Mondphase regelten. Kosmische Einflüsse, Wachsen und Schwinden der Natur galten als Thema der Esoteriker. Mit der Ökologiebewegung in Land- und Bauwirtschaft haben sich nun auch die spirituellen Aspekte eines Lebens mit der Natur neu belebt. Die Sache mit dem Mond ist unter Ökologen beinahe schon wieder Allgemeingut, nicht Glaubenssache, mehr Rückgriff auf eine uralte Erfahrungskultur. Da ist der Schritt zu Naturerweckungsriten nicht weit.

Viele gerade junge Menschen zumal im mythenumwobenen Gebirge suchen so wieder Kontakt zur Tradition in einer technisch und zivilisatorisch globalisierten Welt. Und Spaß machen die wilden Riten allemal. So kann man beobachten, wie Jacklschutzer durch Dörfer und Schneewald ziehen, den Winter in Gestalt einer lebensgroßen Puppe in den Himmel werfend.

Vereint mit den Gebräuchen der Vorfahren

Besonders archaisch sind die Schellenröhrer, die einen der ältesten alpinen Bräuche in den späten Februartagen ausüben. Angetan in Tracht, mit einer schönen, ausdruckslosen Larve oder einem Pferdenetz vor dem Gesicht, eine Batterie Kuhglocken an breitem Riemen auf den Rücken geschnallt, springen sie in meditativem Rhythmus von einem Bein aufs andere, umkreisen dabei Acker, Weide und Stall.

Die Glocken scheppern, ihr Geläut soll die Saat wecken, die Säfte und Kräfte der Natur. Zuschauer braucht es keine. Dafür weiß man sich eins mit den Gebräuchen der Vorfahren.

Manche leben und erleben so wieder Heimat. Wie tief das sitzt, lässt sich daran ermessen, dass es der Kirche in zweitausend Jahren nicht gelungen ist, den als heidnisch oder gar gottlos verurteilten Fasnachts-Mummenschanz auszutreiben. Er belebt sich sogar in ungeahnter Weise abseits vom Touristenrummel neu.

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SZ vom 21.
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