Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Hin und weg:Hauptsache, billig

Lesezeit: 2 min

Beim Deutschlandticket wird viel über den Sparpreis und wenig über Servicequalität geredet.

Glosse von Joachim Becker

Darf ein Taxifahrer seine besoffenen Kunden in einer kalten Winternacht einfach rausschmeißen? Nein, darf er nicht, sagen die Gerichte. Wer glaubt, dass solche Fürsorgepflichten auch für eine gut besetzte S-Bahn gelten, der irrt. In den Außenbezirken entledigt man sich der (nüchternen) Fahrgäste ohne viel Federlesens: Einfach die Endstation um drei Haltestellen vorverlegen, am nächsten zugigen Bahnsteig halten und die Passagiere abladen - kommentarlos wie Schüttgut in einer kalten Winternacht. Das ist eine bewährte Methode der Bahn, um Verspätungen wieder reinzuholen.

Jetzt hört man allenthalben Jubelmeldungen rund um das 49-Euro-Ticket. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) schätzt, dass mit der Flatrate rund 5,6 Millionen Menschen erstmals ein Abo für den Nahverkehr abschließen könnten. Zudem sollen etwa 11,3 Millionen Fahrgäste von einem anderen Abo in das neue Angebot wechseln. Werden sich die Einfallstraßen in Metropolen wie München also schlagartig leeren? Mehr als eine halbe Million Menschen drängen arbeitstäglich in die bayerische Landeshauptstadt. Sobald dieser Pendler-Ansturm auf die Bahn umsattelt, kann man auf dem Altstadtring Bäume pflanzen und Radwege anlegen wie auf der Wiener Ringstraße. Ein Traum.

Bisher kann das Pendeln aus den Außenbezirken in die Stadt pro Jahr doppelt oder dreimal so teuer sein wie die geplanten knapp 600 Euro für das Deutschlandticket. Das Kundenpotenzial unter den (Fern-)Pendlern, die in Hauptstädten wie München durchschnittlich mehr als 70 Stunden pro Jahr im Stau stehen, ist also groß. Aber was passiert eigentlich, wenn mehr als fünf Millionen Menschen zusätzlich in Busse und Bahnen drängen? Wiederholen sich dann arbeitstäglich die Szenen vom vergangenen Sommer, als Tausende Urlauber die Regionalbahnen stürmten?

Und was machen die Neukunden, wenn sie am eigenen Leibe erfahren, dass sich etwa jeder dritte Zug der Bundesbahn verspätet und S-Bahnen immer wieder ausfallen? Das ist in der Stadt lästig, aber abends in den Außenbezirken mit einem 40-Minuten-Takt wird es zur echten Geduldsprobe. Wie oft möchte man in Winternächten an irgendwelchen Bahnhöfen ausgesetzt werden - bevor man die Rechnung mit dem 49-Euro-Ticket erneut aufmacht?

Der mobile Mensch ist ja nicht blöd, sondern vor allem auf seinen Vorteil bedacht. Es ist nicht nur die Preisfrage, die das Staumonster mästet. Oft sind die (K.-o.-)Kriterien ganz andere: Mit welchem Beförderungsmittel braucht man länger, und in welchem ist der Diskomfort am geringsten? Die Antwort ist für den öffentlichen Nahverkehr nicht immer schmeichelhaft, siehe oben.

Wenn der öffentliche Nahverkehr zwar billig, aber unzuverlässig und unkomfortabel ist, werden sich viele Neukunden bald eines Besseren besinnen. Denn nicht alle Pendler werden gleich ihr Auto verkaufen - und beim Blick auf die digitale Straßenkarte könnte das Pendel wieder zurückschlagen: "Oh, es ist grün auf Google Maps, endlich kann man zügig Auto fahren." So wie es in London mit der City-Maut tatsächlich passiert ist. Allzu viel sollte die Bahn beim Deutschlandticket also nicht falsch machen.

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