Süddeutsche Zeitung

Unwetter:Eisbombe

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Warum sich die Amerikaner so sehr vor einem Blizzard fürchten.

Von Claus Hulverscheidt

Der Abend, an dem Angela Merkel in Washington hätte einschweben sollen, war ein wahrlich zauberhafter. Tagsüber hatte die Sonne von einem stahlblauen Himmel geschienen, und dann, zwei Stunden vor Mitternacht, legten tanzende Schneeflocken einen dünnen weißen Flaum auf die Bäume und Parks. Eine romantische Reminiszenz an den zu Ende gehenden Winter, die zu einem Besuch der US-Hauptstadt geradezu einzuladen schien. Doch Merkel kam bekanntlich nicht: Ihr Flug war wegen des nahenden Schneesturms Stella und auf Rat von Präsident Donald Trump abgesagt worden. Am Freitag soll der nächste Versuch starten.

Angesichts der Vorgeschichte verwundert es nicht, dass die zunächst gescheiterte Reise Spekulationen und Witzchen provozierte. Trump habe öffentliche Demokratiebelehrungen der Kanzlerin befürchtet, mutmaßten die einen, während andere argwöhnten, der Herrgott habe Merkel das Treffen schlicht ersparen wollen. Am Schnee allein jedenfalls, da waren sich Hobby-Meteorologen dies- wie jenseits des Atlantiks sicher, konnte es nicht gelegen haben, denn man weiß ja, dass die Amerikaner mit ihren Unwetterwarnungen immer maßlos übertreiben. Oder?

Tatsächlich wirkt es stets ein wenig martialisch, wenn etwa New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio die Bürger im Vorfeld eines Schneesturms im grünen Amtsanorak und mit ernster Miene mahnt, "im Warmen" zu bleiben. Fakt ist aber auch, dass Schneestürme amerikanischer Couleur mit deutschen Wintereinbrüchen oft wenig gemein haben. Das gilt vor allem für die Rasanz, mit der Blizzards steinerne Metropolen in solche aus Schnee und Eis verwandeln. Beim großen Sturm von 2016 fielen in New York in 24 Stunden gut 70 Zentimeter Schnee - da käme auch manch deutsche Stadtverwaltung an ihre Grenzen. Am Dienstag waren 2200 Pflüge im Einsatz, um das 10 000 Kilometer lange Straßennetz der Stadt zu räumen.

Hinzu kommen die heftigen Sturmböen, die die "Nor'easters" genannten Stürme begleiten und den Flug- und Bahnverkehr massiv gefährden. Vor allem aber kollidieren die Wetterextreme in den USA mit einer völlig anderen Infrastruktur als in Deutschland. Die Wegstrecken, die geräumt werden müssen, sind gewaltig. Das Schienennetz ist alt und störungsanfällig. Und schlimmer noch: Die Stromleitungen liegen vielerorts nicht unter der Erde, sondern baumeln immer noch an Holzmasten. Knickt nur ein einziger dieser Masten um, müssen oft ganze Ortschaften oder Straßenzüge für Stunden, ja Tage, ohne Heizung, Kühlschrank und Licht auskommen. Auch weil die Behörden in früheren Jahren oft viel zu lange zögerten, werden Schulen, Behörden, Straßen, Flughäfen und Bahnlinien heute lieber zu früh als zu spät geschlossen.

Während es in New York am Dienstagvormittag tatsächlich heftig schneite, hatte sich das Wetter in Washington nach nicht einmal zehn Zentimetern Schneefall schon wieder beruhigt. Zwar boten viele Behörden ihren Mitarbeitern an, einen freien Tag zu nehmen, Präsident Trump aber saß wohl an seinem Schreibtisch. Womöglich nutzte er die Zeit, um sich noch intensiver auf den Besuch der Kanzlerin vorzubereiten. Für Freitag sind Sonne, Regenschauer und acht Grad Celsius vorhergesagt.

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Quelle:
SZ vom 15.03.2017
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