Das gespaltene
Parlament

Mit der AfD sitzt wieder eine Partei vom rechten Rand im Bundestag. Was hat sich innerhalb weniger Monate mit deren Einzug ins Hohe Haus verändert?

13 Minuten Lesezeit

Von Katharina Brunner, Sabrina Ebitsch, Sebastian Gierke und Martina Schories

Als Alexander Gauland am Wahlabend mit 12,6 Prozent und finsterem Blick vor die Kameras trat, trug er ein braunes Tweedsakko und eine grüne Krawatte mit gelben Hunden. Beides bildete eine eigentümliche Kulisse für den dann folgenden Satz. “Wir werden sie jagen”, sagte der damalige Spitzenkandidat und jetzige Fraktionsvorsitzende der AfD in die Kameras. Im Hintergrund hob lautes Klatschen an. Ein halbes Jahr später, am 23. März 2018 sitzt Gauland im Bundestag und ruft: “Es ist so schön, dass wir hier sind. Wir werden euch jagen!”

Die Befürchtungen waren groß, als wieder eine rechtsradikale Partei unter das Dach des Reichstags einzog. Eine Partei, die in den Monaten zuvor mit fremdenfeindlichen Äußerungen und teils radikalem Personal auf Stimmenfang gegangen war. Eine Partei mit nun 92 Abgeordneten unter den Fittichen des Bundesadlers.

Wie hat sich das Parlament mit dem Einzug der Rechten verändert? Wie prägen die Rechten das Miteinander, das Klima, die Abläufe im Bundestag? Und wie weit hallt Gaulands Halali ins Hohe Haus hinein?

Um diese Fragen zu beantworten, hat die Süddeutsche Zeitung  bis zum 24. April 2018, sechs Monate lang seit der konstituierenden Sitzung des 19. Bundestages, sämtliche Sitzungen auf besondere Weise verfolgt. Mehr als 1500 Redebeiträge aus 24 Sitzungstagen haben wir ausgewertet. Wir setzen dabei nicht nur auf die Beobachtungen der Sitzungen, sondern auch auf die minutiöse Analyse der Parlamentsprotokolle. Jede Plenardebatte wird akribisch aufgezeichnet: Stenografen schreiben in Echtzeit die Reden mit; sie erfassen jeden Zwischenruf, protokollieren jedes Lachen, bannen jedes Klatschen in Buchstaben. Auf Hunderten Seiten steht dann, welche Fraktion nach welchem Satz welchen Redners geklatscht hat, wann wer mit lautem Lachen aufgefallen ist.

Die Süddeutsche Zeitung analysiert diese Daten und hat darin Muster gefunden, die ein beunruhigendes Bild zeichnen. Die AfD versucht, die Gesellschaft zu spalten. Und durch den Bundestag geht ein Riss. 

An der Lach-Front

Ernst wird es, wenn die AfD lacht. Die zweite Sitzung dieser Legislatur, das Thema klingt trocken: "Einhaltung des Verfassungs- und EU-Vertragsrechts bei der Euro-Stabilisierung sowie bei den Vorschlägen für eine Fiskalunion und für einen EU-Finanzminister", ein Antrag der AfD-Fraktion.Zum vollständigen Video in der Mediathek des Bundestages Am Rednerpult steht Eckhardt Rehberg von der CDU, er antwortet auf eine Rede von Alice Weidel.Zum vollständigen Video in der Mediathek des Bundestages So wie die AfD-Abgeordneten vorher nach fast jedem Satz ihrer Fraktionsvorsitzenden klatschten, lachen sie jetzt beinahe nach jedem Satz. Die Videos sind um Informationen aus den schriftlichen Protokollen ergänzt. Ein Lachen beispielsweise, das im Video sonst nicht zu hören oder zuzuordnen ist, haben wir im Fall der AfD mit der Parteifarbe blau unterlegt eingeblendet.

In diesem Zusammenhang ist wichtig: Die Stenografen haben Erfahrung und ein feines Gespür - sie differenzieren genau zwischen wohlwollender “Heiterkeit”, die tatsächlich Belustigung ausdrückt, und aggressivem “Lachen”, das sich an oder vielmehr gegen das Gegenüber richtet (mehr zur Arbeit der Stenografen lesen Sie in diesem Interview). Während in der vergangenen Legislaturperiode die Stenografen jedoch häufiger Heiterkeit als Lachen notierten, ist es jetzt umgekehrt: Im Bundestag dominiert Lachen als Mittel der Distinktion, Selbsterhebung und Erniedrigung des Gegners. Der politisch Andere, seine Argumente werden verlacht, lächerlich gemacht und die AfD setzt die Waffe “Lachen” sehr viel häufiger ein als alle anderen Fraktionen:

Aus den Protokollen ist nachzuvollziehen, wann eine Partei über eine andere lacht. Die folgende Grafik ist zeilenweise zu lesen.

Die erste Zeile zeigt, wie häufig die AfD bei Reden anderer Fraktionen lacht. Zum Beispiel 68 Mal bei der Union. Insgesamt lacht sie 156 Mal und damit sehr viel öfter als die anderen Fraktionen, die alle unter 60 Lachern bleiben.

Die erste Zeile zeigt, wie häufig die AfD bei Reden anderer Fraktionen lacht. Zum Beispiel 68 Mal bei der Union. Insgesamt lacht sie 156 Mal und damit sehr viel öfter als die anderen Fraktionen, die alle unter 60 Lachern bleiben.

Wenn die anderen Fraktionen lachen, dann vor allem über die AfD. Das ist an der Säule der AfD erkennbar. Insgesamt trifft die AfD das Lachen der anderen 180 Mal.

Wenn die anderen Fraktionen lachen, dann vor allem über die AfD. Das ist an der Säule der AfD erkennbar. Insgesamt trifft die AfD das Lachen der anderen 180 Mal.

Klammert man die AfD aus, bleibt das verbleibende Rechteck nahezu lachfrei. Die etablierten Parteien lachen so gut wie gar nicht übereinander.

Wenn die AfD lacht, dann in der Regel im Kollektiv. Es entsteht der Eindruck durchorchestrierter Lachsalven, die die Fraktion gezielt als Instrument der politischen Auseinandersetzung nutzt. Das Misstrauen gegen demokratische Institutionen hat die AfD ins Herz der Demokratie getragen und sie spiegelt es mit jedem lachenden Aufwallen auf der Bühne des Plenarsaals.

Umgekehrt verbünden sich alle anderen Fraktionen und lachen vor allem über eine Partei: die AfD. Die Spaltung des Parlaments, sie lässt sich schon beim Lachen erkennen.

Klatschen als Waffe

Der Publizist Roger Willemsen hat sich für seinen Bestseller “Das Hohe Haus” von der Besuchertribüne aus ein Jahr lang die Plenardebatten im Bundestag angehört. Seine Erkenntnis: die Abgeordneten haben eine Art Pawlow’schen Reflex - sie klatschen immer mit den und für die Kollegen aus der eigenen Fraktion oder Koalition.

Der Beifall im Bundestag hat oft wenig mit einer konkreten Aussage zu tun, sondern signalisiert Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Das war schon so, lange bevor die AfD in den Bundestag eingezogen ist. Die AfD klatscht allerdings im Verhältnis deutlich mehr für sich, als alle anderen Fraktionen im Bundestag ihren eigenen Rednern Beifall spenden.

Und noch etwas gelingt der AfD konsequent: Sie agiert viel öfter als die anderen Fraktionen als gemeinsamer Block, sie präsentiert sich nach außen als geschlossene Einheit - auch wenn das natürlich nicht immer strategisch exakt durchgeplant ist. Zum vollständigen VideoDie Abgeordneten der Rechten treten jedenfalls gern gemeinsam im Plenum auf;Zum vollständigen Video und sie handeln häufig synchron – auch dann wenn sie klatschen, wenn sie, wie hier für Fraktionschefin Alice Weidel, sogar im Stehen applaudieren:

Die Bilder, die die AfD so produziert, wirken nach außen, aber auch nach innen. “Die AfD ist im Bundestag relativ isoliert, das schweißt zusammen und hilft über parteiinterne Debatten und Kontroversen hinweg”, sagt der Soziologe und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent. Und weil die AfD so isoliert ist, gelingt ihr mit dem Klatschen noch mehr: Sie kann es als Mittel der Verunsicherung nutzen. Wenn man etwas sagt, das der AfD gefällt, hat man womöglich das Falsche gesagt.

Wie sehr die AfD das Parlament spaltet, wird durch eine detaillierte Auswertung deutlich. Denn die anderen Fraktionen, um Abgrenzung bemüht, wollen umgekehrt auch keinesfalls durch Klatschen signalisieren, dass AfD-Äußerungen gefallen. Üblich ist durchaus, dass Parlamentarier anderen Fraktionen regelmäßig Beifall spenden. Ungefähr jeder zweite Beifall geht an Politiker anderer Fraktionen. Die Grünen haben im vergangenen halben Jahr zum Beispiel 782 Mal für die SPD geklatscht, 679 Mal für die Union, 143 Mal für die FDP. Für die AfD aber nur 13 Mal. Bei den anderen Fraktionen ist das Bild ähnlich.

So oft klatschen die Fraktionen für die AfD

Aus der Länge der Balken lässt sich ablesen, wie oft eine Fraktion für eine andere klatscht.

Der blaue Balken zeigt den Applaus für AfD, der dunkle Balken den für die anderen Fraktionen.

In einem Strategiepapier legte die AfD einige Eckpunkte ihre Strategie für den Bundestagswahlkampf 2017 fest. Zum Thema Zustimmung von anderen ist dort vermerkt: “Beifall aus den Reihen der Altparteien ist geradezu ein Indiz dafür, dass die AfD sich auf dem falschen Weg befindet.” Aus Sicht der AfD dürfte die eigene Strategie also gerade voll aufgehen.

Im politischen Duell

“Deutschland hat in den vergangenen zwei Jahren ein staatsgefährdendes Versagen in Fragen der Grenzsicherung erlebt”, heißt es in einem AfD-Antrag, in dem die Partei darauf dringt, umfassende Grenzkontrollen einzuführen. Zum vollständigen VideoDer CDU-Abgeordnete Detlef Seif tritt ans RednerpultZum vollständigen Video, um zu erklären, warum das nicht geht. Gut fünf Minuten dauert die Rede, aber er kann kaum einen Satz zu Ende führen, weil er ständig von der AfD unterbrochen wird:

Am Ende stehen, das geht aus den Protokollen hervor: 20 Zwischenrufe, im Schnitt alle 15 Sekunden einer. Das Beispiel zeigt, wie effektiv und destruktiv Zwischenrufe sein können: Sie sind eine Intervention, sie unterbrechen die Argumentation, denn anders als bei der Zwischenfrage, die nach den Spielregeln des Parlaments der jeweilige Redner zulassen kann oder nicht, kann er sich des Zwischenrufs nicht erwehren.

Diese Intervention hat eine lange Tradition in der parlamentarischen Debatte. Abgeordnete können per Zwischenruf loben oder kritisieren, polemisieren oder beschimpfen. Das kann geistreich sein, frech oder absurd (in diesem Quiz können Sie mitraten, welche Zwischenrufe es im aktuellen Bundestag wirklich gab - und welche nicht). Im besten Fall leisten Zwischenrufe einen inhaltlichen Beitrag zur Debatte: “Es gibt durchaus Zurufe, mit bei denen ein knappes und fundiertes Gegenargument formuliert wird”, sagt der Linguistik-Professor Josef Klein, der in den 1970er Jahren selbst eine Legislaturperiode im Bundestag verbracht hat. 

Dafür gibt es allerdings nicht viele Beispiele. Entdecken Sie eines? Hier finden Sie alle Zwischenrufe aus dieser Legislaturperiode (bereinigt um einzelne Laute wie "Oh!"):

Mit der AfD ist die politische Debatte im Parlament deutlich schärfer geworden, die Polarisierung hat zugenommen. “Das sind häufig emotionalisierte, schaufensterorientierte Debatten, die nichts zur Problemlösung beitragen, die verletzend sind”, sagt Politik-Professor Wolfgang Schroeder, der in einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) die Arbeit der AfD in zehn Länderparlamenten untersucht hat. Das zeigt sich nicht nur in einzelnen Reden wie etwa bei Detlef Seif.

Die Zwischenrufaktivitäten der Fraktionen

Die Länge des dunklen Balkens steht für alle Zwischenrufe einer Fraktion, die den Sprechern einer anderen Fraktion gelten. Die Abgeordneten der Grünen machen die meisten Zwischenrufe, die der FDP die wenigsten.

Die Länge der blauen Balken zeigt die Anzahl der Zwischenrufe an, die die jeweilige Fraktion an Redner der AfD adressierte.

Die Grünen rufen so viel dazwischen wie keine andere Fraktion. 453 ihrer 1311 Zwischenrufe richten sich allein an oder gegen AfD-Redner. Dahinter folgt die AfD, die auch deshalb so viel ruft, weil sie sich isoliert einer geschlossenen demokratischen Front gegenübersieht und ihre Zurufe an den gesamten Rest des Bundestags richtet. Aber auch Union und Linke suchen über Zwischenrufe die Auseinandersetzung mit der AfD. Vergleichsweise zurückhaltend bleibt nur ihr räumlicher Nachbar im Plenarsaal: die FDP.

Bei Zwischenrufen geht es aber auch um Aufmerksamkeit und Macht. “Wenn Positionen anderer Parteien mit Häme und Buhrufen wie in einer Schule für Schwererziehbare kommentiert werden, dann agiert die AfD wie Schüler, die dem Lehrer zeigen wollen, dass sie die Herren des Verfahrens sind”, sagt Schroeder. Versteht man den Zwischenruf als Mittel der Wahl im politischen Duell, kommt den Akteuren eine herausragende Bedeutung zu. “Es bildet sich eine Zwischenrufer-Elite”, sagt Klein.

Die Top 10 der Zurufer

Ist nur eine Fraktion angegeben, heißt das, dass die Stenografen zwar einen Zuruf aus der Fraktion gehört haben, ihn aber niemandem zuordnen konnten.

Bei den Fraktionen sind dies oft die Meinungsführer, die Funktionäre aus der ersten Reihe und eben die Fachpolitiker, die entsprechende Expertise in der jeweiligen Materie haben. Bei der AfD sind es vor allem Erstere – die Partei scheint streng hierarchisch organisiert, das höchste Aktivitätsniveau haben jene, die auch die höchsten Ämter bekleiden: zuvorderst Fraktionschef Gauland, der nicht nur die fraktionsinterne Rangliste mit großem Abstand anführt, sondern auch die aller 709 Abgeordneten.

Eine Partei, ein Thema

Im Inneren des Reichstags leuchtet in Neonbuchstaben die Widmung: “Der Bevölkerung”. Über die Installation heißt es, sie stehe in einem “Spannungsverhältnis” zur Inschrift über dem Westportal des Gebäudes, wo in ehernen Lettern festgehalten ist: “Dem deutschen Volke”.

In und vor allem von diesem Spannungsverhältnis lebt die AfD. Die Partei befasst sich vor allem mit einem Thema: dem deutschen Volk. Daraus leitet sich der Grundkonflikt ab, an dem sich die AfD abarbeitet: die Deutschen gegen die Ausländer. Wer gehört dazu, zum deutschen Volk? Und wer nicht? Immer und immer wieder werden Asyl- und Zuwanderungspolitik thematisiert. Auch wenn die Inhalte einer Debatte eigentlich weit davon entfernt sind. Und das ist Absicht. “Zu viele Themen führen zur Beliebigkeit und zur Verzettelung”, heißt es im Strategiepapier 2017 der Partei: “Die stete Wiederholung dessen, wofür man bereits bekannt ist, bringt mehr Erfolg als immer wieder Neues zu bringen.”

In der landesparlamentarischen Arbeit der Partei hat sich diese thematische Verengung bereits niedergeschlagen. In Thüringen beispielsweise, so stellt eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung fest, lässt sich mehr als ein Drittel aller Kleinen Anfragen der AfD der Sicherheits- und Migrationspolitik zurechnen - “eine enorme Menge in Anbetracht der Vielfalt der politischen Themen”. Die WZB-Untersuchung der Arbeit in zehn Landtagen kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Mehr als ein Drittel aller Kleinen Anfragen zielt auf den Bereich Migration sowie Sicherheit und Ordnung ab.

Das zeichnet sich auch im Bundestag ab. Wenn sich die Auseinandersetzung mit anderen als den eigenen Themen nicht vermeiden lässt, “müssen Querverbindungen zwischen den Kernthemen und den möglicherweise spalterisch wirkenden Themen gezogen werden”, heißt es im Strategiepapier. Dieses Spinning, das Melken von Themen, bis am Ende ein nationalistisches, islam-, asyl- und eurokritisches, mitunter völkisch-rassistisches Destillat übrig bleibt, ist auch im Bundestag zu beobachten. In Zum ersten Videovier VideoausschnittenZum ersten Video (die nachfolgenden Filme finden Sie in voller Länge hier, hier und hier) wird dieses wiederholte Vorgehen der AfD im Schnelldurchlauf deutlich:

Das sind nur einige Beispiele von vielen, wie sich AfD-Abgeordnete innerhalb kürzester Zeit von den entferntesten thematischen Ecken wieder auf die Migrationspolitik zurückziehen.

Dieses Spinning mag mangelnder Expertise und Klientelpolitik geschuldet sein. Die thematische Monopolwirtschaft ist allerdings auch parteiintern begründet. Die AfD ist eine in sich gespaltene Partei, deren Mitglieder sehr verschiedene persönliche Hintergründe und politische Beweggründe mitbringen. Der marktradikale Flügel, vor allem westdeutsch geprägt, pralle auf den weniger wohlhabenden, sozialpopulistisch agierenden Ostflügel, sagt Quent. “Über diese innere Spaltungslinie sollen die plakativen Themen Einwanderung und Islam immer wieder hinwegtäuschen.” Daher werden Aussagen zu Themen, bei denen es keine einheitliche Position gibt, tunlichst vermieden.

Die Debatte im Bundestag zieht das - thematisch und qualitativ - in Mitleidenschaft. Und die anderen Parteien sind gezwungen, zu reagieren. Egal ob andere Probleme eigentlich drängender wären oder nicht; egal ob sie wollen oder nicht. “Die AfD ist nicht koalitionsfähig, aber sie ist erpressungsfähig”, sagt Schroeder. Insbesondere CDU und CSU stünden massiv unter Druck und unter dem Vorwurf, die eigenen Grundlagen als Volkspartei zu verraten, die nun die AfD - im Dienste des Volkes - vertrete.

Die Grenzen des Sagbaren

Das Vokabular hat sich verändert, seit die AfD unter der Reichstagskuppel spricht: Da ist auf einmal von “Schuldkult” oder “Altpartei” die Rede. Dazu kommen Begriffe wie “Bevölkerungsaustausch” (Heßenkemper, Chrupalla, 24. Sitzung), der ein von der AfD fantasiertes migrationspolitisches Bedrohungsszenario beschreibt; oder rassistische Zuschreibungen, wenn etwa die angebliche “Masseneinwanderung” “kulturfremder” Menschen mit einer angeblich steigenden Kriminalität in Kausalzusammenhang gesetzt wird (Jongen, 15. Sitzung). Sogar Begriffe, die besonders häufig in der Zeit des Nationalsozialismus benutzt wurden, werden wieder verwendet. Wie etwa “völkisch” oder “entartet”, ein Wort, mit dem die Nationalsozialisten beispielsweise Werke brandmarkten, die nicht den Vorstellungen von “Deutscher Kunst” entsprachen.

Im AfD-Strategiepapier hieß es schon 2016: “Die AfD lebt gut von ihrem Ruf als Tabubrecherin und Protestpartei.” Man dürfe vor “sorgfältig geplanten Provokationen” nicht zurückschrecken. Fraktionschefin Alice Weidel formulierte es bei einer Rede so: “Ich finde das super, wenn Sie sich aufregen.” Zum vollständigen VideoGottfried CurioZum vollständigen Video, integrations- und migrationspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion, scheint die vor ihm aufwallende Empörung wie ein Dirigent zu lenken:

Die Grenzen zwischen “konservativ” und “rechts” verschwimmen. Die Grenzen des Sagbaren werden verschoben. In einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung ist von einem “AfD-Effekt” die Rede. Viele völkisch-nationale oder geschichtsrevisionistische Positionenseien noch vor wenigen Jahren höchstens am rechten Rand des Parteienspektrums zu finden gewesen. Jetzt sind sie mit der AfD im Bundestag vertreten.

Man wolle mit einfachen, populistischen Botschaften und der Installation von Sündenböcken bei einem “Protestmilieu” punkten, sagt dazu Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. “Das ist ja das Erfolgsrezept und die AfD wäre blöd und wäre auch nicht die AfD, wenn sie das nicht im Bundestag weiterführen würde.”

Die Partei bindet so Aufmerksamkeit, auch wenn die Lichter im Plenarsaal längst ausgegangen sind. Sie betreibt Schaufensterpolitik für die eigene Klientel. Der Bundestag, die von vielen Rednern immer wieder fast mantrahaft beschworene “Würde des Hauses”, hat daran bislang nichts ändern können. 

Auch der Rückkanal aus dem Bundestag in die sozialen Netzwerke funktioniert. Konsequent teilt die Partei die Reden ihrer Abgeordneten auf Facebook und Youtube. Verkürzt, zugespitzt und entsprechend kontextualisiert (“Treffer, versenkt!” heißt es über eine Gegenrede von Beatrix von Storch oder vielmehr über die angeblichen Auswirkungen auf ihren Adressaten). Gängig sind etwa Best-of-Zusammenschnitte der AfD-Reden über die Facebook-Seite der Fraktion - mit deutlich höherer Resonanz: Mehr als 1500 Shares für eine Rede im Bundestag sind bei der AfD keine Seltenheit, außerhalb der rechten Netzwerke aber sehr wohl. So verbreitet die AfD ihre eigenen Positionen ohne Einordnung, Gegenargumente oder Kritik an ihre Anhängerschaft.

Diese Spirale von Provokation, Empörung, Aufmerksamkeit hat Effekte, die sich die Rechten wiederholt zunutze gemacht haben: Die AfD kann sich als Opfer wahlweise politischer Kampagnen beziehungsweise der Diktatur der Political Correctness darstellen. Wichtiger noch: Es kommt zur Abstumpfung, Abnutzungseffekte führen dazu, dass die Sensibilität der Menschen gegenüber rechtem Gedankengut abnimmt.

Quent hält eine offene Konfrontation deshalb für produktiv und hat beobachtet, dass die anderen Parteien mitunter fast aggressiver auftreten als die AfD. Mit Blick auf einige der kontroversesten Debatten sagt Quent: “Die Reaktionen aller Parteien, vor allem von CDU, FDP und Grünen haben mir sehr gut gefallen. So muss man damit umgehen, um bestimmte rote Linien zu verteidigen. Empörung finde ich unheimlich wichtig, um zu verhindern, dass es ein weiteres Einsickern von demokratieverachtenden Positionen gibt.” Es gehe bei diesem Kampf nicht um den rechten Rand - sondern um die Mehrheit von 60 Prozent, die sich nicht vorstellen könne, AfD zu wählen.

Immerhin, um in der Gauland'schen Bildsprache zu bleiben, ist der Bundestag keinesfalls eine leichte Beute. Man hat auf die Jagd- die Wachhunde losgelassen.

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