Klimawandel

Jetzt wird’s richtig giftig

Die erhoffte Trendwende beim Schadstoffausstoß bleibt aus. Die weltweiten CO₂-Emissionen liegen inzwischen sogar höher als vor der Pandemie. Wer dafür verantwortlich ist .

Klimawandel

Jetzt wird’s richtig giftig

Die erhoffte Trendwende beim Schadstoffausstoß bleibt aus. Die weltweiten CO₂-Emissionen liegen inzwischen sogar höher als vor der Pandemie. Wer dafür verantwortlich ist .

10. November 2022 - 4 Min. Lesezeit

Allen globalen Klimazielen, nationalen Selbstverpflichtungen und politischen Beteuerungen zum Trotz werden die globalen Treibhausgas-Emissionen auch 2022 weiter steigen. Das geht aus einer umfassenden Bilanz der Initiative „Global Carbon Project“ hervor, an der mehr als 100 Wissenschaftler beteiligt sind. Demnach dürften die Emissionen aus der Nutzung fossiler Rohstoffe wie Kohle, Öl und Gas im Vergleich zum Vorjahr um rund ein Prozent auf insgesamt 36,6 Milliarden Tonnen steigen.

Damit liegen die fossilen Emissionen nun sogar leicht höher als vor der Corona-Pandemie, die erhoffte Trendwende hin zu mehr Klimaschutz ist ausgeblieben. Stattdessen sind die fossilen Emissionen seit Abschluss des Pariser Klimavertrags im Jahr 2015 um insgesamt fünf Prozent angestiegen. Damals hatte die Staatengemeinschaft vereinbart, die Erderwärmung bis Ende des Jahrhunderts auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zur Zeit vor der Industrialisierung zu begrenzen, möglichst sogar auf 1,5 Grad.

Um noch wenigstens mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit das ambitioniertere der beiden Ziele zu erreichen, dürften insgesamt nur noch 380 Milliarden Tonnen CO₂ ausgestoßen werden – dieses Kohlenstoffbudget wäre beim derzeitigen Ausstoß schon in neun Jahren aufgezehrt.

Fossile Energieträger machen 89 Prozent aller anthropogenen Treibhausgase aus. Emissionen aus der Landnutzung ergeben elf Prozent.

Nach Energieträgern aufgeschlüsselt wird deutlich: Kohle ist bis heute für den größten Teil der fossilen Emissionen verantwortlich. Darauf folgen Erdöl, Erdgas und die Zementherstellung.

Den aktuellen Trend führen die Forscherinnen und Forscher maßgeblich auf den internationalen Flugverkehr zurück, der derzeit stark anziehe. Das erklärt, warum etwa die CO₂-Emissionen aus der Verbrennung von Erdöl mit 2,2 Prozent besonders stark gestiegen sind.

Aber auch die Nutzung von Kohle legte zu, möglicherweise erreichen die kohlebedingten Emissionen sogar ein neues Allzeithoch.

Fossile Energieträger machen 89 Prozent aller anthropogenen Treibhausgase aus. Emissionen aus der Landnutzung ergeben elf Prozent.

Nach Energieträgern aufgeschlüsselt wird deutlich: Kohle ist bis heute für den größten Teil der fossilen Emissionen verantwortlich. Darauf folgen Erdöl, Erdgas und die Zementherstellung.

Den aktuellen Trend führen die Forscherinnen und Forscher maßgeblich auf den internationalen Flugverkehr zurück, der derzeit stark anziehe. Das erklärt, warum etwa die CO₂-Emissionen aus der Verbrennung von Erdöl mit 2,2 Prozent besonders stark gestiegen sind.

Aber auch die Nutzung von Kohle legte zu, möglicherweise erreichen die kohlebedingten Emissionen sogar ein neues Allzeithoch.

Um 0,2 Prozent gesunken sind hingegen die Emissionen aus der Verbrennung von Erdgas, was an dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine liegen dürfte.

Auch die Corona-Pandemie macht sich weiter bemerkbar. So werden die CO₂-Emissionen in China den Prognosen zufolge dieses Jahr um 0,9 Prozent sinken. „Das hat mit dem Bausektor zu tun, dort sieht man im Zuge der Lockdowns Rückgänge“, sagt Julia Pongratz, Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU).

So fällt der CO₂-Ausstoß aus der Zementproduktion in China dieses Jahr vermutlich um sieben Prozent.

Ganz anders sieht die Lage in Indien aus. Hier wachsen die fossilen Emissionen in diesem Jahr um sechs Prozent, unter anderem wegen gewaltiger Zuwächse im Bereich Kohle und Erdöl.

Unter den Industriestaaten gibt es ebenfalls gegenläufige Trends: Während die Emissionen in den USA mit einem Plus von 1,5 Prozent leicht stiegen, fielen sie in der Europäischen Union um 0,8 Prozent.

So fällt der CO₂-Ausstoß aus der Zementproduktion in China dieses Jahr vermutlich um sieben Prozent.

Ganz anders sieht die Lage in Indien aus. Hier wachsen die fossilen Emissionen in diesem Jahr um sechs Prozent, unter anderem wegen gewaltiger Zuwächse im Bereich Kohle und Erdöl.

Unter den Industriestaaten gibt es ebenfalls gegenläufige Trends: Während die Emissionen in den USA mit einem Plus von 1,5 Prozent leicht stiegen, fielen sie in der Europäischen Union um 0,8 Prozent.

Zwar sanken die Emissionen aus Erdgas in Europa um rund zehn Prozent – diese Einsparung wurde durch die verstärkte Verbrennung von Kohle aber nahezu vollständig aufgefressen.

Die EU sei die am schwersten von der Energiekrise betroffene Region, schreibt das an der Studie beteiligte Center for International Climate Research (Cicero). „Die EU hat gravierende Verwerfungen ihrer Energieversorgung erlebt, mit einem Stillstand großer Teile der französischen Atomreaktoren, einer schweren Dürre im Sommer und nicht zuletzt einem Krieg an ihrer Türschwelle, der die Erdgasversorgung ernsthaft einschränkt“, wird Cicero-Forscher Robbie Andrew in der Mitteilung zitiert.

Im August führten Abschnitte der Loire kaum mehr als ein Rinnsal.
Im August führten Abschnitte der Loire kaum mehr als ein Rinnsal.

Neben der Ausbeutung fossiler Rohstoffe spielt es für die Treibhausgas-Bilanz auch eine Rolle, wie der Mensch mit der Natur umgeht – vor allem wie stark er Wälder rodet oder aufforstet. Die Emissionen aus der Landnutzung liegen bei 3,9 Milliarden Tonnen CO₂, weil mehr Waldflächen verloren gehen als neu hinzukommen. Aus Brasilien, Indonesien und der Demokratischen Republik Kongo stammt derzeit etwa die Hälfte der globalen Emissionen aus der Landnutzung.

Entscheidend für den Fortgang der Erderwärmung ist zudem, wie die Treibhausgase sich in der Umwelt verteilen.

Rund die Hälfte der fossilen CO₂-Emissionen verbleibt in der Atmosphäre und verstärkt dort den Treibhauseffekt.

Zugleich nehmen Böden und Pflanzen mehr als ein Viertel des emittierten Kohlendioxids auf. Ein weiteres Viertel absorbieren die Ozeane.

Rund die Hälfte der fossilen CO₂-Emissionen verbleibt in der Atmosphäre und verstärkt dort den Treibhauseffekt.

Zugleich nehmen Böden und Pflanzen mehr als ein Viertel des emittierten Kohlendioxids auf. Ein weiteres Viertel absorbieren die Ozeane.

„Diese fantastische Ökosystem-Dienstleistung machen wir uns oft nicht bewusst“, sagt LMU-Forscherin Pongratz. Allerdings schwäche der fortschreitende Klimawandel die Aufnahmefähigkeit der Senken, etwa weil Dürren und Extremwetter Bäumen und Böden zusetzen.

„Ozean und Land können uns sehr viel mehr helfen, wenn wir in Niedrig-Emissions-Szenarien bleiben“, konstatiert die Biogeowissenschaftlerin Judith Hauck vom Alfred-Wegener Institut (AWI) in Bremerhaven.

„Ozean und Land können uns sehr viel mehr helfen, wenn wir in Niedrig-Emissions-Szenarien bleiben“, konstatiert die Biogeowissenschaftlerin Judith Hauck vom Alfred-Wegener Institut (AWI) in Bremerhaven.

Doch lässt sich eine solche klimafreundliche Welt noch rechtzeitig erreichen angesichts weiter steigender Emissionen? Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssten die fossilen CO₂-Emissionen etwa bis Mitte des Jahrhunderts auf null fallen. Das würde einen Rückgang um 1,4 Gigatonnen erfordern, jedes Jahr, ab sofort. Dies sei vergleichbar mit dem Rückgang während der Corona-Pandemie im Jahr 2020, „was die Größenordnung der nötigen Maßnahmen unterstreicht“, wie die Forscher in der Studie schreiben.

„Die Maßnahmen, die die Politik ergriffen hat, waren nicht wirkungslos, aber sie waren sehr schwach“, sagt Jan Christoph Minx vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin. Ohne Klimapolitik wären die Emissionen aber noch stärker gestiegen, betont Minx. Es müsse nun vor allem darum gehen, einen globalen Kohleausstieg zu organisieren. „In einer internationalen Krisensituation ist das schwierig – aber zentral. Denn die Kohle ist besonders CO₂-intensiv“, sagt der Nachhaltigkeitsforscher. Es gehe aber nicht nur um eine Einzelmaßnahme, sondern um ein Gesamtpaket, auch der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse massiv beschleunigt werden.

Die Welt könne sich kein weiteres Jahrzehnt des Abwartens leisten, so Minx. „Sonst sind wir in zehn Jahren beim Zwei-Grad-Ziel da, wo wir heute beim 1,5-Grad-Ziel sind.“ Also an einem Punkt, an dem es kaum noch zu erreichen ist.

Team
Text Christoph von Eichhorn
Digitales Storytelling Christoph von Eichhorn, Wolfgang Jaschensky
Redaktion Marlene Weiß
Infografik Julian Hosse
Bildredaktion Daniel Hofer