Süddeutsche Zeitung

Urteil:Bayerische Justiz erlaubt Kopftuch auf der Richterbank

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Das Augsburger Verwaltungsgericht gibt einer muslimischen Rechtsreferendarin recht. Die Staatsregierung will das nicht auf sich sitzen lassen - und geht in Berufung.

Von Stefan Mayr, Augsburg

Muslimische Rechtsreferendarinnen dürfen künftig bei öffentlichen Auftritten in bayerischen Gerichten ein Kopftuch tragen. Dies hat am Donnerstag das Verwaltungsgericht Augsburg entschieden. Es gab damit einer Jurastudentin recht, die nach ihrem ersten Staatsexamen gegen das seit 2008 im Freistaat geltende Kopftuchverbot geklagt hatte.

Aqilah Sandhu, 25, studiert in ihrer Heimatstadt Augsburg Jura. Nach Bestehen des zweiten Staatsexamens könnte sie als Richterin, Staatsanwältin oder Rechtsanwältin tätig werden. Ihr Vater ist Pakistaner, ihre Mutter Deutsche. In ihrem Studien-Jahrgang gehört Sandhu zu den Besten. Dennoch durfte sie im Vorbereitungsdienst - im Gegensatz zu ihren Mitstudenten - bei Gerichtsverfahren weder auf der Richterbank Platz nehmen noch als Vertreterin der Staatsanwaltschaft Plädoyers halten. Dies hatte ihr das Oberlandesgericht München verboten, solange sie ihr Kopftuch nicht ablegt. Das wollte sie aus Glaubensgründen nicht tun, stattdessen verfolgte sie die Prozesse nur von einem Zuhörerplatz.

Das OLG begründete sein Verbot mit einer Dienstanweisung des bayerischen Justizministeriums aus dem Jahr 2008. Diese Weisung zerrissen die Augsburger Richter in der Luft: Sie sei "bereits mangels ausreichender Rechtsgrundlage nicht rechtmäßig". Es gebe kein Gesetz, das Rechtsreferendaren oder Berufsrichterinnen ein Kopftuch verbietet. Aqilah Sandhu steckt zwar noch in ihrem Studium, dennoch hat sie schon jetzt die bayerische Justiz in Verlegenheit gebracht. Die Reaktion des Justizministers Winfried Bausback ließ nicht lange auf sich warten, er kündigte sogleich Berufung an: "Wir können das Ergebnis so nicht stehen lassen." Vor Gericht müsse jeder Verfahrensbeteiligte "auf die Unabhängigkeit, die Neutralität und erkennbare Distanz der Richter und Staatsanwälte vertrauen können". Dieses Vertrauen dürfe durch das äußere Erscheinungsbild nicht erschüttert werden.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck sieht das anders. "Entscheidend ist nicht, was jemand auf dem Kopf trägt, sondern was man im Kopf hat", sagte er. Die Klägerin bezeichnete das Urteil als "Bestätigung für unseren Rechtsstaat" - und auch als "Bestätigung für mich, dass mir Unrecht geschehen ist". Weil sie sich diskriminiert fühlt, hat Aqilah Sandhu gegen den Freistaat auch eine Klage auf 2000 Euro Schmerzensgeld eingereicht. Dieses Verfahren ist allerdings noch nicht entschieden.

Zum Urteil vom Donnerstag ließ das Verwaltungsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung eine Berufung zu. Bei Grundrechten wie der Religionsfreiheit sei nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ein Parlamentsgesetz erforderlich, um einen solchen Eingriff rechtfertigen zu können. Das Augsburger Urteil berührt die Frage nach dem Verhältnis zwischen Staat und Religion. In nächster Instanz muss nun der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München entscheiden. (Aktenzeichen: Au 2 K 15.457).

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SZ vom 01.07.2016
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