Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Ende der Reise":Der große Verzicht

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Fastenhotels sind die stillen Vertreter eines immer stärker boomenden Verzichtstourismus. Aber warum müssen Reisende für immer weniger eigentlich immer mehr Geld zahlen?

Glosse von Dominik Prantl

Fastenhotels, die ganz im Allgemeinen durch die immer fastenfreudigere Gesellschaft zunehmen und sich dieser Tage im Speziellen durch die überstandene Faschingszeit prächtig füllen, Fastenhotels also sind nur stille Vertreter eines immer stärker boomenden Verzichtstourismus.

Natürlich sind die Vielfraße an den Hotel- und Kreuzfahrtbuffets trotz Covid noch nicht vom Aussterben bedroht, aber wer sich heutzutage auf Reisen wirklich etwas gönnen will, der gönnt sich möglichst wenig. "Entbehren sollst du! sollst entbehren", hieß es bei Goethe vor mehr als zwei Jahrhunderten im "Faust". "Der tägliche Roomservice ist lästig, überflüssig und nicht zeitgemäß", hieß es vor mehr als zwei Jahren in der Welt. Und weil die Tourismusbranche längst spitzgekriegt hat, dass auch mit weniger Service mehr Geld verdient werden kann, lautet der neue selig machende Dreisatz: reduzieren, runterfahren, abschalten.

Das bezieht sich nicht nur auf Fastenhotels, wo das entschlackende Gemüsesüppchen samt Knäckebrot geschickt in einem sündhaft teuren Rundum-Sorglos-Package eingebettet wird, bei dem man sich beim genauen Nachrechnen fragen darf, was nun genau 1099,20 Euro gekostet hat: das spartanische Zimmer? Die täglichen Spaziergänge in der Einsamkeit? Oder doch der Apfel beim Fastenbrechen?

Anderswo werden wiederum der Verzicht auf frische Handtücher und die tägliche Zimmerreinigung gerne als Öko-Konzept statt als Kostensparmaßnahme verkauft. Und weil auch das Gratis-Wlan in Unterkünften, am Strand, im Skilift, ach: überall, mittlerweile zum All-inclusive-Buffet der Unterhaltungsbranche verkümmert, versprechen Digital-Detox-Hotels und Offline-Reisen inzwischen Social-Media-Kuren und Handy-Fasten. Ein Haus in Kärnten hat die "Alpine Slowness" beispielsweise zum Marketingkonzept erhoben, wobei sich der Smartphone-Verzicht dort so anhört: "Für die ganz mutigen Gäste haben wir etwas Neues!" Abschalten als Abenteuer.

"Verzichten ist ein Ausdruck der inneren Freiheit. Und die gehört zu unserer Würde", hat Anselm Grün gesagt. Er ist Betriebswirt und Benediktinerpater und ein als solcher in Fastenfragen versierter Mensch. Schon steht die Frage im Raum, ob auf Reisen der Verzicht die wahre Würde, der neue Luxus ist, wobei man vielleicht eher davon auszugehen sollte, dass es ein Luxus ist, sich Verzicht und Würde leisten zu können.

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