Psychologie

Sag mal nein

Wer sich nicht abgrenzt, reibt sich auf: 100 Mal haben vier Forscherinnen im beruflichen Kontext bewusst „Nein“ gesagt. Die Rechtswissenschaftlerin Rebecca Nelson erzählt von dem Projekt – und wie man besser im Neinsagen wird.

Psychologie

Sag mal nein

Wer sich nicht abgrenzt, reibt sich auf: 100 Mal haben vier Forscherinnen im beruflichen Kontext bewusst „Nein“ gesagt. Die Rechtswissenschaftlerin Rebecca Nelson erzählt von dem Projekt – und wie man besser im Neinsagen wird.

Interview von Nina Kammleiter
1. September 2022 - 4 Min. Lesezeit

Nein sagen fällt schwer. Besonders dann, wenn es im beruflichen Alltag um relevante und drängende globale Probleme wie den Klimawandel geht. Auf ein “Jahr des Neins” haben sich vier Wissenschaftlerinnen aus den USA und Australien geeinigt. Die Frauen treffen sich seit mehr als einem Jahrzehnt regelmäßig, um über ihre Arbeit zu sprechen und sich Feedback zu geben. Innerhalb ihres “Jahrs des Neins” haben sie insgesamt 100 Mal Nein zu Projekten, Vorträgen oder anderen beruflichen Anfragen gesagt. In einer Kolumne im Magazin Nature teilten sie kürzlich ihre Erfahrungen. Eine von ihnen ist Rebecca Nelson, Professorin der Rechtswissenschaften an der Universität Melbourne. Ein Gespräch über den Wert eines klaren Neins.

SZ: Ich hatte schon fast mit einem Nein gerechnet. Warum haben Sie Ja zu diesem Interview gesagt?

Rebecca Nelson: (lacht) Nun, nachdem ich über die Bedeutung des Neinsagens geschrieben habe, denke ich, dass es wichtig ist, das weiterzuerzählen.

Wie ist die Idee für das “Jahr des Neins” entstanden?

Wir sind vier Wissenschaftlerinnen, die sich seit Jahren wöchentlich treffen und über die Arbeit austauschen. Bei diesen Treffen haben wir festgestellt, dass wir uns immer wieder gegenseitig ermutigen mussten, Nein zu verschiedenen Anfragen zu sagen. Deshalb fanden wir es wichtig, uns mal bewusster auf das Neinsagen zu konzentrieren und wir begannen zu dokumentieren, bei welchen Gelegenheiten wir Nein sagten und wie wir uns dabei fühlten.

Warum sollten wir öfter Nein sagen?

Das bewusste Neinsagen ist wichtig, um ausreichend Zeit für die Dinge zu haben, zu denen wir Ja gesagt haben. Wir tendieren dazu, häufig Ja zu sagen, obwohl wir nicht ausreichend Zeit dafür haben, die Aufgaben zu bewältigen, die wir dadurch übernehmen müssen. Das endet in Überlastung und Stress, und das wollen wir vermeiden. Wir möchten sicherstellen, dass wir bei den Dingen, zu denen wir Ja sagen, wirklich gute Arbeit leisten. Gleichzeitig möchten wir aber verhindern, dass es keinen Platz mehr für etwas anderes als Arbeit in unserem Leben gibt.

Das scheint in der Wissenschaft manchmal besonders schwierig zu sein.

Ja, ich denke, die Autonomie, die mit der Wissenschaft einhergeht, bietet viele Möglichkeiten. Besonders Menschen, die in sehr politikrelevanten Bereichen arbeiten, haben durch ihre Arbeit Einfluss auf die Welt und auf politische Entscheidungsträger. Meine Kolleginnen und ich arbeiten im Bereich Ökologie. Wenn wir uns umschauen, sehen wir viele drängende Probleme in diesem Bereich, und so entsteht der Wunsch, zur Lösung dieser Probleme beizutragen. Es gibt natürlich mehr Probleme, als jeder persönlich lösen kann, aber ich denke, das Ausmaß der Herausforderungen erzeugt auch den Wunsch, zu ihrer Lösung beizutragen.

Die Rechtswissenschaftlerin Rebecca Nelson ist Dozentin an der Melbourne Law School. In ihrer Forschung befasst sie sich mit praktischen Lösungen in Umweltrecht und -politik.
Die Rechtswissenschaftlerin Rebecca Nelson ist Dozentin an der Melbourne Law School. In ihrer Forschung befasst sie sich mit praktischen Lösungen in Umweltrecht und -politik.

In Ihrer Kolumne schreiben Sie, Sie hätten erkannt, dass auch Ihre kulturelle Prägung als Frauen zu den Schwierigkeiten beim Neinsagen beigetragen hat. Inwiefern?

Ich glaube, als Frauen wird uns sozusagen beigebracht, anderen entgegenzukommen. Das macht es schwieriger, Forderungen abzuwehren. Es wird als wünschenswert angesehen, allen ständig so viel wie möglich zu helfen. Das ist natürlich nicht mit einem klaren Nein vereinbar.

Was ist das Schwierigste am Neinsagen?

Der emotionale Aspekt des Neinsagens ist wirklich schwierig und wird tendenziell unterschätzt. Die Schuldgefühle, die mit dem Nein-Sagen einhergehen, sind ziemlich belastend, besonders, wenn man in einer persönlichen Beziehung zueinander steht und um Hilfe gebeten wird.

Eine abgeschwächte Form des Neins, also nur einen Teil des Geforderten zu übernehmen, scheint da leichter. Ist das Ihrer Erfahrung nach sinnvoll?

Zu Beginn hatten wir einige solcher Fälle, bei denen eine von uns sagte: Ich kann diese wirklich große Aufgabe, um die du mich gebeten hast, nicht erfüllen, aber ich kann einen kleinen Teil davon übernehmen. Oder ich kann es tun, aber ich kann es nicht jetzt tun, sondern später. Wir haben festgestellt, dass dieser Ansatz nicht gut funktioniert. Derjenige, von dem die Aufgabe kam, hat mit der Zeit sozusagen vergessen, dass wir eigentlich Nein oder nur ein kleines bisschen Ja gesagt haben, und so wurde die Aufgabe viel größer, als wir ursprünglich dachten.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie in Ihrem “Jahr des Neins” eine wichtige Gelegenheit verpasst haben?

Rückblickend habe ich kein Nein bereut. Da war eher ein Gefühl von: Gott sei Dank habe ich zu diesen Dingen Nein gesagt, denn ich könnte mir nicht einmal vorstellen, meine derzeitigen Aufgaben mit all den Dingen zu vereinbaren, zu denen ich Nein gesagt habe. Es gab also keinen Moment des Bedauerns. Diese Angst, etwas zu verpassen, ist wirklich spannend: In dem Moment, in dem man Nein sagt, hat man sie vielleicht noch. Aber dann verschwindet sie. Das ist tröstlich.

Was haben Sie in diesem Jahr des Neinsagens gelernt?

Es ist wichtig, bewusst Nein zu sagen und das Neinsagen immer wieder zu üben. Es fällt auch leichter, wenn man beispielsweise Standardformulierungen dafür hat. Wenn man diese per Copy-Paste in eine E-Mail einfügen kann, ist das viel einfacher, als wenn man jedes Mal eine E-Mail von Grund auf neu schreiben und sich den Kopf darüber zerbrechen muss, wie man am besten Nein sagt. Aber es ist auch von Vorteil, eine Gruppe von Leuten zu haben, mit denen man sich austauschen und die man fragen kann: Ich würde gerne nein sagen, aber was hältst du davon? Feedback von einer Gruppe von Menschen zu bekommen, die einen ermutigen und einem die Erlaubnis geben können, Nein zu sagen, das ist wirklich nützlich.

Setzen Sie Ihr „Jahr des Neins“ fort?

Ich persönlich dokumentiere meine Neins nicht mehr. Einige andere aus der Gruppe tun das nach wie vor. Dennoch versuche ich weiterhin, bewusst Nein zu sagen und realistisch einzuschätzen, wie viel Zeit ich an einem Tag tatsächlich für Dinge habe. Ich sage nicht sofort Ja, sondern nehme mir die Zeit, wirklich darüber nachzudenken.

Team
Redaktion Marlene Weiß
Illustration Shutterstock, SZ
Digitales Design Stefan Dimitrov