Süddeutsche Zeitung

US-Wahlkampf:Überholmanöver auf der Ölspur

Lesezeit: 2 min

McCain nutzt die Angst der Amerikaner vor Energieknappheit: Er fordert Bohrinseln vor der Küste und kann prompt gegen Obama punkten.

Christian Wernicke

Die Karikatur ist nur ein paar Tage alt. Mike Luckovich, dessen bissige Cartoons mehr als 150 US-Zeitungen abdrucken, hat die imaginäre Szene mit spitzem Bleistift aufgespießt. Ein recht verdattert dreinschauender Herr sitzt hinter einem Pult mit Mikrophon, das Schild an der Wand identifiziert den pausbäckigen Tropf als Präsidentschaftskandidaten von Amerikas Republikanern: "McCains Pressekonferenz kritisiert Medien wegen Berichterstattung über Obama", steht da. McCain blickt in den Saal, wo vier Reihen billiger Klappstühle stehen - alle leer. Kein Journalist ist gekommen, sein Lamento zu hören.

Das Empfinden, Amerikas Presse laufe allein dem demokratischen Konkurrenten hinterher, gehört längst zum Grundgefühl im Camp McCain. Am schlimmsten war es vorige Woche, da Barack Obama mit seiner Nahost- und Europareise den konservativen Senator medial völlig ausblendete. McCain fiel schlicht aus.

Wahlkampf wird rauer

Das wurmt den Vietnam- und Polit-Veteranen, das macht ihn hässlich. Erst unterstellte er seinem Gegner, lieber populistisch den Krieg im Irak als daheim eine Wahl verlieren zu wollen.

Und seit ein paar Tagen wettert McCain in teuren TV-Spots, Obama habe Amerikas leidende Truppen im Stich gelassen, weil er - nach einer organisatorischen Panne - einen geplanten Besuch im US-Militärhospital in Landstuhl abgesagt hatte.

Einer seiner Sprecher durfte (von McCain ungestraft) sogar die jubelnden Obama-Fans zu Berlin als "Scharen kriecherischer Deutscher" schmähen. Der Wahlkampf wird rauer. Selbst mancher Parteifreund rät seinem seit jeher zum Jähzorn neigenden Kandidaten, er möge doch "lieber positive Botschaft verkünden".

Genau das ist McCain nun gelungen. Zu Wochenbeginn, exakt hundert Tage vor dem Wahltag, erregte eine Gallup-Umfrage unter wahrscheinlichen US-Wählern Aufsehen, die den Republikaner vier Prozentpunkte vor dem Demokraten sieht.

Es war der erste (und bislang einsame) demoskopische Erfolg für McCain seit Anfang Mai: 49 zu 45. Die anerkannt seriöse Website realclearpolitics errechnet für Obama im statistischen Mittel zwar noch immer einen Vorsprung von 3,2 Punkten. Aber das ist kaum mehr als die Fehlermarge.

Der Republikaner bleibt also im Rennen - trotz Obamas rauschhafter Inszenierungen, trotz McCains meist recht hölzern wirkender Auftritte. Und trotz seines Alters. Am Montag schürten die Ärzte erneut Bedenken über die Gesundheit des 71-Jährigen, als sie ihm einen verdächtigen Fleck auf der rechten Wange entfernen mussten: Der Routineeingriff erinnerte das Volk daran, dass McCain bereits mehrmals an Hautkrebs erkrankt war. Der Lazarus der Grand Old Party nahm's gelassen und riet seinem Publikum bei einer Wahlveranstaltung in kalifornischer Hitze altväterlich, im Sommer "nur ja immer Sonnencreme zu benutzen".

Zapfsäulen als Geheimwaffe

Eigentlich war McCain in die Wüste Kaliforniens gereist, um vor der Kulisse einer angerosteten Ölpumpe sein neues Trumpfthema auszureizen: die Energiepolitik. Mitte Juni hatte der Senator sich spektakulär selbst revidiert und gefordert, Amerika solle trotz umweltpolitischer Bedenken die Ölreserven vor seinen Küsten erschließen.

Demoskopen glauben, diese Initiative sei - neben McCains Nimbus als Kriegsheld - das Geheimnis für sein politisches Überleben. Denn die hohen Preise an den Zapfsäulen gelten US-Wählern inzwischen als Beschwernis Nummer eins, mehr als die Immobilienkrise, mehr als der Irak-Krieg.

Mehr als zwei Drittel aller Amerikaner befürworten nun Bohrinseln vor Floridas und Kaliforniens Küsten. Und jüngste Umfragen verheißen McCain, der Streit um die täglichen Kosten des Benzins könne die Wahl in mindestens vier umkämpften Swing-States (Michigan, Colorado, Wisconsin und Minnesota) entscheiden. Das würde vielleicht reichen für einen republikanischen Sieg.

Obama und die Demokraten wenden ein, neue Offshore-Bohrungen würden frühestens in fünf Jahren den Markt entlasten. Zudem reichten die auf 17,8 Milliarden Barrel geschätzten US-Reserven in den bislang per Gesetz gesperrten Zonen kaum, um den Ölpreis nachhaltig zu drücken. Im Kongress blockieren die Demokraten bisher eine Abstimmung über den von McCain und Präsident George W.Bush gemeinsam unternommenen Vorstoß - vor allem aus Angst, die Rechte könne ihnen und den Wählern im Herbst ein klares "Nein" zu mehr US-Öl vorhalten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.584823
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.07.2008/hai
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.