Süddeutsche Zeitung

Cayman Islands (SZ):Von der Bank auf die Sandbank

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Cayman Islands: Krokodil-Dandys und eine wunderschöne Welt, in der man lieber abtaucht: Nirgendwo ist das ereignislose Leben so angenehm wie hier

Georg Diez

(SZ vom 6.3.2001) - Von oben gesehen ist das Paradies recht flach. Auf Thekenhöhe ist das Paradies einigermaßen langweilig. Wenigstens von unten betrachtet ist das Paradies, nun ja, immerhin, paradiesisch.

Sumpfiges Land, ein paar struppige Sträucher, Grasbüschel, Bäume, Riffe, Meer und Sand: Mehr braucht es heute nicht, und schon kann man einen Ort mit dem Paradies verwechseln - einen Ort, der in einer anderen Zeit gerade mal gut genug war, dass dort einige versprengte Piratenbanden ihr trauriges Leben verbrachten. Immerhin schien auch damals die Sonne wie heute, wenn nicht gerade mal wieder einer jener tropischen Regenfälle niederging, die immer noch jedes offen gelassene Cabrio in ein Elendsbild von nassen Polstern und ruinierten Gastgeschenken verwandeln.

Es waren ja andere Zeiten damals, als zum Beispiel ein Segler namens Columbus auf dem Weg von Panama rüber nach Hispaniola an diesem sumpfigen Etwas vorbei segelte, die Hand vor die Augen hielt, weil ihn schon damals die Sonne blendete, und feststellte, dass diese kleine, flache Insel voll von Schildkröten war, großen, braunen Schildkröten, genau wie die beiden anderen Inseln in der Nähe, rund 95 Kilometer südlich von Cuba und 300 Kilometer nordwestlich von Jamaika mitten in der Karibik. Auch das Meer um die größte dieser Inseln war voll davon, und was er anfangs für Felsen eines Riffs gehalten hatte, das, so merkte er jetzt, waren auch Schildkröten.

Da ihn aber Schildkröten nicht so sehr interessierten, weil er hinter lukrativeren Dingen her war, holte er nur sein Tagebuch heraus und schrieb dort hinein, dass die Inseln von nun an die "Tortugas" genannt werden sollten, weil man Schildkröten in seinen Breiten eben so nannte. 1503 war das, und irgendetwas muss schief gegangen sein in den Jahren, die danach folgten, denn als Sir William Dampier die Inseln 1675 besuchte, da hießen sie plötzlich Caimans oder auch Cayman Islands. Immerhin, stellte der Sir fest, gab es dort reichlich Krokodile, und so machte dieser Name durchaus Sinn.

Die einzige Schildkröte, die man dieser Tage auf einer der Inseln findet, ist ein grinsendes Ding mit einem Holzbein, einem Degen und einem gestreiften Seglerhemd, ein Symbol, das sich sicher das Cayman Islands Department of Tourism ausgedacht hat, eine Institution, die sich keine Sorgen machen muss über ihre Zukunft. Denn wenn man den Inseln heute einen Namen geben müsste, dann würde man sie nach jenen Wesen nennen, die heute so träge im Wasser treiben wie vor 500 Jahren die Schildkröten: la isla de los Gringos palidos, Insel der käsigen Amerikaner. Die Cayman Islands sind der Beweis, dass Geld oben schwimmt.

Denn eigentlich schaut es von oben aus dem Flugzeug so aus, als lägen da drei verschrumpelte Dollar-Scheine in der Karibik. Das gleiche verwaschene Grün, die gleiche verheißungsvolle Aura, die gleiche vorprogrammierte Enttäuschung. Von Dollar-Scheinen, das ist die erste Lektion, hat man immer zu wenig, vor allem, und das ist die zweite Lektion, auf den Cayman Islands. Und drittens: Selbst wenn man genug davon dabei hat, wer will schon dauernd Hummer essen?

Aber so ist das, zumindest auf der größten der drei Inseln, auf Grand Cayman, wo 40 000 Menschen wohnen, die Hälfte davon in George Town, der Hauptstadt dieser drei Inseln, die als britische Kronkolonie von einem Gouverneur regiert werden und durch ihren Sonderstatus Freiheiten der besonderen Art genießen. Freiheiten von der Sorte, dass es hier ziemlich viele Leute gibt, denen es nichts ausmacht, knapp 50 US-Dollar zu bezahlen für einen Hummer und ein Stück Schildkröte aus der großen Zuchtfarm. Das Ganze eben noch untermalt von Harfenmusik auf der prächtigen Terrasse direkt am Meer, Blick auf das Blau, das langsam zu Schwarz wird, bis auf einmal Lichter im Wasser angehen, damit man die exotischen Fische sehen kann, die da gerade herum schwimmen.

Dann kommt vielleicht auch mal der Chef persönlich vorbei, der ebenfalls Österreicher ist und einem davon erzählt, wie das am Anfang war hier auf den Cayman Islands, vor zwanzig Jahren zum Beispiel, als noch Mick Jagger hier war oder auch der Milliardär Kaschoggi, der immer Leute dabei hatte, die die Geldkoffer mit Handschellen an den Gelenken sicherten. So war das damals, als der Jet Set noch nicht unter das Volk geraten war und sich praktisch jeder eine Reise ins Paradies leisten konnte.

Die alleinstehenden Arbeitsdronen etwa, die hierher geflogen werden als Bonustrip für ihr Engagement in einer der Anwaltskanzleien oder Brokerbanken in Minneapolis, Chicago oder New Jersey. Wenn sie wirklich was geleistet haben, dann wohnen sie zum Beispiel im Grand Cayman Marriott Beach Resort direkt am Seven Mile Beach, der nur sechs Meilen lang ist. Und wenn sie nicht ganz so viel geleistet haben, dann wohnen sie in einem der Motels auf der anderen Seite der West Bay Road, der einzigen Straße, die den Nordteil der Insel mit George Town verbindet. Aber egal, ob sie einen Bonus von 10 000 Dollar oder 100 000 Dollar erhalten, am Abend sind alle gleich hier, jeden Tag der Woche, ganz besonders aber Samstag und Sonntag.

Um Mitternacht ist dann Schluss mit Bier, Musik und Party, die Cayman Islands sind schließlich nicht nur einer der größten Bankenplätze der Welt mit über 500 Banken, sie haben auch ungefähr so viele Kirchen hier. Gottesfürchtiges Land also, da soll keiner die Kirche verschlafen. "Wenn ihr Spaß haben wollt", hatte das Mädchen gesagt, als sie die Heineken-Flaschen auf den Tisch stellte, "dann müsst ihr schon nach Miami fliegen".

Und so kommen dann wirklich gegen viertel vor zwölf drei, vier nette, aber strenge und beeindruckend ausstaffierte Polizisten in die paar Lokale, in denen so etwas wie Stimmung im Entstehen begriffen war, und bieten einem freundlich einen durchsichtigen Plastikbecher an. Ob man sein Bier da nicht rein schütten wolle, um es draußen auszutrinken? Gehen muss man ja sowieso. Und so verlässt man auch diesen Ort, wo es zwar hervorragendes Sushi gegeben hatte, dann aber eine Armada von Angestellten Ende dreißig eingefallen war, die unbedingt zur Musik von Abba etwas Exzess üben wollte. "Money, money, money", hatten sie alle gesungen und auf den Tischen getanzt, "must be funny in a rich man's world".

"Must be funny in a rich man's world"

Überhaupt ist die Musikregie von einer stillen Komik auf dieser größten der drei Inseln. Wenn man etwa aus der Tiefkühltruhe, die die Eingangshalle jedes teuren Hotels ist, in die klebrige Hitze der Karibik hinaus stolpert, um sich an den Pools und Bars vorbei seinen Weg zum Seven Mile Beach zu suchen, an dem Leute auf und ab stolzieren, die entweder aussehen wie Lottomillionäre mit zu viel Zeit oder Internetvisionäre mit zu viel Geld, dann ist es doch von einer angenehmen, wenn auch unbeabsichtigten Ironie, dass dazu "I shot the sheriff" gespielt wird, in gedämpfter Lautstärke und in einer Fassung für Steeldrum.

Aber Kitsch ist nur das andere Gesicht der Wahrheit, und so schieben sich bei einem "Mudslide" oder einem anderen Cocktail die verschiedenen Ebenen ineinander, die das Leben in der Karibik so lebenswert machen: Rausch, Rhythmen, Revolution und natürlich reaktionäres Denken, Reichtum und Rassenkonflikt. Must be funny in a rich man's world.

Rochen zum Streicheln und Füttern

Grand Cayman ist eine Insel der gut gelaunten Geheimnislosigkeit und der schönen Oberflächenreize, die ihre eigentliche Schönheit unter der Oberfläche entfalten. Aber selbst die bedrohliche Macht des Meeres, die Peter Matthiessen so grandios beschrieben hat in seinem kürzlich in der deutschen Übersetzung erschienenen Cayman-Roman "Far Tortuga" (Europäische Verlagsanstalt), selbst diese Urgefahr des Menschen wird hier zum Zoo verniedlicht.

"Stingray City" heißt die Sandbank mitten im North Sound der Insel, und wenn man sich diesem Ort mit dem Boot nähert, dann sieht es aus, als sei man auf dem Weg zu einer Massentaufe der Moon-Sekte. Drei stattliche Schiffe ankern da, Hunderte Menschen stehen bis zur Hüfte im Wasser, schauen, staunen und stoßen schrille Schreie aus: Rochen! Zehn, zwanzig, dreißig Rochen, die da lustig auf dem Sandboden herumliegen oder träge hin und her gleiten. Ganz brav sind die Dinger, man kann sie in den Arm nehmen, streicheln oder füttern - eine sehr lustige, wenn auch leicht absurde Übung, die immerhin zur Folge hat, dass man sich nicht mehr ganz so sehr erschreckt, wenn beim Schnorcheln in den seichten Riffrevieren plötzlich ein grau-schwarzer Flügelschlag etwas Sand aufwirbelt und der doch eigentlich, wie man das einmal gelernt hatte, so gefährliche Rochen seinen Stachel nimmt und davon schwebt.

Heineken und CNN halten Einzug

So ist das auf Grand Cayman, einer Insel, die berühmt ist für ihre schönen Tauch- und Schnorchelplätze, aber auch als Steuerparadies und als idealer Ort für die Geldwäsche aus dem einen oder anderen Drogengeschäft zum Beispiel. Geld ist das Mittel, das diesen Kreislauf von Frömmigkeit, Heuchlerei, Erfolg und Luxus antreibt - und wenn man in einer der kleinen Maschinen der Cayman Airlines auf dem holprigen Grasfeld landet, das auf der rund 140 Kilometer nordöstlich von Grand Cayman gelegenen Insel Little Cayman als Flugbahn dient, dann kann man sich fast ein wenig illegal fühlen, als transportiere man mehr als nur ein paar Flossen, eine Badehose und schmutzige Wäsche.

So aber lässt man sich von einer netten Französin die Tasche abnehmen, geht so langsam wie möglich durch die Hitze zu einer der kleinen weißen Holzhütten, die neben dem Flugfeld gebaut sind, wirft sich in dem kühlen Zimmer aufs Bett, schaltet CNN ein, holt ein Heineken aus dem Kühlschrank, öffnet die Tür zur Veranda, sieht einen Leguan gerade noch hinter den mächtigen Palmen verschwinden, zwischen denen eine Hängematte gespannt ist, lässt sich auf einen Stuhl im Schatten fallen und stößt erst einmal darauf an, dass das Paradies immer dann am schönsten ist, wenn es dort auch ein kühles Bier gibt.

Eine Pirateninsel in moderner Form

Ein Ort also wie die Hütten der Paradise Villas auf Little Cayman oder auch die wundersame Bar "Aunt Sha's Kitchen" auf Cayman Brac, der am wenigsten flachen Insel im Sortiment. Wer tagsüber kommt, der kann aufs weite Meer schauen, zähen Hummer essen, Bier trinken und den Arbeitern, Cops und Inselschönheiten bei ihrem Tun zuschauen.

Und wer abends kommt, der braucht nicht lange zu fragen, warum der Laden heißt, wie er heißt: sharks. Haie, drei, vier, zehn, etwa zwei Meter lang und sehr zur Begeisterung des alten Clifford, der an der Mauer lehnt und vom Leben erzählt, von Stürmen, Schiffen und Frauen. Eigentlich, das versteht man in solchen Momenten, sind die Cayman Islands auch heute noch, was sie immer waren: eine Pirateninsel, nur der moderneren Form. Jemand bringt noch eine Runde Heineken. Man schweigt und starrt hinaus aufs Meer, einem Ort, der so flach ist wie nur das Paradies.

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