
Bundesversammlung
Bewerbung ohne Aussicht aufs Schloss Bellevue
Frank-Walter Steinmeier muss sich keine Sorgen um seinen Job machen. Es wäre wahrlich nur mit einem politischen Wunder zu erklären, sollte die Bundesversammlung dem Staatsoberhaupt am 13. Februar nicht eine zweite Amtszeit gewähren. Neben den Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP hat sich auch die Union für den 66-jährigen Sozialdemokraten ausgesprochen.
Und dennoch schicken die Linke, die AfD und auch die Freien Wähler eigene Vertreter ins Rennen ums höchste Amt im Staate. Die Linke hat ihren Mann schon vorgestellt. Sie versucht es mit dem Sozialmediziner Gerhard Trabert. Die AfD geht mit dem Ökonomen und Christdemokraten Max Otte ins Rennen. Und die Freien Wähler setzen auf eine Frau: die Astrophysikerin und Kommunalpolitikern Stefanie Gebauer.
Immer wieder gibt es auch respektable Kandidaten, die trotz geringer Aussichten auf Erfolg einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Eine Auswahl.

Gerhard Trabert
Die Linke hat den Sozialmediziner Gerhard Trabert aufgestellt, damit er als Gegenkandidat zu Frank-Walter Steinmeier in der 17. Bundesversammlung antritt.
Der 65-Jährige ist Gründer des Vereins "Armut und Gesundheit in Deutschland" und Professor für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie an der Hochschule Rhein-Main. Seit vielen Jahren ist er im Raum Mainz mit seinem sogenannten "Obdachlosenmobil" unterwegs, in dem er wohnungslose Menschen kostenlos ärztlich versorgt. Er arbeitete als Arzt in Krisengebieten und Flüchtlingscamps auf nahezu allen Kontinenten, zuletzt war er unmittelbar nach dem Brand von Moria auf Lesbos im Einsatz. Außerdem engagiert er sich in der zivilen Seenotrettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer.
Traberts Kandidatur hat eher symbolischen Charakter. Der Sozialmediziner gilt als chancenlos, da nicht nur die Parteien der regierenden Ampelkoalition, also SPD, FDP und Grüne sich bereits für Steinmeier ausgesprochen haben, sondern auch die Union angekündigt hat, die Kandidatur des bisher amtierenden Bundespräsidenten zu unterstützen.
Mit Traberts Nominierung will die Linkspartei aber auf soziale Themen aufmerksam machen. "Natürlich werde ich nicht zum Staatsoberhaupt gewählt werden, aber ich sehe schon ein Stück weit die Chance, eine Diskussion anzuregen", sagt Trabert im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: "Ich möchte die Kandidatur nutzen, um auf die Armut und soziale Ungerechtigkeit in diesem Land hinzuweisen, und um als Fürsprecher von Menschen aufzutreten, die zu wenig gehört werden. Das zählt doch zu den ureigensten Aufgaben eines Bundespräsidenten."
Trabert ist, wie viele von der Linkspartei nominierte Kandidaten der vergangenen Jahre, kein Parteimitglied. Er trat aber 2021 als Mainzer Direktkandidat der Linken für den Bundestag an.

Peter Sodann
Bereits in der Vergangenheit hatte die Linkspartei eigene Kandidaten zur Wahl in der Bundesversammlung nominiert. So schickte sie am 23. Mai 2009 den Schauspieler Peter Sodann als Kandidaten gegen Amtsinhaber Horst Köhler und die SPD-Bewerberin Gesine Schwan in die 13. Bundesversammlung.
Sodann stammt aus Meißen. In der DDR saß er aus politischen Gründen in Haft. Viele Jahre wirkte er als Intendant des Neuen Theaters in Halle (Saale). Wegen seiner Geschichte erschien der Schauspieler dem damaligen Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine und dem Fraktionsvorsitzenden der Linken, Gregor Gysi, wohl als geeigneter Kandidat.
Vielleicht ging es Lafontaine aber auch nur um Rache an der SPD-Kandidatin Gesine Schwan, die ihn als einen Demagogen bezeichnet hatte. Ein Wunschkandidat der Partei war Sodann jedenfalls nie. Das Unbehagen war wohl beidseitiger Natur. Bei seiner offiziellen Vorstellung durch Lafontaine und Gysi begründete er seine Kandidatur dann damit, er könne eben schlecht Nein sagen.
Der Satz, der von Sodanns Kandidatur wohl am ehesten in Erinnerung bliebt, ist der, dass der ehemalige „Tatort“-Kommissar gerne den Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, verhaftet hätte.
Der Schauspieler wollte bereits 2005 für die Linke-Vorgängerpartei PDS in den Bundestag einziehen. Dafür hätte er allerdings seine Rolle als Kommissar im „Tatort“ aufgeben müssen. 2009 war Sodann als „Tatort“-Kommissar bereits pensioniert.

Dagmar Schipanski
Dagmar Schipanski, aufgewachsen in Ilmenau in der damaligen DDR, entschied sich nach dem Abitur für das Studium der angewandten Physik in Magdeburg. Naturwissenschaften erschienen ihr, im Gegensatz zu den ideologisch durchdrungenen Geisteswissenschaften, unabhängiger vom Diktum der SED. Weil sie sich nach ihrer Habilitation in Ilmenau weigerte, der SED beizutreten, blieb ihr eine Professur verwehrt.
Erst nach der Wende wurde sie 1990 Professorin für elektronische Bauelemente. Fünf Jahre später wurde Schipanski Präsidentin der TU Ilmenau und damit erste Rektorin einer technischen Hochschule in Deutschland. Im gleichen Jahr berief der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl sie in den Rat für Forschung, Technologie und Innovation, dessen Leitung sie ein Jahr später als erste Frau übernahm.
1999 schlug die CDU Schipanski, damals über den Wissenschaftsbetrieb hinaus kaum bekannt, überraschend für das Bundespräsidentenamt vor. Im zweiten Wahlgang unterlag sie mit 42,8 Prozent der Stimmen nur knapp dem rot-grünen Kandidaten Johannes Rau, der 51,6 Prozent bekam.
Kurz darauf ernannte die thüringische CDU die immer noch parteilose Schipanski zur neuen Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst. 2000 trat sie der CDU bei, zwischen 2004 und 2009 war sie Präsidentin des Thüringer Landtags und seit 2006 gehört sie dem Bundesvorstand der CDU an.

Joachim Gauck
Was, der Gauck war doch mal Bundespräsident? Ja, war er. Aber der Reihe nach.
In Rostock geboren, studierte Joachim Gauck nach dem Abitur Theologie und arbeitete viele Jahre als Pastor. Schon in jungen Jahren trat er in Opposition zur Diktatur in der DDR. Als Mitinitiator des kirchlichen und öffentlichen Widerstands gegen die SED leitete er die wöchentlichen „Friedensgebete“, aus denen Protestdemonstrationen hervorgingen.
1990 berief ihn Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum Sonderbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Eine neu gegründete Behörde für die Verwaltung der DDR-Relikte wurde wegen ihres langen, bürokratischen Namens kurz darauf umgangssprachlich schlicht Gauck-Behörde genannt. Bis zum Jahr 2000 war Joachim Gauck ihr Chef. Zwischen 2001 und 2004 war er deutsches Mitglied des Verwaltungsrates der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Wien.
2010 stellten SPD und Grüne Gauck als Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl auf, er unterlag erst im dritten Wahlgang dem CDU-Kandidaten Christian Wulff. Nachdem Wulff zwei Jahre später wegen einer Affäre um die Finanzierung seines Eigenheims und einer Urlaubsreise zurücktreten musste, gewann Gauck die Wahl 2012 klar gegen die Linken-Kandidatin Beate Klarsfeld und war bis 2017 Bundespräsident.

Christoph Butterwegge
Christoph Butterwegge ist einer der renommiertesten Armutsforscher Deutschlands. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft, Philosophie, Rechtswissenschaft und Psychologie in Bochum und anschließenden Lehraufträgen an verschiedenen Hochschulen habilitierte er 1990 an der Universität Bremen.
1998 wurde Butterwegge Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Seit 2011 leitet er dort das Institut für Vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften. Als Gastautor schreibt er unter anderem für die Zeit, die taz und Focus online über Armutsthemen. In seinen zahlreichen Schriften prägte Butterwegge den Begriff „Paternoster-Effekt“ für die soziale Polarisierung, die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich: „Die einen fahren nach oben, die anderen nach unten.“
Butterwegge wurde als Abiturient SPD-Mitglied, 1975 jedoch aus der Partei ausgeschlossen und trat ihr 1987 wieder bei. Aus Protest gegen die Sozialpolitik der großen Koalition trat er jedoch 2005 wieder aus. Als parteilosen Kandidaten schlug ihn die Linke 2017 für die Bundespräsidentenwahl vor, in der Abstimmung kam er auf gut zehn Prozent der Stimmen und unterlag Frank-Walter Steinmeier deutlich.

Gesine Schwan
Gleich zwei Mal schickte die SPD Gesine Schwan ins Rennen um das Amt des Bundespräsidenten. 2004 und 2009 trat die Politikwissenschaftlerin gegen Horst Köhler an, beide Male unterlag sie.
Schwan stammt aus einer sozial engagierten Familie, die im Nationalsozialismus protestantischen und sozialistischen Widerstandskreisen angehörte. Nach dem Abitur studierte sie Romanistik, Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft in Berlin und Freiburg.
1975 habilitierte sie über die philosophischen und politökonomischen Voraussetzungen der Gesellschaftskritik von Karl Marx und lehrte ab 1977 als Professorin für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Unter dem Eindruck von Willy Brandts Ostpolitik trat sie 1972 der SPD bei. Sie war im Seeheimer Kreis der SPD aktiv, der in den 70er-Jahren neomarxistischen Positionen in der Partei entgegentrat. Von 1999 bis 2008 war Schwan Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). 2005 übernahm sie das Amt der Koordinatorin der Bundesregierung für die grenznahe und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit mit Polen, das sie bis 2009 ausübte. Seit 2014 ist sie Vorsitzende der Grundwertekommission beim Parteivorstand der SPD.

Alexander Hold
Die Aufmerksamkeit, die in Gestalt von Kameras bei der Bundesversammlung 2017 auf ihn gerichtet war, dürfte Alexander Hold, so viel darf man wohl annehmen, eher wenig ausgemacht haben. Schließlich war es da mehr als 2000 Verhandlungen her, dass er beim Privatsender Sat 1 eine Sendung übernahm, die mit „Richter Alexander Hold" passenderweise auch noch seinen Namen trug.
Die Freien Wähler aus Bayern aber auch aus Brandenburg waren es, die den Fernsehrichter, der auch im echten Leben Jurist ist, damals für das höchste Amt der Republik ins Rennen schickten. Doch trotz seiner Bekanntheit blieb der Erfolg des Richters, sagen wir mal, eher überschaubar. Hold schaffte es, 25 Stimmen auf sich zu vereinen. Da hatte ein gewisser Frank-Walter Steinmeier mit 931 dann doch etwas Vorsprung.
Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger kündigte Holds Kandidatur damals mit den Worten an, es sei Zeit "für einen bürgernahen und glaubwürdigen Kommunalpolitiker als Repräsentant Deutschlands", gerade zu dieser Zeit, da Recht und Gesetz verteidigt werden müssten, sei Hold der Richtige. Der so Gelobte selbst sagte vor der Wahl, er nehme die Kandidatur "mit großer Ernsthaftigkeit" an, "auch wenn ich meine Erfolgschancen realistisch einschätze". Der Politik blieb der damalige und heutige Stadtrat von Kempten jedenfalls treu. Seit 2018 sitzt er für die Freien Wähler und den Wahlkreis Schwaben zudem im Bayerischen Landtag.

Jens Reich
Als Bundespräsident hat man die Aufgabe, das große Ganze im Blick zu haben. Mit Jens Reich trat im Jahr 1994 jemand an, der sich beruflich zunächst mit den ganz, ganz kleinen Dingen beschäftigt hatte. Der Molekularbiologe schrieb wissenschaftliche Arbeiten mit Titeln wie „Zeit und Bewegung im Stoffwechsel der lebenden Zelle".
Geboren in Göttingen, wuchs Reich in Halberstadt auf. Über seine Familie sagte er einst, sie habe ihn zu einem „Fremdkörper in der DDR erzogen“. Über die Jahre hinweg geriet Reich immer mehr mit dem SED-Regime in Konflikt. Zur Wendezeit trug er zur Gründung des Neuen Forums bei, welches einen „demokratischen Dialog“ zur Zukunft der DDR forderte und die Zeit der Wende maßgeblich mitprägen sollte. Bei der Wahl zur Volkskammer 1990 schlossen sich das Neue Forum und andere Bewegungen zum Bündnis 90 zusammen, mit Reich als Spitzenkandidat gelang der Einzug ins erste frei gewählte DDR-Parlament. Ein Teil von Bündnis 90 fusionierte später mit den Grünen aus dem Osten und dem Westen zur gesamtdeutschen Partei Bündnis 90/Die Grünen.
Eine parteiübergreifende Bürgerinitiative brachte Reich 1993 als Nachfolger von Richard von Weizsäcker als Bundespräsident ins Gespräch. Der Molekularbiologe und Bürgerrechtler entschloss sich schließlich, als parteiloser Bewerber mit dem Mandat von Bündnis 90/Die Grünen zu kandidieren. Er schied bei der Wahl am 23. Mai 1994 im ersten Wahlgang aus, in dem er 62 Stimmen holte. Die SZ schrieb einst über ihn, wenn es etwas gebe, was die DDR zu einem künftigen einigen Deutschland beizutragen hätte, dann seien es "nüchtern-intelligente Köpfe vom Schlage von Jens Reich". Der unter anderem mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnete Wendeaktivist blieb als politischer Beobachter und moralische Instanz auch dem wiedervereinigten Deutschland erhalten. Dabei prangerte er unter anderem eine "entartete Parteiendemokratie" mit einem "Übergewicht der Parteien", an, die vom Grundgesetz so nicht vorgesehen sei und Politikverdrossenheit fördere.

Luise Rinser
Die Grünen, ein Jahr zuvor erstmals in den Bundestag eingezogen, nominierten 1984 die Schriftstellerin Luise Rinser für das Bundespräsidentenamt. Gegen den Christdemokraten Richard von Weizsäcker hatte sie jedoch keine Chance.
Rinser wurde 1911 geboren und arbeitete zunächst als Volksschullehrerin. Schon nach vier Jahren musste sie wieder aufhören, weil sie den obligatorischen Eintritt in die NSDAP verweigerte. 1944 wurde sie für ihre Zeitungsartikel denunziert und wegen „staatsfeindlicher Gesinnung und Wehrkraftzersetzung“ inhaftiert. Ihre regimekritische Haltung schönte sie später jedoch, sie hatte sich im Bund Deutscher Mädchen engagiert und Huldigungsgedichte an Hitler geschrieben.
Nach dem Krieg profilierte sie sich als Schriftstellerin zuerst mit einigen Kurzgeschichten, darunter der Erzählung „Jan Lobel aus Warschau“. 1950 erschien ihr Roman „Mitte des Lebens“, in dem sie aus der Sicht einer alleinstehenden, selbständigen Frau das Bild einer scheinheiligen und selbstgefälligen Gesellschaft zeichnete. Er wurde zum Weltbestseller.
Rinser stellte die Frage nach gültigen Moral- und Wertvorstellungen aus christlich-ethischer Perspektive in den Mittelpunkt ihres Werks. Sie mischte sich aktiv in die politische und gesellschaftliche Diskussion in Deutschland ein, unterstützte Willy Brandt 1972 in seinem Wahlkampf, engagierte sich für Frauenrechte und gegen die atomare Aufrüstung. Sie war als scharfe Kritikerin der katholischen Kirche eine führende Stimme des Linkskatholizismus. 1977 bekam sie das Bundesverdienstkreuz verliehen. Rinser starb im Jahr 2002.