Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Günter Grass:Wortgewaltig, streitbar, herausragend

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Der Nobelpreisträger hat wie kein anderer Autor die deutsche Nachkriegsliteratur geprägt. Er war eine öffentliche Instanz.

Von Jens Bisky, Berlin

Günter Grass ist tot. Der Literaturnobelpreisträger starb am Montagmorgen im Alter von 87 Jahren in einer Lübecker Klinik an einer Infektion. Schriftstellerkollegen wie Politiker reagierten mit großer Trauer auf die Nachricht und bezeugten dem Repräsentanten der deutschen Nachkriegskultur ihren Respekt. "Ein echter Gigant, Inspiration und Freund. Trommle für ihn, kleiner Oskar", twitterte der indisch-britische Autor Salman Rushdie - und erinnerte damit an die bekannteste Figur aus dem Werk des Verstorbenen, an den Sonderling Oskar Matzerath aus dem 1959 erschienenen Roman "Die Blechtrommel". In Grass' "Romanen, Erzählungen und in seiner Lyrik finden sich die großen Hoffnungen und Irrtümer, die Ängste und Sehnsüchte ganzer Generationen", schrieb Bundespräsident Joachim Gauck in einem Beileidsschreiben.

Grass, der zunächst eine Lehre als Steinmetz absolviert, Grafik und Bildhauerei studiert sowie als Lyriker debütiert hatte, wurde mit seinem ersten Roman "Die Blechtrommel" schlagartig bekannt. Darin erzählt er aus der Perspektive eines Außenseiters die Geschichte einer Danziger Familie von 1924 bis in die Jahre der Bundesrepublik unter Konrad Adenauer. Der Roman wurde mehr als drei Millionen Mal verkauft, in 24 Sprachen übersetzt und 1979 von Volker Schlöndorff verfilmt. Vor allem für diesen Roman erhielt Grass 1999 den Literaturnobelpreis.

In den Sechzigerjahren wurde Grass einer der wortgewaltigsten Intellektuellen der Bundesrepublik; seit 1965 machte er mehrmals für die SPD Wahlkampf und warb für die neue Ostpolitik Willy Brandts. Als "Kämpfer für Demokratie und Frieden" würdigte ihn der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Grass war 1982 Mitglied der Partei geworden und blieb ihr in kritischer Solidarität verbunden, obwohl er sie 1992 aus Protest verlassen hatte.

Viel Ablehnung erfuhr 1995 sein Roman "Ein weites Feld", in dem Grass seine Kritik an der Treuhandpolitik und der Abwicklung der DDR im Zuge der Vereinigung gestaltete. Dabei wurde oft vergessen, wie stark Grass in den Jahren der Teilung für die Einheit der deutschen Literatur eingetreten war. Nicht zuletzt im Ausland stieß seine Novelle "Im Krebsgang" (2002) über den Untergang der Wilhelm Gustloff auf Kritik, weil in ihr die Deutschen als Opfer im Mittelpunkt standen. Seinem Buch "Beim Häuten der Zwiebel" (2006) wurde vorgehalten, dass Grass' Bekenntnis, als 17-Jähriger einer SS-Einheit beigetreten zu sein, erst so spät erfolgte.

Bis zu seinem Tod habe Grass, berichtet sein Verleger Gerhard Steidl, an einem neuen Werk gearbeitet. Am 12. Juni wird in Göttingen zum ersten Mal daraus gelesen. Es trägt den Titel: "Vonne Endlichkait".

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SZ vom 14.04.2015
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