Süddeutsche Zeitung

Währungspolitik:Der tiefe Rheingraben

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Deutsche und Franzosen gefährden den Euro, weil sie sich fundamental missverstehen, schreiben Markus K. Brunnermeier, Harold James und Jean-Pierre Landau.

Von Nikolaus Piper

Es gilt als ausgemacht, dass Emmanuel Macron so etwas wie die letzte Chance für das Projekt der europäischen Einigung ist. Lässt Deutschland den französischen Präsidenten allein, so die Drohung, dann scheitert er und bekommt eine rechtsextreme Nachfolgerin, was das Ende nicht nur des Euro, sondern der Europäischen Union insgesamt wäre. Getrieben von dieser Sorge versprechen Union und SPD im Sondierungspapier vom 12. Januar einen "neuen Aufbruch für Europa". Tatsächlich ist ja der Euro noch lange nicht gesichert. Momentan sind es die Europäische Zentralbank und die Glaubwürdigkeit ihres italienischen Präsidenten Mario Draghi, die die Währung sichern. Niemand weiß jedoch, was in der nächsten Krise passiert.

Die drei renommierten Autoren beschreiben Währungspolitik als Kulturkampf

In dieser Situation großer Verunsicherung kommt "Euro. Der Kampf der Wirtschaftskulturen", ein äußerst ungewöhnliches Buch, in die deutschen Buchläden. Seine Autoren, drei international renommierte Wissenschaftler, behaupten: Das Problem der europäischen Währung ist vor allem, dass Deutsche und Franzosen wirtschaftspolitisch auf unterschiedlichen Planeten leben, dass sie sich fundamental missverstehen und daher keine konstruktiven Lösungen finden können. Die Autoren, das sind Markus Brunnermeier, Wirtschaftsprofessor in Princeton, Harold James, Historiker ebenfalls aus Princeton und derzeit bester Kenner der deutschen Wirtschaftsgeschichte, und schließlich Jean-Pierre Landau, früherer Vizepräsident der Bank von Frankreich und heute Professor an der Hochschule Sciences Po in Paris.

Dass Frankreich anders ist als Deutschland, wissen alle, was die üblichen Stereotypen erzeugt: Der Franzose wirtschaftet liederlich und will daher dem Deutschen an sein Geld. Der Deutsche dagegen ist fleißig und geizig, er weiß nicht, was Solidarität heißt. Liegen die deutsch-französischen Unterschiede also nur im natürlichen Interessengegensatz zwischen einem Bruder Vertuer und einem Bruder Sparer wie in Ludwig Bechsteins Märchen? Die Autoren warnen: "Man könnte meinen, jedes Land verfolge ausschließlich seine eigenen materiellen Interessen. Solch eine eingeschränkte Betrachtungsweise übersieht einen noch entscheidenderen Aspekt: Interessen werden durch die Brille von Ideen oder Vorstellungen interpretiert."

Der ideologische Rheingraben gehört zu Europa, seit die Römischen Verträge 1957 unterzeichnet wurden. Die Deutschen waren tendenziell meist neoliberal (wie man heute sagen würde), die Franzosen keynesianisch bis staatssozialistisch. Bedrohlich wurde der Dissens aber erst mit der Finanz- und der folgenden Euro-Krise. Jetzt bestimmte das deutsche Denken die europäische Krisenpolitik bis ins Detail, vor allem weil alle Geld von Deutschland wollten. Was nicht bedeutet, dass die deutschen Wähler mit dem Ergebnis zufrieden waren. Wolfgang Schäuble wurde als der deutsche Diktator Europas angesehen, Frankreich fühlte sich in die Ecke gedrängt. Zwischen beiden Ländern gab es keinen vernünftigen Dialog, jedenfalls nicht vor Macron.

Entscheidend für den deutsch-französischen Dissens ist die Tatsache, dass Frankreich immer zentralistisch regiert wurde, Deutschland dagegen immer föderal, vom Heiligen Römischen Reich bis zur Bundespublik Deutschland. Die Regierung eines Zentralstaats kann im Krisenfall flexibel oder auch willkürlich eingreifen, ihre Wähler erwarten das auch. Ein föderativer Staat wie die Bundesrepublik braucht dagegen klare Regeln für die Krise, sonst brechen unkontrollierbare Interessenkonflikte aus. Das ist auch die Idee hinter dem Vertrag von Maastricht, was zwingend ist, denn eine Währungsunion kann nur föderativ sein. Nur wurden die Regeln eben nicht eingehalten, weil sie nicht funktionierten. Die No-Bail-Out-Klausel (nach der die Mitglieder der Währungsunion nicht füreinander haften) stand zwar im Vertrag, die Finanzmärkte nahmen sie aber nicht ernst und behandelten deshalb griechische Anleihen genauso wie deutsche, wodurch Griechenland mit billigem Geld überschwemmt wurde und in die Krise schlitterte.

Ein Teil der Unterschiede kann sich in Krisensituationen erstaunlich schnell wandeln

In dieser Krise stießen dann deutsches und französisches Denken hart aufeinander: Hier die Forderung nach strengen Regel für die Griechen, dort das Vertrauen auf den politischen Prozess, hier die Angst, Fehlanreize zu setzen, dort die Sorge, der Spielraum der Politik könnte eingeschränkt werden. Und dann die Sache mit dem Sparen. Für die Deutschen bringt Sparen heute ("Austerität") einen Lohn in künftiger Wirtschaftsleistung, für die Franzosen ist Austerität selbstschädigend.

Am überraschendsten vielleicht ist die Erkenntnis, dass ein Teil dieser Unterschiede gar nicht so fest verwurzelt ist. Mehr noch: Sie erklären sich zum Teil dadurch, dass die Eliten auf beiden Seiten des Rheins gegensätzliche Schlüsse aus ihren historischen Traumata gezogen haben. Vor dem Zweiten Weltkrieg war Frankreich, was heute fast vergessen ist, ein Hort des Wirtschaftsliberalismus. Ausgeglichene Haushalte und stabiles Geld gehörten ebenso zur Doktrin wie Vertragstreue. Die Deutschen dagegen glaubten an die Weisheit des Staates und das "Gesetz vom steigenden Staatsanteil", das der Ökonom Adolph Wagner im 19. Jahrhundert formuliert hatte. Oder, wie der französische Ökonom François Perroux in den 1930er-Jahren ziemlich abfällig notierte: Die Deutschen wurden nicht durch das Prinzip der Vertragstreue geprägt, sondern durch den feudalen Grundsatz der Gutgläubigkeit ("Treu und Glauben").

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten sich die Verhältnisse radikal um. In Frankreich wurde es Konsens, dass die Nation ihre katastrophale Niederlage gegen Hitler 1940 auch einer rigiden Sparpolitik zu verdanken hatte, die die rechtzeitige Aufrüstung verhindert hatte. Die Antwort hieß: großzügige Staatsausgaben und Planung. Eine praktische Konsequenz war der "Monnet-Plan", mit dem der spätere europäische Gründervater Jean Monnet Frankreichs Stahlproduktion stärken wollte, um das Land gegen Deutschland zu schützen.

In Deutschland, genauer in dessen westlichem Teil, zog man genau den gegenteiligen Schluss. Der Marsch in den Abgrund begann mit unverantwortlicher Haushaltspolitik, mit Kartellen und Planwirtschaft, glaubten Ökonomen wie Walter Eucken, Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke. Diese "Ordoliberalen" forderten daher eine durch klare Regeln eingefasste Marktwirtschaft, in der Verträge gelten und es keine willkürlichen Eingriffe des Staates gibt, wie früher in Frankreich. Wobei die deutsche Linke seit vielen Jahren eher "französisch" denkt als ordoliberal.

Das Erbe Euckens und Röpkes wirkt hinein bis in die Verhandlungen um die Zukunft des Euro heute. Deshalb ist das gegenseitige Nichtverstehen heute so gefährlich. Die Autoren sehen aber auch Hoffnung. "Das Buch hat unter anderem gezeigt, dass diese Unterschiede nicht in Stein gemeißelt sind; sie währen nicht ewig und können sich insbesondere in Krisensituationen erstaunlich schnell wandeln." Kollektive können lernen, das ist die Botschaft. Notwendig dazu ist es aber, dass über die Fragen Europas nicht auf nationaler, sondern auf europäischer Ebene diskutiert wird. "Wir brauchen eine Union der ökonomischen Ideen," fordern die Autoren.

"Der Euro" ist kein einfaches Buch. Wer es liest, muss sich durch viele komplizierte Fachfragen der Geldpolitik und der Finanzmärkte durcharbeiten. Trotzdem dürfte sich das Werk als einer der wichtigsten Beiträge zur Zukunft Europas seit vielen Jahren erweisen.

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SZ vom 29.01.2018
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