Süddeutsche Zeitung

Schwedische EU-Kommissarin:Offen und herzlich, aber bestimmt in der Sache

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EU-Innenkommissarin Ylva Johansson wird an diesem Mittwoch ihre Vorschläge für ein neues europäisches Asylsystem präsentieren. Sie selbst ist mit jener Vielfalt groß geworden, die Zuwanderung mit sich bringt.

Von Karoline Meta Beisel

Wenn EU-Innenkommissarin Ylva Johansson an diesem Mittwoch ihre Vorschläge für ein neues europäisches Asylsystem präsentiert, wird sich erst einmal gar nichts ändern: Zunächst werden das EU-Parlament, vor allem aber die in dieser Frage seit Langem zerstrittenen Mitgliedstaaten die neuen Vorschläge ausführlich diskutieren müssen. Schon das würde in Brüssel angesichts des jahrelangen Stillstands der Debatte als Erfolg gewertet, aber Johansson wünscht sich noch mehr: "Ich will, dass Migration genauso langweilig wird wie andere politische Themen."

Nach ihrem Amtsantritt im vergangenen Dezember reiste die Schwedin durch alle europäischen Hauptstädte, um einen Kompromiss auszuloten. Wie groß der Graben ist, den es bei diesem Thema zu überwinden gilt, wusste Johansson aber schon vorher: Sie kennt den Spagat zwischen Humanität und Offenheit auf der einen Seite sowie auf der anderen Seite Härte gegenüber jenen, die nicht bleiben können, aus ihrer eigenen Vergangenheit.

In Schweden gilt Johansson als eher linke Sozialdemokratin; als sie mit 24 als damals jüngste Abgeordnete ins Parlament einzog, war sie Mitglied der kommunistischen Linkspartei. Erst später wechselte sie zu den Sozialdemokraten. Die gelten in der Migrationsdebatte generell als offener als die Christdemokraten, die schwedischen Sozialdemokraten sind da allerdings eine Ausnahme: In Stockholm ist die Partei auch deswegen so erfolgreich, weil sie nach der Flüchtlingskrise 2015 auf eine deutlich restriktivere Migrationspolitik setzte. Als Arbeitsministerin war Johansson damals daran beteiligt, die Einwanderungsgesetze zu verschärfen.

Ylva Johansson selbst ist mit jener Vielfalt groß geworden, die Zuwanderung mit sich bringt: Sie wuchs in Botkyrka in einem multikulturell geprägten Viertel auf; als sie ein Kind war, adoptierten ihre Eltern ein Mädchen aus Korea, wie sie kürzlich im Podcast "EU Scream" erzählte. Diese Erfahrung hat Johansson geprägt. "Die Leute denken, deine Ethnie oder deine Hautfarbe ist wichtig dafür, wer du bist", sagt Johansson. Das reduziere die Menschen auf Eigenschaften, die sie nicht beeinflussen könnten. "Ich aber finde es nicht so wichtig, wo jemand herkommt. Entscheidend ist, wo du hinwillst."

Diesen letzten Satz sagt Johansson oft, wenn sie über Migration spricht. Auch in solchen Gesprächen vereint die frühere Mathelehrerin stets beide Aspekte der Debatte. Sie tritt offen und herzlich auf, aber auch bestimmt in der Sache. Etwa wenn sie darauf hinweist, dass derzeit zwei Drittel all jener, die die EU erreichen, keinen Anspruch auf Asyl haben und Europa darum wieder werden verlassen müssen; dass es aber auch nicht hinzunehmen sei, dass manche Länder mit dem Thema schlicht nichts zu tun haben wollten.

Beinahe wäre Johanssons Karriere zugunsten der eines Mannes früh beendet gewesen

Welches andere politische Thema Johansson sonst noch umtreibt, kann man ihr ansehen: Fast immer trägt die Feministin eine Kette mit dem Venussymbol, einem Zeichen der Frauenbewegung. "Wenn du eine Frau mit Macht bist, hast du die Pflicht, anderen Frauen zu helfen", sagt sie. "Auch ich habe meine jetzige Position nur deshalb, weil andere Frauen den Weg vor mir bereitet haben."

Beinahe allerdings wäre Johanssons Karriere zugunsten der eines Mannes früh beendet gewesen. 1998 verliebte sich die damalige Schulministerin in den damaligen Finanzminister, der heute ihr Ehemann ist. Beide verließen füreinander ihre jeweiligen Partner, aber nur einer von beiden konnte den Job behalten. Johansson wurde gebeten zurückzutreten. "Natürlich hätte ich lieber weitergemacht", sagt sie heute. Allerdings sei der Posten ihres Mannes damals schwieriger nachzubesetzen gewesen als der ihre.

Wie sich die Dinge doch geändert haben. Im Kabinett von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat kaum jemand eine wichtigere Aufgabe als Ylva Johansson. Aber auch kaum jemand eine schwierigere.

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SZ vom 23.09.2020
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