Israel

Ein Jubiläum mit Pomp und Protesten

Mit ausgiebigen Festivitäten und einer Flugschau feiert Israel den 75. Jahrestag der Staatsgründung.

Überschattet wird die Stimmung von innenpolitischem Streit.

Israel

Ein Jubiläum mit Pomp und Protesten

Mit ausgiebigen Festivitäten und einer Flugschau feiert Israel den 75. Jahrestag der Staatsgründung.

Überschattet wird die Stimmung von innenpolitischem Streit.

26. April 2023 - 3 Min. Lesezeit

Der große Festtag riecht nach Kohle und Grillfleisch, er klingt wie eine landesweite Techno-Party, und natürlich spannt sich über all dem am Mittwoch ein strahlend blauer Himmel, an dem die Kampfjets bei der traditionellen Flugschau lärmend ihre Runden drehen. Israel feiert den 75. Jahrestag der Staatsgründung. Es ist ein Fest der Freude und des Stolzes. Doch überschattet wird dieses Jubiläum vom Streit und einer brennenden Sorge um die Zukunft, konkret: um die Einheit des jüdischen Staats.

Wie gespalten die Nation den Feiertag begeht, zeigt sich gleich zum Eingang der Festivitäten. In Jerusalem kommen am Dienstagabend nach Sonnenuntergang die Spitzen des Staats zur offiziellen Zeremonie zusammen, zwölf Fackeln werden auf dem Herzlberg entzündet, die für die zwölf Stämme Israels stehen. In Tel Aviv dagegen und an zahlreichen anderen Orten versammeln sich zur gleichen Zeit die Demonstranten, die auch und gerade an diesem besonderen Tag gegen die Politik der rechten Regierung protestieren.

Der brüchige Zusammenhalt steht deshalb auch im Mittelpunkt der Reden bei der staatlichen Jubiläumsfeier, die von Oppositionsführer Jair Lapid demonstrativ boykottiert worden ist. Präsident Isaac Herzog hatte schon vorab in einem Interview gewarnt, dass sich Israel „in der schlimmsten internen Krise seit der Gründung des Staats“ befinde.

Premierminister Benjamin Netanjahu, der diese Krise ausgelöst hat mit den Plänen für einen Umbau des Justizsystems und damit der Demokratie, nutzt nun die Gelegenheit für einen Aufruf zur Einheit. „Wir sind Brüder“, sagt er. „Wir stimmen nicht immer in allem überein, und manchmal streiten wir leidenschaftlich. Aber lasst uns für einen Moment mit dem ganzen Lärm aufhören, schauen wir uns für einen Moment das große Wunder an, das der Staat Israel genannt wird.“

Netanjahu hatte seine Ansprache vorab auf Video aufzeichnen lassen, so dass er sich an der Seite seiner Gattin Sara im Publikum auf dem Herzl-Berg selbst zuhören kann. Die Gegner seiner Politik zeigen sich jedoch weniger gebannt von diesen Worten und stimmen bei einer unweit abgehaltenen Protestveranstaltung die „Hatikva“ an, die israelische Nationalhymne, um die Übertragung von Netanjahus Rede zu kontern.

Die größte und lautstärkste Demonstration mit Zehntausenden Teilnehmern findet wie immer auf der Tel Aviver Kaplan-Straße statt, und an diesem Tag ist sie als „Protest-Party“ angelegt – mit ein paar Reden, aber vor allem viel Musik und einer Stimmung, die den Widerstand gegen die Regierungspläne zur Justizreform weiter beflügeln soll. „Wir haben erst angefangen“ , heißt es auf den Bannern, „und die Demokratie wird siegen.“

Großeltern haben ihre Enkel mitgebracht, hier gibt es Geschichtsunterricht auf der Straße. Aus den Lautsprechern scheppert die Stimme des Staatsgründers David Ben-Gurion, in der historischen Aufnahme von 1948, in der er die Unabhängigkeitserklärung verliest. Nun fordern die Demonstranten eine Garantie dafür ein, was die Gründerväter einst versprochen haben: einen jüdischen und demokratischen Staat mit gleichen Rechten für alle Bürger.

Wie tief die Gräben gehen, war auch schon am Tag vor den Jubiläumsfeiern schmerzhaft sichtbar geworden. Die Dramaturgie des Kalenders sieht es vor, dass den Unabhängigkeitsfeiern ein Gedenktag vorgeschaltet ist zur Erinnerung an jene, die ihr Leben gelassen haben für Israel.

Es ist ein hochheiliger Tag der Andacht und der Trauer um inzwischen 24.213 getötete Soldaten und 4255 zivile Opfer des Terrors.

Es ist ein hochheiliger Tag der Andacht und der Trauer um inzwischen 24.213 getötete Soldaten und 4255 zivile Opfer des Terrors.

Der innenpolitische Streit aber hat in diesem Jahr auch vor den Friedhöfen nicht halt gemacht. In Beerscheba kam es sogar zu Handgreiflichkeiten, als der rechtsextreme Minister Itamar Ben-Gvir es sich trotz Appellen von Angehörigen nicht nehmen ließ, dort als Redner aufzutreten.

Das alles hat die Nation dann mit sich schleppen müssen in die Jubiläumsfeiern, zu denen aus dem Ausland keine prominenten politischen Gäste angereist waren, aber zahlreiche Gratulationen eintrafen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bis hin zum US-Präsidenten Joe Biden. Deutschland ist erstmals bei der Flugschau vertreten mit einem Eurofighter, dessen Einsatz der eigens angereiste Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz vom Boden aus begutachtet.

Über Stunden sind die Jets über das Land gedonnert, beobachtet von Millionen von Schaulustigen auf den Straßen, an den Stränden und auf den Balkonen. Die Flugschau dient wie immer der Vergewisserung israelischer Stärke gegenüber all den äußeren Feinden. Die Konflikte im Innern aber hat auch das nicht übertönen können, an diesem 75. Jahrestag der Staatsgründung.

Team
Text Peter Münch
Digitales Storytelling Niklas Keller