Wie investigative Journalisten arbeiten und ihre Quellen schützen

Vom ersten Gespräch, über die Konfrontation, bis hin zur Veröffentlichung der Recherche - das Vertrauen von Menschen aufzubauen und zu bewahren, ist die größte Herausforderung für investigativen Journalismus.

Lena Kampf, stellvertretende Ressortleiterin Investigative Recherche; Daniel Drepper, Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung
24. Juli 2023 - 5 Min. Lesezeit

Investigativer Journalismus funktioniert nur, weil uns Menschen Geheimnisse anvertrauen. Die größte Herausforderung in unserer Arbeit ist deshalb, dieses Vertrauen zu Menschen aufzubauen und nicht zu enttäuschen. Der Schutz unserer Quellen ist die wichtigste Währung im Journalismus.

Häufig erleben wir aber auch, dass sich Menschen erst gar nicht an uns wenden, weil sie nicht wissen, wie wir arbeiten oder was passiert, wenn sie mit uns sprechen. Und wie wir sie schützen können und werden.

Was passiert in einem ersten Gespräch?

Wenn wir uns das erste Mal sprechen, egal ob persönlich, über Video oder Telefon, geht es vor allem darum, dass wir uns gegenseitig kennenlernen. Wir erklären gerne und ausführlich, wie wir arbeiten, beschreiben unsere Abläufe und wie sich ein Kontakt zwischen uns entwickeln kann. Und sprechen auch darüber, welche Möglichkeiten und Risiken eine Berichterstattung für Sie haben könnte. Wichtig ist: Dieses Gespräch findet vertraulich und im Hintergrund statt. Nichts aus diesem Gespräch werden wir ohne Ihre Freigabe verwenden, alles bleibt unter uns. Ein Kennenlerngespräch ist der erste Schritt einer manchmal längeren Reise bis zu einer Veröffentlichung, insbesondere wenn wir uns im Bereich der Verdachtsberichterstattung bewegen.

Wie geht es dann weiter?

Wenn Sie das Gefühl haben, uns vertrauen zu können, dann werden wir noch öfter miteinander sprechen. Diese Entscheidung liegt bei Ihnen. Mit Blick auf eine Berichterstattung ist für uns alles von Interesse, was Ihre Aussagen untermauern kann: Dokumente, Chatverläufe, Fotos oder Videos. Aber vor allem – wenn es sie gibt – weitere Zeuginnen und Zeugen, mit denen wir auch in Kontakt treten können. Natürlich nach Rücksprache mit Ihnen.

Wie wir Sie schützen:

Niemand wird erfahren, dass Sie uns mit Informationen versorgt haben, wenn Sie das nicht wollen. Unsere Quellen halten wir wie in Silos getrennt voneinander, sodass es keine unangenehmen Überraschungen gibt. Die jeweilige Quelle kennt nur bei uns, wer mit dieser Quelle Kontakt hat. Quellen werden auch innerhalb eines Teams, das an einem Thema arbeitet, nicht genannt.

Ob und wie die Informationen genutzt werden, sprechen wir konkret mit Ihnen ab. Bei besonders heiklen Themen kommunizieren wir über sichere Kanäle wie Signal oder Threema. Treffen organisieren wir so, dass diese an sicheren Orten stattfinden. Dokumente können vertraulich in die Redaktion gesendet werden.

Wer entscheidet, was veröffentlicht wird?

Sie als Quelle haben die Kontrolle darüber, wann wir was veröffentlichen. Wir prüfen die Informationen aber unabhängig. Wir haben langjährige Erfahrung darin abzuschätzen, welche Art von Informationsweitergabe und Veröffentlichung welche Bedeutung hat. Wir besprechen, wie viele Menschen über bestimmte Ereignisse Bescheid wissen oder bestimmte Dokumente besitzen. Sind das Screenshots, die nur zwei Leute kennen oder gleich zwei Dutzend? Bei zwei Leuten müssen wir vorsichtig sein, bei zwei Dutzend schon weniger. Wer hatte Zugriff auf einen bestimmten Abschlussbericht? Wir sprechen auch darüber, was nach einer Veröffentlichung passieren kann und wie Sie sich schützen. Im Zweifel bringen wir eine Geschichte nicht, wenn wir damit Sie oder eine andere Quelle in Gefahr bringen könnten.

Wann erfahren andere von den Informationen, die wir durch Sie erlangt haben?

Bevor wir etwas veröffentlichen, müssen wir diejenigen, über die wir schreiben, zu allen Vorwürfen befragen. Das nennt man im Journalismus „Konfrontation“. Das heißt, denjenigen, die von einem Vorwurf oder einem Verdacht betroffen wären, wird all das vorgetragen, was später im Text beschrieben wird – aber ohne dabei Hinweise auf den Ursprung der Informationen zu geben. Sie bekommen Zeit, sich dazu zu äußern – sodass wir fair und ausgewogen berichten können und der Wahrheit möglichst nahekommen. Dazu sind wir auch rechtlich verpflichtet.

Bei dieser "Konfrontation" erfahren diejenigen, die von einem Vorwurf oder einem Verdacht betroffen wären, rechtzeitig vor einer möglichen Veröffentlichung von den Vorwürfen und können darauf reagieren. Bei vielen Geschichten ist diese Konfrontation für die Quellen nicht so relevant, da uns häufig viele verschiedene Menschen Informationen liefern und so ohnehin nicht klar ist, was von wem kommt. Bei „Me Too“-Recherchen ist es etwas komplizierter, da in diesem Fall häufig nur zwei Personen bei der Tat direkt dabei waren. Damit können diejenigen, die von dem Verdacht betroffen sind, unter Umständen erfahren, wer die Vorwürfe erhebt. Das sprechen wir deshalb im Vorfeld detailliert ab und erklären, was das genau für Sie bedeutet. Wenn Sie anonym bleiben wollen, werden wir Ihren Namen auch in der Konfrontation selbstverständlich nicht nennen.

Bekommen Sie nach einer Veröffentlichung Post von der Staatsanwaltschaft oder der Polizei?

Nein – beziehungsweise: nur dann, wenn Sie sich entscheiden, mit vollem Namen an die Öffentlichkeit zu gehen. Dann kann es sein, dass sich Behörden bei Ihnen melden, sollten sich aus der Berichterstattung Hinweise auf nicht verjährte Straftaten ergeben.

Entscheiden Sie sich jedoch dafür, anonym zu bleiben, wird sich auch keine Behörde bei Ihnen melden. Wir geben keine Informationen an Ermittlungsbehörden weiter. Denn Quellenschutz ist die Grundlage und Voraussetzung unserer Arbeit.

Wenn wir Schreiben von der Staatsanwaltschaft bekommen, in denen diese die Identität unserer Quellen anfragt, dann lehnen wir dies höflich, aber bestimmt ab.

Sie können sich allerdings selbst mit einer Anzeige oder für eine Aussage bei der Staatsanwaltschaft melden. Das passiert dann aber unabhängig von uns, wir berichten nur, alles andere wäre berufsethisch nicht in Ordnung. Wir werden Sie dazu auch nicht auffordern, das ist Ihre eigene Entscheidung.

Was ist eine eidesstattliche Versicherung?

Eine Versicherung an Eides statt ist ein von Ihnen unterschriebenes Dokument, in dem Sie versichern, dass die von Ihnen gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen. Dieses Dokument würden wir im Falle einer presserechtlichen Auseinandersetzung vor Gericht vorlegen, um zu beweisen, dass Sie diese Angaben wirklich gemacht haben. Das Dokument ist dann strafbewehrt, das heißt: Sollten Sie in dieser Versicherung nicht die Wahrheit sagen, können Sie sich strafbar machen.

Ob Sie eine eidesstattliche Versicherung abgeben wollen, oder nicht, ist Ihre Entscheidung. Eine solche Versicherung hilft uns - aber eben nur dann, wenn wir diese Versicherung bei presserechtlichen Auseinandersetzungen infolge einer Berichterstattung auch bei Gericht vorlegen können - mit der Konsequenz, dass die Betroffenen einer Berichterstattung erfahren, dass Sie uns Informationen gegeben haben. Wenn Sie das nicht wollen, werden wir Sie auch nicht drängen, eine solche Versicherung abzugeben. Lieber verzichten wir darauf, Ihre Informationen bzw. Hinweise zu verwenden, als eine Quelle zu nennen.

Sie wollen uns vertrauliche Informationen übermitteln – vielleicht sogar anonym?

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