Süddeutsche Zeitung

Verteidigung:Die Wiederentdeckung Amerikas

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Beim Treffen der Außenminister der Nato-Staaten zeigt sich trotz aller Kritik deutlich, dass die USA im Bündnis unersetzlich sind. Beim Gipfel in zwei Wochen wird es auch um China gehen - weil Donald Trump es so wünscht.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Diese besondere Behandlung bekommt immer nur einer der Minister. Per Handschlag begrüßt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg den Gast aus den USA und lächelt mit Mike Pompeo in die Kameras. Zwei Wochen bleiben noch, bis die Staats- und Regierungschefs der 29 Nato-Mitglieder in London zusammenkommen, und eigentlich sollten die Außenminister das Treffen vorbereiten. Die Dauerthemen Lastenteilung, also wie viel Geld und welche Fähigkeiten jedes Mitglied beisteuert, und der Umgang mit Russland werden ebenso diskutiert wie Rüstungskontrolle und Energiesicherheit. Doch die Aussage von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, wonach das Verteidigungsbündnis 70 Jahre nach der Gründung "hirntot" sei, überschatten fast alle Gespräche.

Im Vergleich zu seiner Nato-Botschafterin Kay Bailey Hutchison, die am Dienstag erklärt hatte, dass die USA in Bezug auf die Nato "ganz klar anderer Meinung als Macron" seien, gibt sich Pompeo versöhnlich. "Wir müssen dafür sorgen, dass die unglaublich erfolgreiche Nato weiter ihre Mission erfüllen kann", erklärt er und macht manchen etwas Hoffnung, dass das Londoner Treffen trotz der Teilnahme des Nato-Skeptikers Donald Trump glimpflich ablaufen könnte. Stoltenberg betont auch, dass Kanada und die Europäer bis Ende 2020 zusätzlich 100 Milliarden US-Dollar in Verteidigung investiert haben werden.

Es scheint, als hätte Macron unbeabsichtigterweise eines erreicht: Vielen Europäern wird bewusst, wie unersetzbar das US-Militär und wie wichtig das transatlantische Bündnis ist. Bei seiner Ankunft in Brüssel sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD): "Die Nato ist die Lebensversicherung Europas, und wir wollen, dass dies so bleibt." Es dürfe keine "spalterischen Tendenzen" innerhalb des Bündnisses geben. Um das "Erfolgsmodell" Nato fortzuschreiben, schlägt Maas vor, eine Expertengruppe einzusetzen. Sie soll unter Leitung Stoltenbergs Ideen erarbeiten, wie das Bündnis besser auf langfristige Herausforderungen reagieren kann. Maas hofft auf mehr strategische Debatten, eine bessere Abstimmung der US-Interessen mit jenen der Europäer und eine stärkere "politische Kohäsion" der Nato.

Während der Generalsekretär den deutschen Vorschlag bereits am Mittag "wertvoll" nannte, blieb zunächst offen, wie groß die Unterstützung sein würde. Maas teilte am Abend mit, dass ihn die konstruktive Diskussion ermutigt habe: "Wir haben mit unserem Vorschlag den richtigen Ton getroffen." Nach SZ-Informationen erhielt Berlin viel Unterstützung, die Idee wurde von niemandem abgelehnt. Dem Vernehmen nach wird Stoltenberg dafür werben, in London von den Staats- und Regierungschefs den Auftrag zur Einsetzung einer solchen Gruppe zu erhalten. Diese würde bis zum nächsten regulären Nato-Gipfel 2021 einen Bericht vorlegen. Auch Pompeo signalisierte Offenheit: Es sei wichtig, dass sich Organisationen selbst überprüften, "ob sie noch fit sind für ihre Aufgabe".

Beschlossen wurde auch, den Weltraum zur fünften operativen Domäne zu erklären: Bisher galten See, Land, Luft und Cyberspace als Einsatzgebiete der Nato. Dies würde bedeuten, dass mögliche Angriffe aus dem All als Bündnisfall behandelt werden. Die Allianz soll zu einem Forum für den Austausch von Fähigkeiten und Informationen werden - mehr aber nicht. "Die Nato hat nicht die Absicht, Waffen im Weltraum zu stationieren. Wir müssen aber garantieren, dass unsere Missionen und Operationen die passende Unterstützung haben", sagt Stoltenberg. Er weiß, wie stark die Nato von Technik im All abhängig ist. Von den 2000 Satelliten, die um die Erde kreisen, ist die Hälfte im Besitz von Nato-Staaten. Über sie läuft die Kommunikation bei Militäreinsätzen, und sie sind essenziell für Aufklärung, Spionage und Navigation. Dies birgt ein Risiko: Ein Angriff auf Satelliten der Nato-Staaten würde ihre Verteidigungsfähigkeit erheblich einschränken.

Die Außenminister stimmten überein, sich intensiver mit China zu befassen. Peking verfügt bereits über das zweitgrößte Militärbudget der Welt und besitzt Waffen, um Satelliten zu zerstören. Stoltenberg betont seit einiger Zeit, dass China 80 neue Schiffe und U-Boote seit 2014 angeschafft habe, was dem Bestand der britischen Navy entspricht. "Niemand will die Nato ins Südchinesische Meer schicken", versichert er und weist darauf hin, dass China viel in Europa investiere und auch in der Arktis, in Afrika oder im Cyberspace aktiv werde. Dass in der Nato künftig mehr über China geredet wird, gilt als ausgemacht, weil Washington es will. "Dieses Bündnis wurde gegründet, um die Amerikaner in Europa zu halten, also folgen wir", sagt ein Diplomat.

Für Stoltenberg gehen die Vorbereitungen für den Mini-Gipfel in London weiter: In der nächsten Woche wird er sich in Paris mit Präsident Macron beraten.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2019
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