Süddeutsche Zeitung

Kinderpsychiater:Umfangreiche Ermittlungen im Fall Winterhoff

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Die Staatsanwaltschaft Bonn soll "eine hohe dreistellige Zahl von Fällen" früherer Patienten des bekannten Kinderpsychiaters untersuchen. Sie geben an, durch seine Behandlung möglicherweise schwer geschädigt worden zu sein.

Von Nicole Rosenbach und Rainer Stadler, Köln/München

Die Staatsanwaltschaft Bonn weitet ihre Ermittlungen im Fall Michael Winterhoff offenbar massiv aus. Wie der Bonner General-Anzeiger berichtet, untersuchten die Ermittler mittlerweile eine hohe dreistellige Zahl an Fällen von Betroffenen, die als Kinder und Jugendliche von dem Bonner Psychiater und Bestsellerautor behandelt und möglicherweise schwer geschädigt wurden. Die Behörde selbst bestätigte die Zahl auf Nachfrage nicht, sprach aber von einer "Vielzahl" an Fällen. Bisher hatte die Staatsanwaltschaft stets von einer zweistelligen Fallzahl gesprochen. Sollten sich die Zahl bestätigen, zeigt es, welche enorme Dimension der Fall Winterhoff haben könnte, der über drei Jahrzehnte Kinder und Jugendliche behandelte und nach eigenen Angaben zuletzt mit bis zu 30 Einrichtungen kooperierte.

Laut Bonner General-Anzeiger sei der sprunghafte Anstieg auf die Razzia im Mai zurückzuführen, als 100 Kriminalbeamte Winterhoffs ehemalige Praxisräume in Bonn durchsuchten sowie 15 Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen, die mit dem Bonner Arzt kooperiert hatten. Nach Information von WDR und Süddeutscher Zeitung beschlagnahmten die Ermittler dabei mehr als 2000 Patientenakten. Ein Sprecher der Bonner Staatsanwaltschaft erklärt nun auf Nachfrage, die Akten würden immer noch ausgewertet. Unabhängig davon meldeten sich weitere ehemalige Patienten von Winterhoff oder deren Sorgeberechtigte bei Polizei und Staatsanwaltschaft. Aus Bonner Polizeikreisen war zu erfahren, dass man mit der Bearbeitung der Anzeigenflut kaum hinterherkomme.

Die ersten Anzeigen waren vergangenen Herbst eingegangen, nachdem WDR und SZ erstmals über die dubiosen Behandlungsmethoden des bekannten Kinderpsychiaters berichtet hatten. Winterhoff hatte vielen der Betroffenen Diagnosen wie "frühkindlichen Narzissmus" und "Eltern-Kinder-Symbiose" ausgestellt, die sich in keinem Lehrbuch finden, und ihnen daraufhin Medikamente verschrieben. Vielen verordnete er das Neuroleptikum Pipamperon, oft in hohen Dosierungen. Es wirkt stark sedierend und kann schwere und lang anhaltende Nebenwirkungen verursachen. Experten empfehlen die Einnahme des Mittels nur in Notfällen für eine begrenzte Zeit. Ehemalige Patienten geben an, dass sie Pipamperon über Jahre hinweg einnehmen mussten, bis heute leiden sie unter den Folgewirkungen der Behandlung.

Anmerkung der Redaktion: Michael Winterhoff bestreitet die Vorwürfe und geht davon aus, dass seine Behandlung rechtskonform war. Er habe das für Kinder zugelassene Medikament Pipamperon nur dann verschrieben, wenn Kinder zum Beispiel von Aggressionen, Stimmungslabilität und Verwirrtheit beherrscht sind und für das Gegenüber nicht anders erreichbar sind. Es sei eine regelmäßige Überprüfung erfolgt, ob die medikamentöse Behandlung noch notwendig ist bzw. angepasst werden muss und Anpassungen seien erfolgt.

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