Süddeutsche Zeitung

Umwelt:Zum Klimaschutz gezwungen

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Erstmals verpflichtet das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber zu konkreten Maßnahmen, um die Erderwärmung zu stoppen. Warum der Beschluss so bedeutend ist.

Von Wolfgang Janisch

Es gehört zu den amüsanten Begleiterscheinungen von Karlsruher Entscheidungen, dass sie oft von denen gelobt werden, gegen die sie eigentlich gerichtet waren. Es sei ein "bedeutendes Urteil" und zudem "epochal für den Klimaschutz", twitterte Peter Altmaier, derzeit Bundeswirtschaftsminister und früher auch mal im Umweltressort. Was den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz zu einem Twitter-Konter veranlasste. "Nach meiner Erinnerung haben Sie und CDU/CSU genau das verhindert, was nun vom Bundesverfassungsgericht angemahnt wurde. Aber das können wir rasch korrigieren." Altmaier zurück: Den Vorschlag habe er schon im September gemacht, die SPD habe das nicht aufgegriffen.

In einem Punkt hat Altmaier jedenfalls recht. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - kein Urteil, weil nur schriftlich ergangen - könnte sich in der Tat als "epochal für den Klimaschutz" erweisen. Erstmals hat das Gericht den Gesetzgeber zu konkreten Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel verpflichtet. Das Programm, das Bundestag und Bundesregierung bis Ende des nächsten Jahres abzuarbeiten haben, klingt zwar überschaubar. Sie müssen den Fahrplan für die Zeit nach 2030 festlegen, also die weitere Reduktion der Treibhausgas-Emissionen, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erfüllen - die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf deutlich unter zwei und möglichst auf 1,5 Grad. Das Klimaschutzgesetz hingegen, mit seinem Etappenziel einer Verringerung der Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990, bleibt zumindest formal unangetastet.

Grundrechte können auch dann verletzt sein, wenn die Einschränkungen in der Zukunft liegen

Jedoch hat der Beschluss, für den im Ersten Senat Gabriele Britz als Berichterstatterin zuständig war, das Potenzial, dem Gesetzgeber in Klimaschutzfragen das Bundesverfassungsgericht als dauerhaften Mahner und gelegentlichen Antreiber zur Seite zu stellen. Erstens ist nun die bisher umstrittene Klagebefugnis geklärt. Bürger und Aktivistinnen können Klimaschutz einklagen, übrigens sogar dann, wenn sie, wie einige der Beschwerdeführer, aus Bangladesch oder Nepal kommen. Dem Gericht wird es in Zukunft nicht an Verfassungsbeschwerden zum Klimaschutz mangeln.

Zweitens, und noch wichtiger: Grundrechte können auch dann heute und aktuell verletzt sein, wenn die spürbaren Einschränkungen erst noch in der Zukunft liegen. Nach den Worten des Gerichts hat der Gesetzgeber hohe Lasten zur Minderung der Emissionen "unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030" verschoben. Will man aber das "Paris-Ziel" erreichen, dann muss man in den Jahren danach die Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgase immer dringender und kurzfristiger ergreifen. "Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind", heißt es in der Entscheidung. Die Freiheit als Nullsummenspiel: Wenn sie heute zu großzügig und klimaschädlich ausgeschöpft wird, dann wird sie morgen umso erdrückender eingeschränkt werden. Das Gericht spricht von einer "intertemporalen Freiheitssicherung", ein Begriff, der den Brückenschlag über die Generationen hinweg ins Grundgesetz importiert.

Und schließlich drittens: Sollte irgendjemand in politischer Verantwortung sich nun darüber freuen, dass man den Karlsruher Beschluss heftig loben kann, aber zugleich nicht viel unternehmen muss, dürfte dies ein Fehlschluss sein. Nicht nur, weil das Gericht dem Gesetzgeber eine "besondere Sorgfaltspflicht" auch zugunsten künftiger Generationen aufgibt, nicht nur, weil es verlangt, den Übergang zu Klimaneutralität "rechtzeitig" einzuleiten, nicht nur, weil es schreibt, man könne sich nicht hinter anderen Staaten verstecken. Es wird vor allem ein Satz sein, der die Klimapolitik künftig verfassungsrechtlich unter Druck setzen wird.

Der Klimaschutz, den das Gericht auch ohne ausdrückliche Erwähnung in Artikel 20a Grundgesetz verankert sieht, genieße zwar keinen unbedingten Vorrang, sondern müsse in der Abwägung mit anderen Gütern und Prinzipien in Ausgleich gebracht werden. "Dabei nimmt das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu."

Das bedeutet: Mit jedem Zehntel Grad Temperaturanstieg, mit jedem verfehlten Klimaziel wächst die Schlagkraft des Grundgesetzes und damit die Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Supervisor in Sachen Klimaschutz. Dahinter kann niemand mehr zurück. Das Bundesverfassungsgericht ist künftig beim Kampf gegen den Klimawandel mit im Spiel. "Wir und unsere Kinder haben ein Grundrecht auf Zukunft", kommentierte die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. "Das ist eine Ansage, die Folgen haben muss. Die Zeit der Ausreden ist vorbei."

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