Landtagswahl in Hessen

„Von der Politik fühle ich mich momentan überhaupt nicht abgeholt“

Wohnungsnot, unpünktliche Busse und eine starke AfD – was bewegt junge Menschen vor der Landtagswahl in Hessen? Fünf von ihnen erzählen.

Protokolle von Thu M. Le und Sıla Selin Noyan
5. Oktober 2023 - 5 Min. Lesezeit

Am 8. Oktober 2023 wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Wie immer buhlen die Parteien auch um junge Wähler:innen. Von den 4,3 Millionen Wahlberechtigten des Bundeslands sind neun Prozent zwischen 18 und 24 Jahre alt und ein gutes Viertel zwischen 25 und 44 Jahre. Aber was denken junge Wähler:innen über die Politik, was beeinflusst ihre Entscheidungen?

Fünf junge Menschen aus Hessen erzählen, welche Themen sie beschäftigen und wie sie in die Zukunft blicken.

Jonas, 20, arbeitet als Lokführer bei der Deutschen Bahn, wohnt noch bei seinen Eltern in Dieburg

„Ich würde gern in Dieburg bleiben, doch etwas Bezahlbares zu finden, ist hier schwierig. Als Studierender oder Azubi benötigt man auf jeden Fall Unterstützung von den Eltern oder muss nebenbei arbeiten. Daher finde ich, dass bezahlbares Wohnen, vor allem für einkommensschwache Familien, stärker gefördert werden sollte.

Auf lange Sicht macht mir der Klimawandel Angst, denn ich glaube, meine Generation wird damit noch viel zu tun haben. Ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, aber es ist frustrierend zu sehen, dass immer noch zu wenig getan wird. Besonders in meinem privaten Umfeld bemerke ich, wie einige Menschen sich überhaupt nicht mit dem Thema auseinandersetzen oder es sogar mit Absicht ignorieren. Ich wünsche mir hier einen Bewusstseinswandel. Deshalb werde ich bei den kommenden Landtagswahlen die Grünen wählen.

Ich denke, dass der Ausbau des öffentlichen Verkehrs eine der sinnvollsten Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel ist. Allerdings mangelt es insbesondere am Personal bei der Bahn. Die Attraktivität dieser Berufe muss gesteigert werden, sowohl durch eine bessere Bezahlung als auch durch angenehmere Arbeitsbedingungen.

Mit Maßnahmen wie dem 49-Euro-Ticket bin ich zufrieden; ich finde es positiv, dass mehr für den Klimaschutz getan wird. Auch bessere Radwege sind mir ein Anliegen, da ich viel mit dem Fahrrad unterwegs bin. Das ist in den meisten Großstädten katastrophal und teilweise lebensgefährlich.  

Politisch gesehen versuche ich auf dem Laufenden zu bleiben. Besonders vor Wahlen setze ich mich intensiver mit Politik auseinander, schaue Nachrichten oder lese Zeitung. In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass die Wahlplakate sehr populistisch sind, das beunruhigt mich schon etwas. Auch in Hinblick auf die Wahlumfragen, in denen die AfD momentan sehr stark ist. Ich mache mir Sorgen, wie viele rechte Äußerungen mittlerweile in der Gesellschaft geduldet werden.“ 

Şinda, 19, wohnt in Breuberg und möchte bald englische Literatur und Germanistik in Mainz studieren

„Die Menschen auf dem Land werden von der Politik in vielen Bereichen vergessen, das ist meiner Meinung nach sehr problematisch. Ich studiere zum Beispiel bald in Mainz und eigentlich wäre es möglich, zu pendeln. Doch dort, wo ich wohne, ist das keine Option. Von meinem Dorf aus komme ich nur sehr schwer in die nächste Stadt. Es fährt nur jede Stunde ein Bus und wenn der mal Verspätung hat, verpasse ich meinen Zug. Ganz schnell werden aus einer Stunde Fahrt drei Stunden. Hier ist kein Verlass auf die Öffis. 

Zusätzlich gibt es keine angemessene Förderung der Studierenden. Die Bürokratie ist total kompliziert, allein wenn man BAföG beantragen möchte, muss man eine Ewigkeit warten. Momentan weiß ich nicht mal, ob ich überhaupt eine Förderung kriege. Es dauert drei Monate, bis sich jemand vom Amt meldet. Es gibt kaum bezahlbare Wohnungen, die Studentenwohnheime sind voll. Zusammengefasst ist da keine Sicherheit, dass ich mein Studium machen kann und manchmal frage ich mich selbst: Wie lange schaffe ich das alles noch mental? 

Mit den Wahlen erhoffe ich mir, dass mehr Wert auf die Förderung von Studierenden und ländlichen Gebieten gelegt wird. Und auch wenn ich mich mit keiner Partei so richtig identifizieren kann, ist es für mich als nicht-deutsche Person wichtig, in dieser Wahl Parteien wie der AfD keinen Raum im Landtag zu geben.” 

Ogün, 31, arbeitet als Marketing-Manager und wohnt in Frankfurt am Main

„Hier in Hessen gehen wir seit fünf Jahren in eine ganz falsche Richtung. Rechtes Gedankengut wird immer stärker. Das liegt vor allem daran, dass es an politischer Bildung mangelt. Das wiederum wird von rechten Parteien ausgenutzt. Ich habe aber auch das Gefühl, dass linksextreme Ansichten zunehmen. Beide Pole sind in meiner Wahrnehmung sehr präsent. 

Von den Landtagswahlen habe ich in Frankfurt nicht wirklich etwas mitbekommen. Man muss gezielt danach suchen, um auf dem neusten Stand zu sein. Für politikverdrossene Menschen, die nicht jeden Tag mit der Politik zu tun haben, wäre es hilfreicher, einen einfachen Zugang zu den Zielen und Ansichten der einzelnen Parteien zu schaffen. Doch dafür müssten die Politiker:innen und Parteien mehr Präsenz zeigen, momentan sind sie zu fern für die Bürger:innen. Außerdem muss die Politik in einfacher Sprache erklärt werden, damit auch jede:r Bürger:in alles versteht. Auch in den Schulen sollte mehr über die Umwelt, den Klimaschutz, verschiedene Kulturen, Religionen oder auch gleichgeschlechtliche Ehen gesprochen werden. Von der Politik fühle ich mich momentan überhaupt nicht abgeholt.”

Deborah, 25, wohnt in Darmstadt und arbeitet für einen Verein, der unter anderem gegen Anti-Schwarzen Rassismus in Kindertagesstätten und Schulen vorgeht

„Als Schwarze Frau fühle ich mich nicht sicher hier in Deutschland. Gerade von der Politik in Hessen fühle ich mich weder repräsentiert noch beschützt. Deshalb ist es in diesem Jahr für mich und meine Diaspora besonders wichtig, zu wählen. Auch wenn ich mir noch nicht sicher bin, wen ich wählen werde, da ich keiner Partei wirklich ganz zustimme. 

Es findet momentan ein Rechtsruck statt und was das Thema Rassismus in Kindertagesstätten und Schulen angeht, mache ich mir besonders Sorgen. In Deutschland leben viele nicht-weiße Kinder und diese brauchen besonderen Schutz. Aber wenn ich mir den Haushaltsplan für den Bund anschaue, frustriert mich das. Die Kindergrundsicherung soll gekürzt werden, Gelder für politische Bildung oder für den Gesundheitssektor wurden bereits gestrichen. Wir können nicht effektiv gegen Anti-Schwarzen Rassismus in Kitas vorgehen, wenn die Kitas nicht mal die Grundbedürfnisse der Kinder decken können. Momentan ist die Situation eine Vollkatastrophe: Es herrscht Personalmangel, zu wenig Geld für Förderung, zu wenige Kitas.” 

Embiya, 30, studiert soziale Arbeit und arbeitet in der Jugendhilfe in Darmstadt  

„Ich habe bereits eine Vorstellung davon, wen ich wählen werde. Diese Partei wähle ich bereits zum zweiten Mal. Sie ist eine von den Koalitionsparteien und setzt sich meiner Meinung nach für Chancengleichheit ein. Ich bin ziemlich angespannt, vor allem weil die AfD in den Umfragen so stark ist. Eine Partei, die nicht weltoffen ist und gegen Minderheiten hetzt, stellt eine große Gefahr für die Freiheit der Demokratie dar. 

Zudem habe ich das Gefühl, dass viele Politiker:innen einen großen Fokus auf die Themen Wirtschaft und internationale Beziehungen legen. Klar ist es wichtig, sich außenpolitisch zu positionieren und Solidarität zu zeigen, wie zum Beispiel im Krieg zwischen der Ukraine und Russland. Doch man darf die Menschen im eigenen Land nicht vergessen. Es sollte auf kommunaler Ebene mehr Aufmerksamkeit für die Anliegen der Bürger:innen geben.   

Mir ist besonders wichtig, mich für alle Menschen einzusetzen, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion. Und ich bin für eine vielfältige und offene Gesellschaft. Aber wir sollten auch darüber sprechen, wie man die Herausforderungen der Asylpolitik bewältigen kann. Wir müssen humane und gleichzeitig gesellschaftlich sinnvolle Lösungen finden.“  

Text: Thu M. Le, Sıla Selin Noyan, Digitales Storytelling: SZ Jetzt, Bildredaktion: privat, SZ Jetzt