Süddeutsche Zeitung

US-Wahl:Verfahren aus dem Postkutschen-Zeitalter

Lesezeit: 4 min

Wann wird nach der Präsidentenwahl in den USA das Ergebnis feststehen? Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten.

Von Reymer Klüver

Nichts scheint bei dieser Präsidentenwahl so zu sein wie bei früheren Wahlen. Die entgleiste Kandidatendebatte im Fernsehen, die offenen Versuche der Einschüchterung potenzieller demokratischer Wähler durch Parteigänger des Präsidenten, die Blockadeaktionen vom Wochenende, die Sorge, dass die Abstimmung selbst aus dem Ruder laufen könnte. Was ist von den kommenden Tagen und Wochen zu erwarten, wenn alles in halbwegs geordneten Bahnen verläuft?

Wann kann man mit einem Ergebnis rechnen?

Am Wahlabend, oder? Spätestens am Morgen danach, wenn auch im fernen Hawaii im Westen die letzten Stimmen ausgezählt sind? Nicht so schnell. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Auszählung in den einzelnen Bundesstaaten länger als sonst üblich dauern wird. Bei Barack Obama 2008 stand das Resultat noch am Abend fest, Donald Trumps Sieg acht Jahre später war in den frühen Morgenstunden klar. Nach dem wochenlangen Geraune Trumps über möglichen Wahlbetrug durch Briefwahl und Ungereimtheiten bei der Auszählung dürfte überall noch sorgfältiger hingeschaut werden. Allein das wird die Sache verlängern.

In immerhin 32 Staaten hat die Stimmauszählung bereits abgegebener oder per Briefwahl eingeschickter Wahlzettel zwar schon vor einer Woche oder früher begonnen. Das ist aber eben nicht in allen Bundesstaaten möglich, die sich jeweils eigene Wahlgesetze gegeben haben. Gerade in einigen der entscheidenden Swing States wie Pennsylvania oder Wisconsin darf die Stimmauszählung erst nach Schließung der Wahllokale beginnen. Und dann sind da noch die Besonderheiten der Briefwahl. Die könnten, wenn es dumm läuft, dazu führen, dass der Sieger vielleicht erst nach Tagen feststeht.

Bis wann müssen Briefwahlzettel abgegeben sein?

Auch darauf gibt es keine einheitliche Antwort, weil jeder Bundesstaat seine eigenen Regeln hat. In fast der Hälfte der 50 Bundesstaaten werden Wahlzettel gezählt, deren Briefumschlag spätestens am Wahltag, am 3. November, abgestempelt ist, aber noch nicht bei den Behörden angekommen ist. In Texas muss das am Tag danach sein, in Kalifornien sogar erst nach gut zwei Wochen. Relevant könnte das wiederum in Swing States sein: In Pennsylvania werden solche Zettel noch bis drei Tage nach der Wahl akzeptiert, also bis Freitag, in North Carolina bis zum 12. November und in Ohio sogar noch einen Tag länger. In Ohio muss der Brief aber spätestens am Tag vor der Wahl abgestempelt worden sein. Je knapper die Wahl dort ausfällt, desto wichtiger können diese Stimmen werden.

Warum ist der Anteil der Briefwähler diesmal so hoch?

Klar, die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass enorm viele Amerikaner per Brief oder vorab (wenn das in ihrem Bundesstaat möglich ist) in den Wahllokalen abgestimmt haben, um die Schlangen am 3. November zu vermeiden. Bis zum Montag waren es 95 Millionen, das sind mehr als zwei Drittel der Stimmen, die vor vier Jahren insgesamt abgegeben wurden, per Brief oder persönlich am Wahltag. Weitere 31 Millionen Amerikaner haben Briefwahlunterlagen angefordert, aber noch nicht zurückgeschickt. Und weil in früheren Wahlen eher Anhänger der Demokraten zur Briefwahl neigten, während sich Parteigänger der Republikaner bevorzugt am Wahltag anstellten, schwant den Republikanern nichts Gutes angesichts des hohen Anteils der Briefwähler. Auch deshalb wettert Trump so dagegen. Tatsächlich sind 45 Prozent der Wähler, die diesmal schon ihre Stimmen abgegeben haben, als Demokraten in den Wählerverzeichnissen registriert.

Wird die Wahlbeteiligung überhaupt höher liegen?

Die Schlangen vor den Wahllokalen, die hohe Zahl der Briefwähler - alles das deutet klar darauf hin, dass die Mobilisierung der Wähler diesmal enorm hoch sein wird. Vor vier Jahren hatten 139 Millionen Amerikaner oder 55,7 Prozent der Berechtigten bei der Präsidentenwahl abgestimmt. Schon im Sommer prophezeiten Forscher diesmal 156 Millionen abgegebene Stimmen. Der Politikwissenschaftler Michael McDonald von der University of Florida sagt sogar einen Anstieg der Beteiligung auf 66 Prozent voraus. Das wäre Rekord. Bei der Wahl Obamas 2008 hatten mehr als 61 Prozent abgestimmt.

Wer wählt eigentlich den Präsidenten?

Die Antwort ist doch klar: das amerikanische Volk. Sollte man meinen. Aber das Wahlsystem der Vereinigten Staaten stammt aus dem 18. Jahrhundert, als man mit der Weisheit des Volkes wohl erst noch Erfahrungen sammeln musste und lieber eine Instanz zwischen den Bürger und das Staatsoberhaupt schaltete. Denn tatsächlich wird jeder US-Präsident streng genommen lediglich von einem kleinen Gremium von zuletzt gut 500 Frauen und Männern gewählt, dem Electoral College. Bei der Abstimmung an diesem Dienstag befinden die Wähler eigentlich nur über die Besetzung dieses Gremiums in ihrem jeweiligen Bundesstaat.

Wie setzt sich das entscheidende Electoral College zusammen?

Jeder Bundesstaat entsendet so viele Vertreter in das Gremium, wie er Abgeordnete im Repräsentantenhaus und Senatoren hat (dazu kommen noch Vertreter des District of Columbia, also der Hauptstadt Washington, der nicht den Status eines Bundesstaats hat). Zusammen sind es 538 Wahlleute. Sie geben für den Kandidaten die Stimme ab, der in ihrem Bundesstaat die Mehrheit errungen hat. Deshalb ist entscheidend, wer im Electoral College die Mehrheit hat. Hillary Clinton hatte 2016 fast drei Millionen Stimmen mehr als Trump bekommen, war aber dennoch unterlegen, weil sie in wichtigen Bundesstaaten die Mehrheit knapp verfehlt hatte.

Wer stellt das Ergebnis fest?

Das ist in der Verfassung genau geregelt. Bis zum 8. Dezember haben die Bundesstaaten Zeit, ihr Wahlergebnis offiziell zu zertifizieren. Solange läuft mindestens die Frist, in der das Resultat vor Gericht angefochten werden kann. Das Electoral College tritt nie als Gremium zusammen. Nur die Wahlleute in den einzelnen Bundesstaaten treffen sich und stimmen ab. Das muss am Montag nach dem zweiten Mittwoch im Dezember geschehen, diesmal am 14. Dezember. Offiziell müssen die Bundesstaaten das Ergebnis ihrer Wahlleute bis zum vierten Mittwoch im Dezember (also dem 23.) dem Vizepräsidenten übermitteln - eine Frist, die ebenfalls noch aus dem Postkutschen-Zeitalter stammt. Der Vizepräsident nimmt die Wahlzettel der einzelnen Bundesstaaten nur entgegen. Offiziell zählt der neue Kongress, der sich am 3. Januar konstituiert, drei Tage später in einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus die Stimmen der Wahlleute aus. Erst damit ist der neue Präsident verfassungsgemäß gewählt. Der Vizepräsident gibt das Ergebnis bekannt.

Wann vollzieht sich ein Machtwechsel?

Das legt ein Verfassungszusatz fest: Seit 1937 ist der Tag der Amtsübergabe der 20. Januar. Um 12 Uhr mittags wird der Präsident traditionellerweise in einer öffentlichen Zeremonie vor dem US-Kapitol in Washington vom Obersten Richter des Landes eingeschworen. Die Eidformel ist ebenfalls per Verfassung geregelt: "Ich schwöre feierlich, dass ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten treulich ausführen und die Verfassung der Vereinigten Staaten nach bestem Wissen und Gewissen bewahren, beschützen und verteidigen werde."

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