Süddeutsche Zeitung

US-Wahl:Kampf der Stellvertreter

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Nach der Corona-Infektion von Präsident Trump gewinnt das anstehende TV-Duell der Vize-Kandidaten Pence und Harris an Brisanz. Sie müssen jetzt zeigen, dass sie im Fall der Fälle übernehmen und die USA führen könnten.

Von Alan Cassidy, Washington

In einem anderen Jahr, unter anderen Umständen, wäre das Treffen zwischen Mike Pence und Kamala Harris ein Duell der B-Liga. Eine Randnotiz in einem langen Wahlkampf um das Weiße Haus. Ein Ereignis, das nach der Einschätzung aller politischen Kommentatoren noch nie eine Wahl entschieden hat. Nun aber, inmitten der Corona-Krise, hat die TV-Debatte zwischen den beiden Kandidaten für die Vizepräsidentschaft eine neue Bedeutung erhalten. Donald Trump, 74, ist bereits an Covid-19 erkrankt, und auch wenn der US-Präsident inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bleiben viele Fragen nach seiner Gesundheit offen. Trumps demokratischer Herausforderer Joe Biden, 77, hat sich zwar bisher nicht mit dem Virus angesteckt. Aber falls es doch noch passiert? Dann sieht plötzlich alles anders aus.

Wenn also Mike Pence und Kamala Harris am Mittwochabend in Salt Lake City auf die Bühne treten, wird bei vielen Zuschauern zu Hause der Gedanken mitschwingen: Einer dieser beiden Politiker könnte der nächste Präsident sein - und das womöglich schon früher als gedacht. Zwischen Pence und Harris wird eine Plexiglaswand stehen. Der Abstand zwischen den Rednerpulten wurde verdoppelt. Und die Pandemie dürfte auch den Inhalt der Debatte prägen.

Die meisten Amerikaner wissen mehr über Pence als über Harris. Sie kennen den amtierenden Vizepräsidenten als bis an die Schmerzgrenze loyalen Fürsprecher Trumps, der im Wahlkampf viel unterwegs ist. Pence versprüht kein Charisma, aber in konservativen Kreisen ist er beliebt, weil er Trumps Weißem Haus wenigstens "eine dünne Kruste an Establishment-Respektabilität" verleihe, wie die Zeitung Guardian jüngst kommentierte. In Washington gilt als ausgemacht, dass Pence 2024 selbst für die Präsidentschaft antreten wird.

Harris war dagegen seit dem Parteitag der Demokraten Mitte August, bei dem sie zur ersten schwarzen Vize-Kandidatin der Geschichte erkoren wurde, in der Öffentlichkeit wenig präsent. Die Wahlkampfauftritte der Senatorin beschränkten sich zumeist auf virtuelle Schaltungen mit Anhängern sowie auf coronakonforme Besuche kleinerer Veranstaltungen, bei denen selbst die Zahl der berichtenden Journalisten stark beschränkt ist. Viele dieser Auftritte richteten sich an Afroamerikaner und Latinos, jene Wähler also, von denen sich Bidens Wahlkampfteam erhofft, dass Harris sie an die Urne bringen kann. In den Medien fanden diese Auftritte allerdings kaum statt - und wenn, dann beschränkten sie sich auf Kommentare über Harris' Chucks-Turnschuhe.

Umso größer sind deshalb nun die Hoffnungen, welche die Demokraten auf das TV-Duell der Vize-Kandidaten setzen. Es gibt der Partei die Möglichkeit, ein anderes, frischeres Bild zu zeigen, als es Biden bei seinen Auftritten jeweils abgibt. Und es gibt ihr auch die Möglichkeit, den Wählern zu signalisieren: Seht her, da wäre jemand, der das Land regieren könnte, falls Biden etwas zustoßen sollte.

Harris gilt als rhetorisch geschickt. Sie war lange Jahre Staatsanwältin, im Senat machte sie sich einen Namen mit bohrenden Befragungen von Vertretern der Trump-Regierung. Der eher roboterhafte Pence werde es dagegen schwer haben, glauben viele Demokraten - besonders, wenn Harris die Debatte auf dessen Rolle in der Regierung lenke. Pence ist der Leiter der Corona-Taskforce im Weißen Haus. Er trägt damit eine Mitverantwortung für den Umgang der Administration mit der Pandemie, den eine Mehrheit der Amerikaner als gescheitert ansieht.

Allerdings ist Pence inzwischen nicht nur sehr geübt darin, alle möglichen Angriffe auf Trump und seine Regierung abzuwehren. Der frühere Radio-Moderator weiß auch selbst recht gut, wie er eine Pointe landen kann. Pence werde bedächtig und glatt daherkommen, sagte ein demokratischer Berater dem Webmagazin Politico: "Aber aus seinem Mund werden wilde Trumpismen kommen."

Was TV-Debatten angeht, hat Kamala Harris zuletzt mehr Erfahrungen gesammelt als Pence. Den besten Moment ihrer eigenen Kandidatur für die demokratische Präsidentschaft hatte sie, als sie vergangenes Jahr einen ihrer Parteikollegen auf der Bühne in den Senkel stellte. Bei diesem Parteikollegen handelte es sich ausgerechnet um Joe Biden. Er wird hoffen, dass ihr mit Pence etwas Ähnliches gelingt.

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SZ vom 07.10.2020
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