Süddeutsche Zeitung

Capri:Die Fünf-Sterne-Insel

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180 Jahre nach Entdeckung der Blauen Grotte ist Capri noch immer eines der Lieblingsziele der Reichen, Mächtigen und Schönen - nicht nur wegen der Gastfreundschaft.

Stefan Ulrich

Neulich ging Roger Belletti mit Freunden eine Kleinigkeit essen. "115 Euro haben wir bezahlt, für drei Bier und drei Pizzen. Das finde ich nicht gut. Aber die Pizzeria war knallvoll - und alle waren zufrieden. Capri eben."

Der Hotelmanager mit dem gebräunten, kahl rasierten Kopf zieht die Augenbrauen hoch und blickt von der Restaurantterrasse ein wenig ratlos über die knallweißen Inselhäuschen mit ihren blumenüberwachsenen Balkonen, über die Gärten mit den Orangen- und Zitronenbäumen, die tiefgrünen Hügel, Kalksteinklippen und das Meer, das sich da so glatt und kobaltblau ausbreitet wie eine Platte aus Muranoglas.

"Wunderschön, gewiss", murmelt Belletti, "und trotzdem finde ich es unfassbar, wie stark sich Capri verkauft. Und ich frage mich, ob es das viele Geld wert ist."

Dabei ist es Belletti eigentlich gewohnt, mit sehr viel Geld umzugehen. Als Chef des vergangenen Sommer eröffneten Marriott Capri Tiberio Palace führt er eines der kostspieligsten Häuser der mondänsten Insel des Mittelmeers.

"Wir sind das teuerste Marriott weltweit", sagt er und kostet von dem Seeigel-Tatar, das sein Küchenchef gerade zubereitet hat. "Fünf Sterne Luxus. Die Zimmerpreise beginnen bei 400 Euro und enden bei 1500. Trotzdem sind wir derzeit total ausgebucht. Wenn das so weitergeht, bräuchten wir bald keinen Sales Manager mehr."

Capri ist, 180 Jahre nach der "Entdeckung" der Blauen Grotte durch den deutschen Maler August Kopisch, wieder eines der Lieblingsziele der Mächtigen, Reichen und Schönen, und das, obwohl Tag für Tag bis zu 15.000 Ausflügler die Insel überschwemmen.

Andere feine Adressen wären dadurch erledigt, doch auf Capri schreckt der Rummel die Prominenten nicht ab. Tom Cruise und Jennifer Lopez, Elton John, Mariah Carey, der belgische König Albert II., Italiens Industriellen-Präsident Luca Cordero di Montezemolo, Caroline von Monaco, Giorgio Armani oder das römische Fußball-Idol Francesco Totti - alle kommen nach Capri, um von ihren Yachten aus die Restaurants und Boutiquen zu stürmen oder in ihren Villen ruhige Tage zu genießen.

Marcello, Jose und Kirk

Die spektakulären Häuser in den Steilhängen werden, wenn überhaupt, nur noch zu Phantasiepreisen weitergegeben. "Silvio Berlusconi sucht hier eine Bleibe", sagt Roger Belletti, "und (Microsoft-Gründer) Bill Gates kam gerade vorbei, um sich eine Villa anzuschauen. Als sich der Preis daraufhin verdreifachte, fuhr er stinkig wieder davon. Recht hatte er."

Der Manager verzehrt eine Hummer-Schere und blickt wieder auf das Mittelmeer-Idyll. Capri sei sehr unbequem, sagt er. Es gäbe kaum Strände und die Wege seien zu eng für Autos. Dennoch wollten alle hierher.

"Man kann es nicht erklären, aber Capri hat etwas. Hier ist es anders als anderswo. Aber auch ich verstehe nicht, warum."

Rätselhaftes Capri. Wer eine Antwort auf die Frage sucht, was die Insel so begehrenswert macht, kommt an Antonio De Angelis kaum vorbei. Schon der erste Blick in sein Restaurant "La Capannina" legt nahe, dass sich hier das Geheimnis offenbaren könnte.

Denn die zahllosen Fotos an den Wänden beweisen, dass sie alle hier gewesen sind: der Schah von Persien mit Soraya, Jacqueline Kennedy mit dem Reeder Onassis, Marcello Mastroianni und Julia Roberts, Dustin Hoffman und Jose Carreras, Kirk Douglas und, viele Jahre später, Sohn Michael.

Sie alle - das streng dreinblickende Paar aus Persien einmal ausgenommen - zeigen strahlende Gesichter, denen man ansieht, dass sie gerade sehr gut getrunken und gegessen haben.

"Und dann sind hier schon die unglaublichsten Geschichten zwischen den Prominenten passiert", sagt Antonio De Angelis, ohne sich näher darüber auslassen zu wollen. "Capri ist immer in Mode", sagt der Wirt. "Es ist immer etwas exklusiver als anderswo."

Promis? Kein Problem für Capresen

Der Massenansturm ändere daran nichts. "Denn nach Sonnenuntergang, wenn die Ausflugsschiffe abgefahren sind, verändert die Insel total ihr Gesicht." Dann machen sich "i Vip", wie die Capresen respektvoll sagen, in ihren Villen und Suiten zurecht und kommen in den Ort, um in den Boutiquen der Via Camerelle - sie gilt als Capris Fifth Avenue - ein Zitronenparfum oder ein paar handgemachte Sandaletten zu kaufen und dann in den Restaurants zu schlemmen.

Weil die Capresen Prominente gewöhnt seien, würden sie auch ganz in Ruhe gelassen. "Nur einmal, als Silvester Stallone hier aß, wurde es turbulent. Da hingen die Mädchen draußen kreischend an den Fenstern des Wintergartens."

"Wir haben Tischreservierungen bis in den Oktober hinein aus aller Welt", sagt Antonio De Angelis. "Gott sei Dank spüren wir die Wirtschaftskrise hier überhaupt nicht."

Wer nun etwa glaubt, der 74 Jahre alte Wirt sei ein Snob, der täuscht sich.

Tonio, wie er genannt wird, ist ein freundlicher und bescheidener Mensch; und er hat eine besondere Gabe, mit seinen Gästen umzugehen.

Wer ihn das erste Mal trifft, glaubt schon, ihn seit Jahren zu kennen. "Capris Geheimnis sind zehn, zwanzig Familien, die hier den Qualitätstourismus tragen", sagt er. "Wir kümmern uns alle sehr persönlich um unsere Gäste und geben ihnen gleich das Gefühl, zu Hause zu sein. Manche kommen daraufhin 30, 40 Jahre lang. Sie kommen dabei mehr wegen uns als wegen Capri. Das ist die Basis des Erfolgs der Insel."

Tiberius und die Frauen

Gastfreundschaft also, eine uritalienische Tugend. Doch auch die findet man noch an anderen Orten. Es muss noch einen weiteren Grund geben, warum alle seit Jahrzehnten unbedingt nach Capri wollen. "Warum?" - Salvatore Lembo blickt den Besucher an, als sei der nicht bei Sinnen. Dann schnaubt er: "Komm mit, ich zeige dir, warum."

Lembo ist ein waschechter Capri-Fischer, und einer der ältesten der Insel dazu. "Weißkopf", nennen ihn die Capresen wegen seiner Haare.

Früher verdiente er sein Geld wie seine Vorfahren als Fischer, heute eher als Menschenfischer. Von der Marina Piccola, einem kleinen Hafen mit ein paar noblen Badeanstalten aus, fährt er einzelne Besucher zu den schönsten Flecken der Insel.

Flink wie ein Jüngling springt er mit seinen 86 Jahren in sein Boot und lässt den Motor an. Wer nur die Blaue Grotte besichtige und einen Cappuccino auf der Piazzetta trinke, der habe die Insel nicht gesehen, meint er. Und dann tuckert er los zu den Geheimnissen Capris.

Der alte Fischer erzählt dabei die vielen Geschichten, die er in seinem langen Leben angesammelt hat. Auf dem äußersten der berühmten Faraglioni, der kleinen vorgelagerten Klippeninseln, gebe es eine blaue Eidechsenart, die nirgendwo sonst auf der Welt existiere.

Dann zeigt er auf eine versteckte Felsbucht und sagt: "Hier war der Hafen des Tiberius, des schrecklichsten Kaisers der Welt." Der Stiefsohn des Augustus hat von Capri aus viele Jahre das Römische Weltreich regiert.

Doch sein Ruf auf der Insel ist nicht der Beste: "Tiberius hasste die Frauen", behauptet der Fischer. "Er ließ sie nachts in ihren Kissen ersticken und dann von den Felsen werfen."

Es wird eine lange, nie langweilige Fahrt entlang der Hunderte Meter hohen, von Seemöwen umschwärmten Steilküste, durch Felstore hindurch, an einsamen Villen vorbei, zu weißen und grünen Grotten mit bizarren Tropfstein-Gebilden, in denen er einst mit dem Vater Zuflucht suchte, wenn sie ein Sturm beim Fischen überraschte, zu wassersprühenden Felslöchern und Klippen, an denen die seltenen Meerdatteln haften.

Wieder in Marina Piccola angekommen schaut Salvatore Lembo seinen Fahrgast herausfordernd an. "Hast du nun das Geheimnis Capris begriffen?", fragt er und gibt dann selbst die Antwort: "È la bellezza" - "Es ist die Schönheit". Capri eben.

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Quelle:
SZ vom 24.6.2006
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