Lebensmittel

Alles muss raus

Edeka und Rewe leiden ganz schön, weil viele jetzt lieber im Discounter einkaufen. Also senken sie die Preise – zumindest auf den ersten Blick. Was dahintersteckt.

6. Juli 2023 - 5 Min. Lesezeit

Bei Edeka kostet die Ritter Sport Alpenmilch jetzt 38 Prozent weniger als noch vor ein paar Tagen;

Einige Joghurt-Sorten von Zott und Ehrmann kosten 50 Prozent weniger; 

Danone-Fruchtzwerge sind sogar 58 Prozent billiger.

Bei Edeka kostet die Ritter Sport Alpenmilch jetzt 38 Prozent weniger als noch vor ein paar Tagen;

Einige Joghurt-Sorten von Zott und Ehrmann kosten 50 Prozent weniger; 

Danone-Fruchtzwerge sind sogar 58 Prozent billiger.

So geht das quer durch die Regale, überall im Prospekt plakatierte „Superknüller“, also Aktionspreise: bei Weihenstephan-Milch, Mutti-Tomaten, Develey-Senf, Leibniz-Keksen und vielen anderen Markenartikeln bekannter Hersteller. Man wähnt sich im Möbelhaus. Von da kennt man ähnlich hohe Rabatte, meist auf „Mondpreise“, die es vorher nie gab.

Was ist da los? Sinken die gerade noch hohen Preise im Supermarkt auf einmal? Das Statistische Bundesamt vermeldete zuletzt eine im Vergleich zum Vormonat zwar leicht gesunkene, aber immer noch zweistellige Inflationsrate bei Lebensmitteln. Doch wer in diesen Tagen durch Supermärkte streift, hat den Eindruck, die Preise sinken dramatisch.

Auch bei Rewe. Während sich Rivale Edeka mit Werbung für seine „Superknüller“ im Laden relativ zurückhält, lockt Rewe seine Kunden mit kleinen Schildern an den Regalen: kleine rote für Aktionsware, kleine blaue für die angeblich günstige Eigenmarke „Ja“. Bisweilen kommt man sich vor wie im Ein-Euro-Shop: das Fa-Duschgel, die Heinz-Barbecue-Soße, der Thomy-Delicatess-Senf und das Glas Almighurt von Ehrmann, alles für einen Euro. Direkt daneben der „Rewe-Tiefpreis“.

Laut dem Marktforschungsinstitut Nielsen IQ fallen die Rabatte bei Bier und Spirituosen, Babynahrung und Haarpflege besonders krass aus. Denn hier sind bestimmte Markennamen sehr stark, auch, weil es weniger Konkurrenz von Eigenmarken der Händler gibt. Das macht die Platzhirsch-Marken aber genau dann verletzlich, wenn sie als überteuert gelten und die Verbraucherinnen und Verbraucher sie meiden.

Genau hierin liegt der Grund für die zahlreichen Markenrabatte: „Nach dem starken Preisanstieg der letzten zwei Jahre werden Konsumentinnen zunehmend preissensibler“, sagt Thomas Täuber, Leiter des Bereichs Einzelhandel bei der Beratungsfirma Accenture. Fast die Hälfte der Verbraucher schränkt sich ein, nämlich 45 Prozent der vom Handelsverband Deutschland (HDE) befragten Personen. Sie kaufen weniger oder weichen auf günstigere Produkte aus. 23 Prozent der Haushalte können sich nach eigener Aussage „nichts mehr leisten“, sagt Robert Kecskes, Handelsexperte des Marktforschungsunternehmens GfK. Sie würden auf Eigenmarken der Händler umsteigen, aber auch gezielt Sonderangebote der Marken kaufen, weil sie sparen müssten. Die Folge für die Marken ist dramatisch: „Der Preisdruck auf Markenhersteller ist so groß wie nie“, sagt Täuber.

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Die Markenhersteller müssen reagieren. Viele Verbraucher kaufen die Produkte zu bestimmten Preisen nämlich nicht mehr ein. Die Rabatte sind die Antwort auf diese Sparsamkeit. Laut Täuber werden schon jetzt 27 Prozent der Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel mit preisreduzierter Ware erzielt. Die Marken fürchten um ihre Kunden und kämpfen gegen billigere Konkurrenz. „Viele Herstellermarken sind alarmiert, weil die Verbraucher zuletzt immer stärker zu den Eigenmarken der Händler gegriffen haben“, sagt Kecskes. Also zu Eigenmarken wie „Ja“ von Rewe oder „Gut & Günstig“ von Edeka.

Viele Konsumenten gehen inzwischen auch häufiger bei den Discountern Lidl und Aldi einkaufen. Dort gibt es eine kleinere Auswahl, dafür besteht das Sortiment aber zum Teil zu mehr als 70 Prozent nur aus relativ günstigen Eigenmarken. Das hat einen zweifachen Effekt: Die sogenannten Vollsortimenter Edeka und Rewe, die Hauptvertriebskanäle der Marken, verlieren Marktanteile an Lidl und Aldi. Und Markenhersteller wie Nestlé oder Unilever büßen gegenüber den Eigenmarken der Händler ein – und zwar aller Händler.

Die Aktionspreise sind daher ein Versuch, den Trend hin zu den Eigenmarken zu bremsen, sagt Rainer Münch, Handelsexperte der Beratungsfirma Oliver Wyman. Denn ein Angstszenario für Markenhersteller ist: „Kunden könnten die Vorteile des Kaufs von Eigenmarken nachhaltig für sich entdecken.“ Darauf müssen sie reagieren, wenn sie die Marktanteile nicht kampflos verloren geben wollen. Andersherum sind die massenhaften Rabatte aber auch Ausdruck der Macht von Konsumentinnen. Ihr konsequentes Marken-Meiden kann man als kluge Anti-Inflations-Strategie betrachten. Es hat letztendlich die Preisaktionen ausgelöst. Zu beobachten ist jetzt live am Supermarktregal, wie Händler Eigenmarken und Herstellermarken gegeneinander positionieren.

Das Risiko, die Kundengunst zu verlieren, liegt eindeutig aufseiten der Marken. Die Vollsortimenter leiden allerdings mit darunter. „Für Händler und Hersteller sind Aktionsangebote mitunter nur auf den ersten Blick ein gutes Instrument“, sagt Münch. Auf den zweiten zeigt sich schnell: Die Kunden können ihr Geld nur einmal ausgeben. Sie kaufen Aktionsware nicht zusätzlich. Unterm Strich setzen die Händler daher nicht mehr Menge ab.

Dazu kommt ein anderes Problem: Aktionsangebote können schnell zu einer Art Droge werden, an die sich die Verbraucher schnell gewöhnen. Für die Edekas und Unilevers dieser Welt wird es dann unter Umständen sehr schwierig, vom Kunden irgendwann wieder den „Normalpreis“ zu verlangen. Das könnte er dann als Preiserhöhung empfinden und sich endgültig abwenden.

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Für Markenhersteller sind die massenhaften Rabatte eine Gratwanderung. Denn das Markenimage könnte verblassen und billig wirken, wenn es zu lang und zu häufig Sonderangebote gibt, befürchtet Täuber. Auch die Gewinnspanne könnte schrumpfen. Mal abgesehen davon, dass Marktanteile dauerhaft verloren gehen könnten. Andererseits können Händler so auch viel von einem Produkt verkaufen und gegebenenfalls schwankende Rohstoffpreise auffangen. Zum Sinn und Zweck der Sonderangebote wollten sich einzelne Markenhersteller nicht äußern.

Von einem Reputationsschaden ist im Moment laut Nielsen IQ allerdings nichts zu merken. Und wenn, läge dieser Schaden wohl nicht am vermeintlichen Verramschen der Ware, sondern eher am Verdacht, dass die Marken es vorher mit den Preissteigerungen übertrieben haben könnten. Laut HDE halten knapp 60 Prozent der Verbraucher die Hersteller für die größten Profiteure der Preissteigerungen. Und tatsächlich stellt sich die Frage, wer die Sonderangebote am Ende finanziert: die Markenhersteller oder die Händler?

Ein Sprecher von Edeka ist da sehr klar: „Die Markenartikler steuern bislang nur einen geringen Beitrag zur Finanzierung der Aktionen bei“, sagt er, „den mit weitem Abstand größten Teil tragen wir selbst und verzichten dafür auf eigene Marge.“ Aber offenbar ist es so, dass Händler für die Rabatte zunehmend höhere Werbekostenzuschüsse und niedrigere Einkaufspreise einfordern. Aus Sicht der Händler mit gutem Grund: Die Markenhersteller sollen vorher auf die „Normalpreise“ mehr aufgeschlagen haben, als sie jetzt bei den Aktionspreisen abgeben. Was Hersteller vielleicht an Ertrag durch Sonderangebote verlieren würden, würden sie durch höhere Normalpreise teilweise wieder reinholen. „Jedenfalls, solange diese über den Kostensteigerungen bei Energie und Rohstoffen liegen“, sagt Kecskes.

Um die Markenhersteller muss man sich insofern zwar keine Sorge machen, aber die Probleme häufen sich schon. Teilweise sind Marken bei Edeka und Rewe ganz aus den Regalen verschwunden, weil die Hersteller zu hohe Preise forderten. Das prominenteste Beispiel dafür ist Mars bei Edeka. Die betroffenen Marken suchen daher jetzt nach alternativen Vertriebskanälen – und werden teilweise fündig: bei den Discountern.

Doch ihre Verhandlungsposition gegenüber Aldi und Lidl ist geschwächt. Denn auch die Discounter können damit drohen, sie nicht ins Regal zu nehmen. Oder sie listen sie zu Konditionen, die vielleicht verbesserungswürdig sind. Insofern ist interessant, dass Aldi Süd vor wenigen Tagen Mars, Jacobs und Beiersdorf neu ins Sortiment genommen hat – zu welchen Bedingungen ist unbekannt. Nur so viel steht fest: Lidl und Aldi bieten prozentual in der Regel noch mehr Sonderangebote von Marken als Edeka und Rewe. Das ist also ziemlich zweischneidig für die Marken. Mars beim Aldi, aber nicht bei Edeka? Das sieht vor allem nach einem guten Geschäft für den Discounter aus.

Text: Michael Kläsgen, Digitales Storytelling: Carolin Werthmann