Süddeutsche Zeitung

Umweltzerstörung:Europas Brandspur

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Regenwälder müssen immer wieder Palmöl-Plantagen weichen. Nun will die EU den Biokraftstoff für Autos verbieten. Aber das ist nur ein erster Schritt, denn das Öl steckt auch in vielen anderen Produkten.

Von Michael Bauchmüller

Es ist der Stoff, vom dem keiner etwas ahnt - obwohl er nahezu überall ist. Palmöl findet sich in Duschgel, Zahnpasta, Seife. In Margarine, Chips, Schokolade, selbst in Hautcreme. Als Beimischung im Diesel. Indirekt in Schweinefleisch, über das Futter. Fast jedes zweite Konsumprodukt, so schätzen Experten, enthält auf die eine oder andere Art Palmöl. Und das Geschäft boomt. Nicht nur die Weltbevölkerung wächst, sondern auch die globale Mittelschicht. Mit dem Wohlstand wächst weltweit das Verlangen nach Fertigprodukten, nach industriell hergestellter Nahrung. Auch in der Landwirtschaft: Es wird mehr Fleisch gegessen, das erfordert eine intensivere Landwirtschaft, mit mehr industriellem Futter. Und mit mehr Palmöl. Der Stoff ist wie ein Spiegel des westlichen Lebensmodells und seiner Grenzen. Denn die Nachfrage wächst - doch der Planet wächst nicht mit.

Eigentlich hat die Palme große Vorteile: Sie produziert viel Öl auf wenig Platz

Was das bedeutet, lässt sich anhand von Satellitenfotos und per Infrarotstrahlung ermessen. "Es gibt eine Reihe von technologischen Durchbrüchen, mit denen wir die Wälder überwachen können wie nie zuvor", sagt Bagus Kusuma, Regenwald-Aktivist bei Greenpeace in Indonesien. "Aber sie werden immer noch gefällt." Oft stünden dahinter Firmen, die den Weltmarkt bedienen. Amerikanische Forscher der Duke-Universität in North Carolina verglichen aktuelle Bilder mit denen von 1989. Ergebnis: Auf 45 Prozent der untersuchten Plantagenflächen in Südostasien standen Ende der 1980er-Jahre noch Wälder.

Neu ist das Phänomen nicht, aber die Debatte darüber kommt jetzt in Gang. Das Europäische Parlament verlangte Mitte Januar, bis 2021 kein Palmöl mehr zuzulassen in den staatlich begünstigten Biokraftstoffen - aus Sorge um die Umwelt. "Es wird Zeit, dass das Palmöl aus dem Tank verschwindet", sagt der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. "Es hat die ganze Debatte um Biokraftstoffe völlig vergiftet." Bis Juni soll ein entsprechendes Gesetz verabschiedet sein. Dabei galt der Stoff aus Fernost vor gar nicht langer Zeit mal als willkommener Helfer im Kampf gegen die Erderwärmung: Öl vom Acker statt aus der Erde, das war die Idee. Der Autoindustrie half die Beimischung zum Diesel, ihre Klimaziele zu erreichen. Die EU selbst verlangte einen Öko-Anteil im Verkehr von zehn Prozent bis 2020 - um die Abhängigkeit von Erdöl zu schmälern. Weil die Palme relativ wenig Fläche verbraucht, um einen Liter Öl zu erzeugen, ist ihre Klimabilanz besser als etwa beim heimischen Raps. Vorausgesetzt freilich, den Plantagen fallen nicht Regenwälder oder Torfgebiete zum Opfer.

Die Europäer ersannen deshalb eigene Gesetze, um den Raubbau fürs Auto zu verhindern. Eine Richtlinie der EU verlangt für jedes Fass Biodiesel eine Zertifizierung. Sie soll nachweisen, dass dafür nirgends Wald abgeholzt wurde. Eine gute Idee, eigentlich. Doch in Indonesien werden ohnehin nur fünf bis zehn Prozent der Anbaufläche für Biokraftstoffe verwendet. "Nur den Energieanteil zu zertifizieren macht sicher keinen Sinn", sagt Jan Seven, der sich beim Umweltbundesamt mit den Biokraftstoffen befasst. "Letztlich werden die zertifizierten Mengen auf den unproblematischen Flächen gewonnen. Beim großen Rest sieht das anders aus." Im Klartext: Europa fährt mit besserem Palmöl. Das schmutzige kaufen andere. Und während die Europäer nun auf Palmöl im Tank verzichten wollen, prognostizieren Marktforscher bis 2021 sieben Prozent Wachstum bei der globalen Palmöl-Nachfrage. Und zwar Jahr für Jahr. "Unsere Wälder", sagt Greenpeace-Mann Kusuma, "lösen sich in Rauch auf."

"Unsere Wälder lösen sich in Rauch auf": Die Arbeit auf einer Palmölplantage - hier auf Sumatra - ist anstrengend.

Immer wieder wird die Anbaufläche erweitert, etwa durch Brandrodung.

Die heimischen Orang-Utans werden vertrieben oder fortgebracht.

So lassen sich noch mehr Früchte ernten.

Nicht mal vor Nationalparks macht der Boom halt. Im Park Tesso Nilo auf der indonesischen Insel Sumatra etwa wiederholt sich für Dutzende Elefanten gerade das Schicksal. Sie waren einst gezielt angesiedelt worden, weil ihr angestammter Lebensraum Palmöl-Plantagen zum Opfer gefallen war. Nun werden auch dort Wälder zu Plantagen. Wie überall sind die Regenwälder nicht nur wichtige Kohlenstoff-Speicher, sondern auch Heimat seltener Arten. Allein Tesso Nilo kommt auf 4000 verschiedene Pflanzen, beheimatet Tiger und Elefanten. Bei der jüngsten Zählung von Orang-Utans auf Sumatra und Borneo stießen die Experten des indonesischen Umweltministeriums noch auf 13 bis 47 Tiere je 100 Quadratkilometer. Bei der Erhebung davor, 2004, waren es noch 45 bis 76 Orang-Utans. Ihre Heimat verschwindet.

Für das Palmöl in Speisen und Kosmetika, in Futter- und Chemieindustrie gibt es in Europa - anders als bei Biodiesel - keine Vorschriften. Stattdessen hat sich ein "Runder Tisch für nachhaltiges Palmöl" gegründet, er stellte Standards für den Rohstoff auf. Verletzt ein Unternehmen die Standards, kommt es an den Pranger. "Wenn wir etwas bewegen können, dann nur über solchen Druck", sagt Ilka Petersen, Expertin für nachwachsende Rohstoffe bei der Umweltstiftung WWF. Natürlich sei das ein Tropfen auf den heißen Stein. "Aber ein wichtiger Tropfen." Denn die Kunden in den reichen Industriestaaten könnten am ehesten Marktmacht ausüben.

In Deutschland haben sich mittlerweile einige der größten Einzelhändler dem "Forum Nachhaltiges Palmöl" angeschlossen, darunter auch Rewe und Edeka. Die Süßwarenhersteller Ferrero und Bahlsen sind dabei und sogar ein Kerzenhersteller - auch Kerzen enthalten erkleckliche Mengen Palmöl. Doch vielen anderen ist das alles zu lästig. Als der WWF kürzlich in Erfahrung bringen wollte, wie viele Unternehmen auf die Verarbeitung von zertifiziertem Palmöl umgestellt haben, blieb fast die Hälfte der Unternehmen die Antwort schuldig, darunter alle Hersteller von Futtermitteln für die Landwirtschaft. Dort landen immerhin acht Prozent der deutschen Palmöl-Importe. Viele Firmen wähnten sich in der Sicherheit, "mit Passivität und Intransparenz davonzukommen", schloss daraus der WWF. Weil Kunden hier keinen direkten Druck ausüben könnten, sei die Politik gefragt. Die Bundesregierung müsse sich für strikte EU-Vorgaben auch jenseits der Biokraftstoffe einsetzen.

Könnte man dann nicht ganz auf Palmöl verzichten? Theoretisch ginge das, es gibt ja auch noch andere Pflanzenöle. Rapsöl etwa, oder Kokosöl. Das Problem: Die Pflanzen sind nicht annähernd so ergiebig wie die Palme. Es braucht also größere Flächen für den gleichen Ertrag. Auch hat das Palmöl Eigenschaften, die nicht jedes andere Öl bieten kann. Am ehesten käme dafür Kokosöl infrage. Weil das aber ebenfalls in den Tropen angebaut würde, wäre das Umweltproblem ganz ähnlich. Es wäre sogar eher noch größer. "Es gibt keine einfachen Antworten beim Palmöl", sagt Peter Hawighorst, der sich bei der Kölner Nachhaltigkeitsfirma Meo Carbon Solutions mit dem Rohstoff beschäftigt. "Weltweit hält sicher der geringere Anteil die Standards ein. Aber irgendwo muss es beginnen." Die Nachfrage in Industrieländern sei da sicher ein wichtiger Treiber.

Wachsende Nachfrage führt überall dazu, dass Natur zu Acker wird

Allerdings sind die Europäer nur ein Teil des Problems - und folglich auch der Lösung. Das meiste Palmöl bleibt in Asien und wird etwa nach China verkauft. Doch einiges davon landet später als importiertes Fertigprodukt in Europa. Ob zertifiziert oder nicht, lässt sich dann häufig nicht mehr feststellen. Mehr noch: Durch die zunehmende Nutzung von Palmöl als Kraftstoff ist eine direkte Verbindung zwischen zwei Märkten entstanden, die eigentlich nicht zusammengehören. Steigen die Rohöl-Preise, wird auch Biodiesel aus dem Regenwald attraktiver. Dann wird die Nachfrage nach Flächen weiter zunehmen, also noch mehr Regenwald Plantagen weichen.

Am Ende steht ein Phänomen, das sich weltweit bei den unterschiedlichsten Rohstoffen verfolgen lässt. Die Nachfrage der industrialisierten Welt nimmt das Land der Armen in Beschlag. Was Palmöl in Indonesien und Malaysia ist, das sind die Kaffee- oder Kakaoplantagen in Ostafrika und die Viehweiden in Südamerika. Durch den globalen Markt können Deutsche und Europäer viele der Umweltschäden, die sie verursachen, längst nicht mehr sehen. Sie passieren irgendwo am anderen Ende der Welt. Wachsende Nachfrage führt überall dazu, dass Natur zu Acker wird. Und wenn die Äcker nicht mehr reichen, muss zur Not der Nationalpark weichen. "Das Problem lässt sich nur lindern, wenn wir bewusster konsumieren", sagt WWF-Expertin Petersen. Kunden müssten erfahren, wo Rohstoffe wie Palmöl gewonnen werden - und entsprechend kaufen. "Das geht nur mit einer klaren Kennzeichnung." Auf Biodiesel aus Palmöl aber müsse Europa verzichten.

Andernfalls fällt Baum um Baum. In Indonesien ist nach Greenpeace-Recherchen sogar der kommerzielle Ableger einer Bundesbehörde an der Zerstörung beteiligt. Seit September soll die "Felda Global Ventures" 270 Hektar Wald gerodet haben, um Palmöl anzubauen. Es gibt aber auch Geschichten wie die von der IOI-Gruppe, noch so einem Palmöl-Giganten. Sie hatte sich zertifizieren lassen, doch dann wurden Vorwürfe laut, die Gruppe treibe weiter Raubbau am Regenwald. Als sich einige der größten Kunden abwandten, darunter der Konzern Unilever, lenkte IOI ein. Man setze die "Nachhaltigkeitsreise" fort, erklärte der Konzern zerknirscht. Nicht aus purer Liebe zur Umwelt, versteht sich.

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Quelle:
SZ vom 03.02.2018
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