Süddeutsche Zeitung

Wohnraum für Flüchtlinge:Ein Gespenst namens Zwangsvermietung

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Von Thorsten Denkler, Berlin

Das Wort hat einen Reizeffekt: Zwangsvermietung. Und das auch noch an Flüchtlinge und Asylbewerber. Da setzen Angstreflexe ein. Tatsächlich gibt es diese Idee. Da nämlich, wo der Platz für Flüchtlinge dringend gebraucht wird, Vermieter aber ihre leer stehenden Wohnungen und Gebäude nicht freiwillig rausrücken wollen. Diesen Vermietern könnte der Staat durchaus mal mit all seiner Macht entgegentreten.

So steht es grob zusammengefasst in einer Liste von Ideen, die eine im Juni eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Thema Flüchtlinge gerade erstellt. Wohlgemerkt: Es geht um eine Ideensammlung. Ideen, die noch geprüft werden. Entschieden ist da noch gar nichts.

In der Arbeitsgruppe sitzen die Chefs der Staatskanzleien aus den Ländern und der Chef der Bundeskanzleramtes, Peter Altmaier. Es ist ihr originärer Auftrag, ohne Denkverbote alle möglichen Szenarien durchzuspielen, wie den Flüchtlingen möglichst schnell und effizient geholfen werden kann. In solchen Runden kommen viele Ideen auf den Tisch, werden geprüft, wieder verworfen oder am Ende modifiziert. Dass da etwas von Zwangsvermietung im Papier steht, heißt also nicht, dass sie jemals kommen wird.

Weswegen es auch einigermaßen lustig ist, wenn jetzt eine Sprecherin der Bundesregierung sich mit den Worten zitieren lässt: "Der Bund plant eine solche Maßnahme nicht". Von einer Planung spricht nämlich gerade niemand. Auch die Erklärung einer Sprecherin des Bundesbauministeriums, in ihrem Haus werde eine Zwangsvermietung nicht geprüft, heißt gar nichts. Es gibt schließlich noch Bauministerien in 16 Bundesländern, die die Frage prüfen können. Da wird gerade ziemlich viel Bohei um eine noch sehr abstrakte Idee gemacht. Das Zwangsvermietungs-Phantom geht um.

Denkverbote darf es nicht geben

Es ist gut, wenn die Beteiligten in der Arbeitsgruppe in alle Richtungen denken. Für dieses Jahr werden mindestens 800.000 Flüchtlinge in Deutschland erwartet. Manche sagen, es werden vielleicht sogar eine Million oder mehr sein. Im nächsten Jahr werden kaum weniger Flüchtlinge kommen, weshalb die Aufgabe wahrlich nicht zu unterschätzen ist.

Zu lange haben Bund und Länder einfach abgewartet und gehofft, dass sich die Lage wieder beruhigt. Hat sie aber nicht. Jetzt müssen große Probleme schnell und womöglich auch unkonventionell gelöst werden.

Die Idee der Zwangsvermietung ist übrigens gar nicht so neu. In manchen Bundesländern gibt es das Instrument bereits, um den lokalen Wohnungsmarkt zu entspannen. Hamburg etwa hat 2013 sein Wohnraumschutzgesetz überarbeitet. Eigentümern, denen Leerstand aus welchen Gründen auch immer lieber ist als Vermietung, kann der Staat die Immobilie aus der Hand nehmen. Dann vermietet das Land sie auf eigene Faust. Bisher ist das nur ein Abschreckungsinstrument, das in der Praxis konkret kaum eine Rolle spielt.

In der Flüchtlingsfrage aber geht es um etwas ganz anderes: Die Länder brauchen Platz für Tausende Menschen. Leerstehende Bürogebäude etwa sind ideal. Viele einzelne Zimmer, Waschbecken und Sanitärräume sind vorhanden. Höchstens Duschräume müssen eingerichtet werden. Besitzer von leerstehenden Eigenheimen oder einzelnen Mietwohnungen dürften nicht die Zielgruppe für Zwangsvermietungen sein - auch wenn das in manchen Meldungen unterstellt wird.

Staat wäre in der Pflicht, Flüchtlinge gut zu versorgen

Angesprochen fühlen könnten sich Eigentümer von ungenutzten Groß-Immobilien. Oder Investoren, die ganze Häuserblocks leer stehen lassen, weil es ihnen nur um die Rendite geht. Die sollten sich in der Tat fragen, ob sie sich nicht freiwillig melden wollen, um Menschen, die um ihr Leben gerannt sind, ein Dach über den Kopf zu geben.

Andererseits ist dann aber auch der Staat in der Pflicht, die Häuser ordentlich herzurichten, zu unterhalten und die neuen Bewohner so gut es geht zu unterstützen. Kein Eigentümer kann ein Interesse daran haben, dass sein Haus zu einem sozialen Brennpunkt wird, weil der Staat seine Fürsorgepflicht für die Asylsuchenden vernachlässigt.

Wenn viele Menschen auf engem Raum für viele Monate zusammenleben müssen, gibt es zwangläufig Konflikte. Damit dürfen weder Flüchtlinge noch Eigentümer allein gelassen werden. Es geht also um Kooperation mit den Eigentümern. Nicht um Gegnerschaft. Darum dürfte Zwangsvermietung - wenn das Instrument überhaupt weiter diskutiert wird - immer nur eine Notfalloption sein.

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